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Ausgabe:

1886

Spalte:

131

Autor/Hrsg.:

Zahn, Adolf

Titel/Untertitel:

Die ultramontane Presse in Schwaben 1886

Rezensent:

Mueller, Karl

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 6.

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dern auch der aus Deutfchland kommende Tractat des
David von Augsburg {ed. Preger) ift fehr reichlich
benutzt, und dafs noch andere Quellen darin decken, ift
wenigftens möglich. Dabei nimmt man aber mehrfach
wahr, dafs Bernardus Guidonis einzelne Züge
feiner Vorlagen, die er in feiner Praxis nicht beftätigt
gefunden hat, tilgt oder dafs er wenigftens andeutet, 1
diefelben finden fich bei den jetzigen Waldenfern nicht j
mehr vor u. ä. — gewifs ein gutes Zeichen für die 1
Sorgfalt, mit welcher diefer Inquifitor die gefchichtlichen
Berichte feines Werks redigirt hat. — Solche kritifche
Arbeit zu thun, wäre freilich Sache des Herausgebers
gewefen.

Halle a/S. Karl Müller.

Zahn, Adf., Die ultramontane Presse in Schwaben. Leipzig,
Böhme, 1885. (32 S. 8.) M. —. 50.

Diefe kleine Schrift, ein ,erweiterter Separatabdruck
aus der Allg. konferv. Monatsfchrift' foll ein Weckruf
an die Vertrauensfeligkeit und Harmlofigkeit fein, die
das württembergifche evangelifche Volk oder, wie man
fich römifch correct ausdrückt, ,der proteftantifchen
Landestheile der Diöcefe Rottenburg' immer noch dem [
römifchen Wefen entgegenbringen. Diefe Anficht ift
gewifs fehr lobenswerth und dafs dabei die ultramontane
Preffe zum Ausgangspunkt genommen wird, ift
auch ganz richtig. Diefe bietet für die Kenntnifs einer
folchen Strömung einen Hauptmafsftab. Aber das
Schriftchen hat im ganzen wenig gethan, um von
diefer Preffe ein Bild zu geben. Es ift allem nach
fehr eilig hingeworfen, darum oft fo farblos, dafs
der den Verhältnifsen ferner Stehende nicht viel lernen
wird, manchmal nichts als trockene ftatiftifche Angaben
. Eine neue gründlichere Darftellung, die aus reichlichen
verbis ipsissimis gewoben wäre und eigene Zuthaten,
auch die der gerechten Entrüftung möglichft vermiede,
wäre in hohem Grad zu wünfehen. Solcher Preffe kann
kein gröfserer Gefallen gefchehen, als dafs man fie
nicht kennt, kein fchlimmerer, als dafs man fie in ihrer
ganzen Natürlichkeit den Kreifen vorführt, für die fie
nicht berechnet ift. Das evangelifche Volk Württembergs
, das fich immer wieder von den fchönen Worten
des confeffionellen Friedens in feinem Land einfchlä-
fern läfst, mufs erfahren, wie man feiner und der Regierung
Gutmüthigkeit dankt und fpottet. Es hat in
letzter Zeit allerdings nicht an Zeichen gefehlt, dafs
man endlich des ferneren widerftandslofen Ertragens
diefer Frechheiten fatt zu werden beginnt: Auffätze in
den Deutfch-evang. Blättern wie in der Proteftantifchen
Kirchenzeitung zeigen, dafs man auch aufserhalb Württem-
bergs auf die immer drohenderen Gefahren diefer Zu-
ftände aufmerkfam geworden ift. Aber noch ift viel zu
thun. Man wird hoffen dürfen, dafs der in Stuttgart
lebende Verfaffer mit feinem lebhafteren rheinländifchen
Blut auch künftig diefer Sache dienen und dabei die I
Wünfche, die oben ausgefprochen wurden, im Intereffe
der Wirkung feiner Worte berückfichtigen wird.

Halle a/S. Karl Müller.

Bassermann, Prof. Dr. Heinr., Handbuch der geistlichen
Beredsamkeit. Stuttgart, Cotta, 1885. (X, 638 S. gr. 8.)
M. 10. —

Der Titel, welchen der Verf. dem üblichen der Homiletik
vorgezogen hat, darf nicht den Verdacht erregen,
als verkenne er den kirchlich-cultifchen Charakter der
Predigt. Er bewegt fich nicht nur, was feine theologifche
Gefammtanfchauung, fondern auch, was feine Auffaffung
der Predigt anlangt, im Wefentlichen in den von Schleiermacher
eröffneten, dann am meiften in deffen Geift von
Schweizer verfolgten Bahnen. Das vorliegende Handbuch

ift ausgezeichnet durch das Streben nach gefchloffetier
wiffenfehaftlicher Haltung und nach einem fyftematifchen
Aufbau, der nicht Selbftzweck, fondern Mittel gründlicher
Erörterung der Sache ift, fowie durch eine Fülle werthvoller
praktifcher Winke, durch die harmonifche Vereinigung
, in der warmes religiöfes und kirchliches Intereffe
, eine über den Parteifchablonen ftehende theologifche
Unbefangenheit und ein lebhafter äfthetifcher Sinn fich
geltend machen, durch die ebenfo anfehauliche und durchfichtige
, wie frifche und doch zugleich ftets edle Art der
Darfteilung.

Um eine ebenfo principiell wie gefchichtlich fun-
dirte Erkenntnifs der geiftlichen Beredfamkeit zu gewinnen
, behandelt der Verf. im 1. Theil die Gefchichte
der Rhetorik und das Wefen der Beredfamkeit S. 14—
122, im 2. Theil den Cultus und fpeciell den chriftl.-prot.
Cultus S. 123—180, und legt auf Grund der Erkenntnifs
der beiden einfehlägigen genera im 3. Theil die specics
der geiftlichen d. h. cultifchen Beredfamkeit dar, indem
er S. 181—253 ihr Wefen, S. 254—327 ihre Gefchichte
befpricht, S. 362 — 464 die materielle und S. 465—629
die formelle Methodenlehre derfelben ausführt.

Seine gefchichtliche Ueberficht der Rhetorik ift geeignet
, das aus Eindrücken von der antiken Beredfamkeit
und Rhetorik flammende Vorurtheil zu entwurzeln, dafs
die Kunft der Rede etwas dem Evangelium Widerftreben-
des fei. Er zeigt nicht nur die Mängel der antiken Rhetorik
auf, dafs fie die Rede gar nicht eigentlich als Kunftwerk
erfafst und die Sittlichkeit nicht als mafsgebend für ihre
Regeln erkennt, fondern legt auch dar, wie die Rhetorik
feit der Reformation, nachdem fie lange als blofse Stillehre
gegolten, durch Melanchthon, Fenelon, Blair, Gott-
fched, Schott, Theremin u. A. die wefentlichften Veränderungen
erfahren hat, wie hier der ethifche Charakter
der Beredfamkeit urgirt, die Kanzel als eine Hauptftätte
derfelben bezeichnet, die melanchthonifche Gleichfetzung
von Rede und Belehrung wieder befeitigt, die nothwen-
dige Beziehung der Rede auf Phantafie und Affect und
ihr äfthetifcher Charakter erkannt wird. Er felbft fub-
fumirt die Rede energifch unter den Gattungsbegriff der
Kunft und tritt deshalb dafür ein, dafs fie an fich nicht
einem aufser ihr gelegenen Zweck, fpeciell nicht dem
der Wirkung auf das Bcwufstfein der Zuhörer durch Belehrung
oder Willensbeftimmung zu dienen habe, fondern
als zulammenhängende und lebendige Darftellung eines
dem Redner und den Zuhörern gemeinfehaftlichen Be-
wufstfeinsinhaltes Selbftzweck fei, wenn er gleich die Con-
ceffion macht, dafs fie, wie ja auch die Kunft in aufser
ihr gelegene Zwecke eingehe, den Nebencharakter der
Lehr- und Beftimmungsrede annehmen dürfe.

Vom ,Cultus im Allgemeinen' handelnd, kommt er
zu den Ergebnifsen, dafs derfelbe weder theurgifch als
Einwirkung auf Gott, noch gefetzlich aufgefafst werden
dürfe, weder eine religiöfe Belehrungsanftalt, noch päda-
gogifches Mittel der Bekehrung Unfrommer fei, fondern
unter die Kategorie des darftellenden Handelns gehöre,
indem in ihm die beim Darfteller und in der ganzen
cultifchen Gemeinfchaft vorauszufetzende fromme Empfindung
der fchlechthinigen Abhängigkeit fich darfteile,
und zwar in der Fkirm der Kunft, dafs der C, wenn auch
keinen aufser ihm gelegenen Zweck, doch die Wirkung
habe, die fromme Empfindung in ihrer Realität zu be-
ftärken und das religiöfe Gemeinfchaftsbewufstfein zu befehligen
(Erbauung), dafs er deshalb für den Einzelnen
und die Kirche nothwendig fei. Die Frömmigkeit ift nun
chriftlich, indem zu dem genannten frommen Gefühle
das Gefühl der Erlöfung durch Chriftus hinzutritt. Auch
der Cultus gewinnt als chriftlicher noch neue Merkmale.
Im Gegenfatz zum Heidenthum hat er den Charakter der
Einheitlichkeit, Geiftigkeit, Sittlichkeit, im Gegenfatz zum
Judenthum den der Freiheit, Innerlichkeit, Wahrhaftigkeit
; der Gegenfatz zum Katholicismus bringt die fich ergänzenden
und corrigirenden Merkmale der Subjectivität,