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Ausgabe:

1887 Nr. 8

Spalte:

186-188

Autor/Hrsg.:

Weiss, H.

Titel/Untertitel:

Predigten über den 2. Jahrgang der württembergischen Evangelien 1887

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 8.

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Francke, ein Lebensbild. Zweiter Band, 240, Anm. 2,
als falfch bezeichnet worden ift, trotzdem dafs fie be-
fonders begründet fcheinen könnte, weil ich in Tübingen
lebe. Diefelbe fcheint indeffen nicht blofs fo, fondern
lie ift auch begründet, und dies wird dadurch nicht
aufgehoben, dafs Kramer fie mit den Aufzeichnungen
Francke's nicht vereinbar findet. Ich theile die Stellen
aus den Acten des Tübinger Akademifchen Senats,
welche ich dabei im Auge hatte, nunmehr wörtlich mit,
woraus fich ergiebt, dals meine Notiz ganz richtig ift,
mit Ausnahme der Zahl der Goldgulden, welche keine
Bedeutung hat; der Irrthum hierüber erklärt fich überdies
aus dem Context von felbft. Die erwähnten Senatsprotokolle
befagen: Protokoll vom 23. November 1717
unter Vorfitz des Rectors J. D. Mögling, Prof. Jur., von
Theologen anwefend der Kanzler, die Profefforen Pfaff,
Hoffmann): — Nach deren (Stattetet Academica) Erledigung
ift in Senaculo folgendes vorgekommen: Magn. D. Rector
liefs ablefen ein Schreiben von dem Herrn Geh. Secre-
tario Schäffer an Herrn Canccllarium D. Jäger, des Inhalts
, dafs Serenissimus und die Herren Geheimen Räthe
intendieren, es follte auch von der Univerfität dem Herrn
Profeffor Theologiac D. Francke von Halle eine befon-
dere Ehre angethan werden. Conclusum: wann er herkomme
, follte er per Sc er ctarittm nomine Rectorts et
Senatus complimentiert und bewillkommt, hernach follte
von dem Plerrn Hofprediger Urlsperger fondiert werden,
ob demfelben mehrere Ehre per convivium oder durch
Verehrung des Weins anzuthun. — 27. November 1717:
Weil Herr D. Francke professor Primarius Tluologiae
von Halle fich vernehmen laffen, es fei ihm mit einem
Convivium wegen Enge der Zeit nicht gedient, wurde
angefragt, was ihm denn für eine Ehre anzuthun. Conclusum
: den Wein verehren zu laffen, werde fich auch
nicht wohl fchicken. Weil aber Herr Hofprediger Urlsperger
angetragen auf eine Medaille zum Angedenken:
fo follten ihm von den neugeprägten Württembergifchen
Goldgulden fechs Stück in einem filbernen Büchslein
präfentiert werden. Kramer hat a. a. O. die Meinung
ausgefprochen, ich könne Francke nicht tief genug herabfetzen
; unbefangenere Lefer, welche in Francke nicht
lauter Licht ohne Schatten fehen wollen, werden darüber
anders urtheilen. Das Beibringen jener Notiz ift jedenfalls
kein Beweis dafür, wenn auch daraus hervorgeht,
dafs die Univerfität die verlangte Ehrenerweifung für
Francke nicht fehr willig leiftete. Die Aufnahme, welche
Francke im herzoglichen Stipendium fand, fleht damit
nicht im Widerfpruch, wie Kramer meint, ebenfowenig
das Entgegenkommen theologifcher Profefforen. Jenes
Stipendium hatte einen herzoglichen Befehl zu vollziehen;
die Univerfität handelt nach eigenem Befinden, der Herzog
konnte ihr nur einen Wunfeh ausfprechen. Was
liegt denn auch in der ganzen Sache? Nichts anderes,
als was bei jener Reife an verfchiedenen Orten vorgekommen
ift, nämlich, dafs Francke von manchen Seiten
ungerne gefehen wird, in den meiften Fällen aber die
Schwierigkeiten zu überwinden wufste. Warum foll man
das aus der Gefchichtfchreibung austilgen, wenn es doch
zweifellos Thatfache ift?

Doch ich bin bei diefer Sache fchon zu lange verweilt
, und möchte, um auf den Gegenftand diefer Anzeige
zurückzukommen, daran nur noch den Wunfeh
anfchliefsen, dafs nicht auch die prächtigen Lebensbilder
Ritfchl's dem Anathema unterftellt werden, weil fie aus
Licht und Schatten zufammengefetzt find. Hiezu giebt
vielleicht der zweite Theil diefes Bandes noch mehr An-
lafs als der erfte. Das ift aber nicht die Schuld des
Verfaffers, fondern feines Gegenftandes, und zwar kommt
hiebei weniger die Brüdergemeinde, als die Perfon Zinzen-
dorfs in Betracht. Das Bild, welches diefe fehr eingehende
Darftellung von ihm giebt, wird der aufserordentlichen
Thatkraft und Gewandtheit desfelben, ebenfo wie feinen
hohen geiftigen Anlagen, und der Macht feines Glaubenszuges
in vollftem Mafse gerecht, aber es verdeckt auch
nicht die Eitelkeit, Gewaltthätigkeit, Unklarheit und vielfache
Unzuverläffigkeit, die damit verbunden ift. Und
der Gefammteindruck kann daher kein rein wohlthuen-
der, harmonifcher fein. Aber Ritfehl ift mit befonderer
Sorgfalt gerade hier den Weg der beweifenden Darftellung
gegangen und hat nirgends ein Urtheil ausgefprochen,
das nicht aus beftimmten Thatfachen zwingend hervorginge
. Der ganze Bericht verläuft in acht Capiteln, deren
zwei erfte die Vorgefchichte behandeln, nämlich einesteils
Zinzendorf's urfprüngliche Richtung, andererfeits
die alte Gemeinde der böhmifchen Brüder. Die drei
folgenden gehen der Gefchichte Zinzendorf's und der
Brüdergemeinde nach bis zu den Jahren 1734, 1741 und
1760. Weiter folgen zwei darftellende Capitel für den
Charakter Zinzendorf's und die Sitte in der Brüdergemeinde
, und fodann für die Theologie Zinzendorf's. Endlich
das letzte führt die Gefchichte der Brüdergemeinde
bis zum Ende des Jahrhunderts fort, und erklärt damit
wefentlich, wie nach fo vielen bedenklichen und verwirrenden
Wendungen und ungefunden Ausgeburten
doch fchliefslich eine dauernde Stiftung von wirklichem
inneren Werth und eigenartiger Kraft entliehen konnte,
deren Grund jener Mann gelegt hat, die aber doch von
feiner Unruhe befreit werden mufste, um gedeihen zu
können. Es ift nicht möglich, von dem Inhalt in einem
Auszuge einen kurzen Begriff zu geben. Das aber darf
auch hier ohne Bedenken getagt werden, dafs irgend
eine ähnliche Gefchichte des Gegenftandes bisher nicht
vorhanden war, fowohl was die Sichtung und Verwerth-
ung der verfchiedenen und entgegengefetzten Quellen
betrifft, als die Klarlegung des verwickelten Laufes der
Dinge in der Lebenszeit Zinzendorf's. Es mag noch be-
fonders der Abfchnitt über die Theologie Zinzendorf's
hervorgehoben fein, als ein Mufter davon, wie unter den
fchwierigften Umftänden aus den Aeufserungen einer
mangelhaften Bildung verbunden mit ungezügelter Phan-
tafie die Grundgedanken eines Mannes ermittelt werden
können, aber auch als das Mufter der billigften Werth-
fchätzung, deren Erfolg dann ift, dafs auch das Ver-
hältnifs diefer Gedanken zu der praktifchen Stärke und
Schwäche des Mannes von felbft fein Licht empfängt
Ift nun diefer dritte Band wie die beiden vorigen
ein dauerndes Denkmal wahrhaft theologifcher Arbeit,
fo können wir nur bedauern, dafs Ritfehl damit fein
grofses Werk abgefchloffen hat. Wenn man aber bedenkt
, was aus dem Pietismus weiterhin gemacht worden
ift, fo läfst es fich begreifen.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Weiss, Prof. Dr. H., und Kautzsch, Prof. Dr.E.,Frühpred.,
Predigten über den 2. Jahrgang der württembergischen
Evangelien. Tübingen, Ofiander, 1887. (VIII, 679 S.
gr. 8.) M. 5.60; geb. M. 6.75.

In Tübingen ift es herkömmlich, dafs die Profefforen
der Theologie in den Hauptgottesdienften der Gemeinde,
dort Frühpredigten genannt, den Dienft am Worte zu
beforgen haben. Diefem Umftande verdanken wir aus
früherer Zeit die Predigten von Beck und Palmer, in
der Gegenwart bieten uns H. Weifs und E. Kautzfeh
die vorliegenden Kanzelreden ,über den zweiten Jahrgang
der Württembergifchen Evangelien' dar, welcher
im Unterfchiede von den in unferer Rheinifchen Kirche
neben den alten gebräuchlichen, von Nitzfeh ausgewählten
Perikopen gar keine Texte aus der Apoftel-
gefchichte, defto zahlreichere aber und zum Theil recht
fchwierige aus dem Evangelium Johannis enthält. Weitaus
die meiften der in diefem zweiten Jahrgange verzeichneten
, fonntäglichen Evangelien find behandelt worden,
,nur am Sonntage Invocavit ift ein für den Landesbufstag
vorgefchriebener Text zu Grunde gelegt. Am Neujahrs-