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Ausgabe:

1886 Nr. 5

Spalte:

115

Autor/Hrsg.:

Lucius, E.

Titel/Untertitel:

Die Kräftigung des Missionssinnes in der Gemeinde 1886

Rezensent:

Bassermann, Heinrich

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115 Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 5. 116

mehrfach mit dem Superlativ ,am vollkommenften' bezeichnet
und fo der Schein erweckt wird, als ob es fich
nur um ein relativ Höchftes handle. Dafs die Gottes-
kindfchaft die Vorausfetzung der fittlichen Gerechtigkeit
des Gottesreiches ift, wäre wohl bei der Definition des
letzteren fofort hervorzuheben. Der übernatürliche und
überweltliche Charakter des Gottesreiches dürfte nicht
allein durch die Univerfalität der Nächftenliebe, fondern
auch durch den fpecififchen Werth zu begründen fein,
den in ihm der Einzelne gewinnt. Die drei Aemter
Chrifti in der lutherifchen Reihenfolge zu behandeln, ift
nicht zweckmäfsig; nur, wenn Chrifti Prophetenthum und
Priefterthum von dem Gefichtspunkt aufgefafst wird, dafs
er der König des Gottesreiches ift, läfst es fich in feiner
fpecififchen Art würdigen. — Den Schlufs des Buches
bilden zweckmäfsige Anhänge : Das evangelifche Kirchenlied
, das Kirchenjahr, Ueberficht der gegenwärtigen evan-
gelifchen Heidenmiffion, Geographie von Paläftina.
Giefsen. J. Gottfeh ick.

Lucius, Prof. E., Die Kräftigung des Missionssinnes in der
Gemeinde. Referat, vorgetragen auf der elfäfsifchen
Paftoral - Conferenz am 2. Juni 1885. . Strafsburg,
Schmidt, 1885. (38 S. gr. 8.) M. —. 60.

Diefes mit ebenfoviel Sachkenntnifs und praktifcher
Einficht wie Wärme und Begeifterung gefchriebene Schriftchen
ift als ein Zeichen nicht allein für die immer mehr
um fich greifende Anerkennung der äufseren Miffion überhaupt
, fondern insbefondere für die Ausbreitung desjenigen
Standpunktes zu begrüfsen, welcher die Miffion
aus einer Privatliebhaberei einzelner religiöfer Richtungen
und Parteien zur gemeinfamen Sache der ganzen Kirche
gemacht wiffen will, aus dem einfachen Grunde, weil fie I feine Stadt noch bis heute als ihren Wohlthäter, während
allgemeine Chriftenpflicht ift und bleibt. Das ilt auch nach | man fonft mit Betrübnifs wahrnehmen mufs, wie fchnell

Lebens und Lebenswerkes eine längere Wirkung
zu wahren, ift eine Pflicht der Dankbarkeit gegen die
Abgefchiedenen, eine Pflicht der Erziehung gegen das
nachlebende Gefchlecht, welchem der unmittelbare Verkehr
mit ihnen verfagt blieb. Seltener wird fleh Ver-
anlaffung finden, treuen Menfchen, die in kleinem Kreife
fegensreich wirkten, ohne die Aufmerkfamkeit der Mit-
und Nachwelt durch epochemachende Thaten herauszufordern
, ein gleiches Denkmal zu fetzen.

Doch können folche Lebensbilder befcheideneren
Stiles, wenn fie fonft motivirt find, ihren befonderen
Segen haben. Den Genius bewundern wir, begeiftern
uns für ihn, empfangen allerhand Anregungen von ihm
die nur zu oft, wenn wir ihn ,genoffen' haben, verfliegen;
der fchlichte Arbeiter, der mit ähnlichen Gaben und
unter ähnlichen Verhältnifsen, wie die unteren find, etwas
geleiftet hat, wird uns untere Pflichten vorhalten und uns
einladen mit ihm zu wetteifern. Wer wollte fich erkühnen,
einen Wiehern zum Vorbilde zu nehmen! Das war ein
Mcnfch für fich. Aber der Pfarrer von Rofswein
hat keine Thaten gethan, die ein anderer Pfarrer mutatis
tnutandis nicht auch thun könnte und follte.

In diefem Sinne hat der durch feine gemeinnützigen
Beftrebungen bekannte Geh. Regierungsrath Viktor
Böhmert, Director des kgl. fächf. ftatiftifchen Bureaus
u. Profeffor am Polytechnicum in Dresden, Herausgeber
des .Volkswohl' (der ,Social-Correfpondenz') und des
,Arbeiterfreund', das Leben feines Vaters gefchildert.
Karl Friedrich Böhmert, geb. 1797 in Dahlen, gell.
1882 in Dresden, war von 1831 bis 1868 Pfarrer zu
Rofswein im Königreich Sachfen. Er wufste beides zu
verbinden: fein geiftliches Amt und die Sorge auch für
das irdifche Wohl feiner Gemeinde. Darum verehrt ihn

des Referenten Anficht der einzige Weg, um fie zu derjenigen
Bedeutung und Wirkfamkeit zu erheben, welche
fie gerade in unferem Jahrhundert gewinnen kann und
foll, aber (auch nach Lucius' Meinung), wenigftens in

beliebte Prediger, bewährte Seelforger vergeffen werden.
Das Erfte, was der für jene Zeit frühzeitig in folch ein
Amt berufene Pfarrer von Rofswein in die Hand nahm,
war eine durchgreifende Reform des Schulwefens. Die

Deutfchland, noch lange nicht befitzt. Deswegen mufs 1 Sonntagsfchule, die er gründete (1832), war eine der
der Sinn dafür in der Gemeinde, in der ganzen Gemeinde, erften in Sachfen. Erflaunlich ift die Zahl von gemeingeweckt
werden. Es entfpricht ganz diefem principiellen nützigen Vereinen und Stiftungen, die er in's Leben rief
Standpunkt, wenn L. die Kräftigung diefes Sinnes in erfter und die zum grofsen Theil unter feiner unmittelbaren
Linie dem Pfarrer aufgiebt und verlangt, dafs diefer durch Leitung treffliche Dienfte kitteten, zumeift heute noch

öftere Geltendmachung der biblifchen Miffionsgedanken
in der Predigt, durch Verbreitung der zu dem Miffions-
intereffe unentbehrlichen Miffionskenntnifs in fonntäg-
lichen Miffionsftunden, durchBerückfichtigung der Miffion

blühen: Gewerbeverein, Gefellcnlefeverein, Gefangverein,
Volksbibliothck, Sparkaffe, PTauenverein, Kleinkinder-
bewahranftalt, Krankenunterftützungsverein, Begräbnifs-
kaffc und ein nur für das damalige Bedürfnifs gegründeter
im Religionsunterricht und Jugendgottesdienft diefer feiner Hülfsverein in dem Theuerungsjahre 1847. Kein Wunder,
Aufgabe mehr als bisher gerecht werden foll; ebenfo ift dafs viele Mitglieder der Rofsweiner Pfarrgemeinde ein

Aufgabe mehr als bisher gerecht werden foll; ebenfo ift dafs viele Mitglieder der Rofsweiner Pfarrg*
die, hie und da in Deutfchland fchon erfüllte, Forderung Lebensbild ihres wackeren Pfarrers zu befitzen wunfehten

eines allgemeinen, auf die ganze Landeskirche fich er-
ftreckenden Miffionsfeftes eine Confequenz jenes Standpunktes
. Dem Allem kann ich nur von Herzen zuftim-
men, zumal wenn es in fo nüchterner, einfacher, praktifcher
und doch eindringlicher Weife vorgebracht wird, wie hier
gefchieht. Es mindert auch an dem Werthe des Schrift-
chens nichts ab, dafs die darin ausgefprochenen Gedanken,
wie der Verf. felbft (S. 9, Anm. 3) gefleht, nicht neu,
fondern namentlich von dem verdienftvollen Warneck
fchon ausgefprochen find. Vielmehr kann diefer fich nur
freuen, einen fo eifrigen und verftändigen Interpreten wie
Lucius zu finden, wie die Sache der Miffion nur gewinnen
kann, wenn die Anregungen Warneck's fich einen immer
breiteren Boden der Anerkennung und Verwirklichung
erobern.

Heidelberg. Baffermann.

Indem der Verf. diefen Wunfeh erfüllte, hat er zugleich
rkrnftehenden gezeigt, ,wie geeignet ein Pfarrhaus ift,
in der focialen Bewegung unferer Tage der verhöhnende
Mittelpunkt gemeinnütziger Beftrebungen zu werden'.

Schlicht und ohne viel Beiwerk ift das Bild gezeichnet,
wie die Perfon des fchlichten Mannes es forderte. Da
ift nichts Gemachtes, nichts Aufserordentliches; unwillkürlich
fragt man fich, warum's nicht folcheTreuc, folchen
gemeinnützigen Sinn, folches .praktifche Chriftcnthum' in
allen Pfarrhäufern giebt? Nun, K. F. Böhmert hatte auch
feine befondere Ausrüftung von Gott; aber der Reft der
Frage mufs jedem Geiftlichen eine Mahnung werden,
zumal in unferer Zeit. Man lieft zwifchen den Zeilen,
dafs der Verf. einen Appell an den geiftlichen Stand in
diefem Sinne beabfichtigt. Wir haben nur Urfache, ihm
dankbar dafür zu fein und dem Buche unter den Pfarrern
viele empfängliche Lefer zu wünlchcn. ,Nur wenige
Böhmert, Vikt, Der Pfarrer von Rosswein. Ein Lebens- find auserwählt, nach aufsen auf die grofse Welt einzu-
bild. Gotha, F. A. Perthes, 1886. (XI, 110 S. gr. 8.) ; wirken; aber viele find berufen, ihre Blicke nach innen
„ , zu wenden und die Welt im Kleinen mit umgeftalten zu

helfen. Und diefe vielen Berufenen find ebenfo wichtig,
Grofsen Männern durch eine Befchreibung ihres j wie die wenigen Auserwählten'.