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Ausgabe:

1886

Spalte:

83-84

Autor/Hrsg.:

Rabinowitsch, Jos.

Titel/Untertitel:

Zwei Predigten, in dem Gotteshause Bethlehem in Kischinew gehalten 1886

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Seite 1

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84

ohne Zweifel laut aufgefchrieen und fich die Ohren j
verftopft.' Der Verf. hat den erften Hand mit einer
Ueberficht über die proteftantifche Cenfur im 16. Jahr- j
hundert (§ 53) und mit einer Schlufsausführung beendigt,
in welcher er die Erfolge des Index kurz zufammenftellt
und die bedenklichen Folgen abwägt. Mit dem Satze,
dafs durch das Expurgiren katholifcher Schriften von
mifsliebigen Sätzen und mehr noch durch das Veran-
ftalten von expurgirten Ausgaben die wiffenfchaftliche
Tradition im curialiftifchen Intereffe gefälfcht worden ift,
fchliefst der erfte Band.

Das ungeheuere Material der beiden Abtheilungen
des 2. Bandes ift durch ausgezeichnete Indices leicht be- I
nutzbar. Wollte man anfangen, die Dinge zu bezeichnen, !
deren Darftellung befonders lehrreich ift, fo müfste man
von Paragraph zu Paragraph fortfchreiten. Es ift nicht
nur eine Gefchichte der grofsen Factoren des nachtriden-
tinifchen Katholicismus im Spiegel des Index hier ge- j
geben (Jefuiten, Orden und Index, Janfenismus, Quietis- i
mus, Gallicanismus, Febronianismus und Jofephinismus
u. f. w.), fondern ein überreiches, die grofse Gefchichte
bis in's Kleinfte illuftrirendes Detail, welches bisher kaum
gekannt war, ift mitgetheilt. Die Stellung der Curie zur
Belletriftik, zur Philofophie, zu den Nationalliteraturen j
in ihrer fehr wechfelvollen Haltung u. f. w. tritt hervor.
Von S. 1019—1218 ift das 19. Jahrh. behandelt. Nach
einem Blick auf den Index und die Zeitungen folgt eine
Schlufsausführung über die geographifche und rechtliche j
Geltung des Index und eine Zufammenftellung fcharfer 1
und panegyrifcher Urtheile über denfelben. Intereffant
ift zu hören, dafs ein Mitarbeiter des Mainzer Katholik
(1869, I, S. 293) den Wunfeh ausgefprochen hat, das !
Concil möge den Index nicht aufheben, wohl aber im j
Geift der Zeit erneuern. Er fügte den Vorfchlag hinzu,
dafs in Rom ein katholifches Literaturblatt gegründet
werden folle — auf Anordnung des Concils —, welches,
unterftützt von der Mitwirkung aller kirchlichen wiffen-
fchaftlichen Corporationen und zugleich geleitet von
den Entfcheidungen der höchften Autorität, die
Bewegung der gefammten theologifchen Literatur des
Erdkreifes uns vorführte — ,das wäre ein Werk, für das
wir uns begeiftern könnten, weil es dem fchweigfamen
Index überzeugende Worte geben und aus dem vagen
national-provinciellen Leben uns in die Weite des wahrhaft
katholifchen Lebens führen würde'.

Ich zweifle nicht, dafs auch der Index fleh einft
ebenfo den modernen Verhältnifsen anpaffen wird wie fo
vieles Andere im Inventar der römifchen Kirche. Einft-
weilen hat der Verf. den Römern den Dienft gethan,
wie ein katholifcher Recenfent felbft zugeftanden hat,
dafs fie nun bei einer Reviflon des Index einige hundert
Namen als irrthümlich zu tilgen im Stande find.

Giefsen. Adolf Harnack.

Rabinowitsch, Jof., Zwei Predigten, in dem Gotteshaufe
Bethlehem in Kifchinew gehalten. Schriften des In-
stitutum Judaicum in Leipzig Nr. 9. Leipzig, Dörff-
ling & Franke, 1885. (32 S. 8.) M. —. 40

Diefe Predigten des Vorftehers der ruffifchen, juden-
chriftlichen Gemeinde — f. über die Bewegung Theol.
Lit.-Ztg. 1884, Col. 342 — find aus dem jüdifchen Jargon
von einem Zuhörer in reines Hebräifch, von Prof. De-
litzfch in's Deutfche überfetzt. Es find lehrreiche Docu-
mente für die füdruffifche Chriftenthums-Bewegung, und
fie rufen in dem kirchengefchichtlich gebildeten Lefer
Erinnerungen an die ältefte Gefchichte des Evangeliums
wach. Sehr dankenswerth ift, dafs Delitzfch am Schlufs
,das Symbol der Gemeinde der Ifraeliten des Neuen
Bundes' hat abdrucken laffen. Dasfelbe lautet:

,1. Ich glaube rückhaltlofen Glaubens, dafs unfer
Vater im Himmel ift der lebendige und wahre, ewige

Gott, welcher den Himmel und die Erde und alles Un-
fichtbare und Sichtbare gefchaffen hat durch fein Wort1)
und feinen heiligen Geift — er ift Einer, alles ift von Ihm
und alles in Ihm und alles zu Ihm.

2. Ich glaube rückhaltlofen Glaubens, dafs unfer
Vater im Himmel gemäfs feiner Verheifsung an unfere
Väter, unfere Propheten und unferen König David, Sohn
Ifai's, einen Erlöfer für Ifrael hat erflehen laffen, Jefus,
der geboren ift von Maria der Jungfrau in der Stadt
Bethlehem Juda's, der gelitten hat, gekreuzigt, geftorben
und begraben ift uns zum Heile, der auferftanden ift von
den Todten und lebet und fiehe, er fitzt zur Rechten
unferes Vaters im Himmel und wird von da kommen zu
richten den Erdkreis, die Lebendigen und die Todten, und
er ift König über das Haus Jakob auf ewig und feines
Königreichs ift kein Ende.

3. Ich glaube rückhaltlofen Glaubens, dafs nach
Gottes ftrafrichterlichem Befchlufs und Vorherwiffen unfere
Väter mit Herzenshärtigkeit gefchlagen worden, dafs
fie ihrem Meffias, dem Herrn Jefus, frevlerifch wider-
ftrebten, um die anderen Völker des hlrdkreifes zu um
fo gröfserem Eifer anzureizen und fie alle zu verföhnen
durch ihren Glauben an Chriftus nach dem Worte feiner
Evangeliften, damit die Erde voll werde von Erkenntnifs
des HERRN und der HERR König fei über die ganze
Plrde.

4. Ich glaube rückhaltlofen Glaubens, dafs allein
durch den Glauben an Jefus den Meffias jedweder Menfch
gerecht wird ohne Werke des Gefetzes, und dafs es Ein
Gott ift, welcher die Juden, die befchnittenen, aus Glauben
und die Heiden, die unbefchnittenen, durch Glauben
rechtfertigt, und ift kein Unterfchied zwifchen Juden und
Griechen, Knecht und Freien, Mann und Weib — fie find
allzumal eins in Chrifto.

5. Ich glaube rückhaltlofen Glaubens an Eine heilige
apoftolifche Kirche.

6. Ich bekenne Eine Taufe zur Vergebung der Sünden.

7. Ich warte auf die Auferftehung und Neubelebung
der Todten zum ewigen Leben. Amen.'

Giefsen. Adolf Harnack.

Bender, Willi., Das Wesen der Religion und die Grundgesetze
der Kirchenbildung. Bonn, Cohen & Sohn, 1886.
(VII, 337 S. gr. 8.) M. 6. -

Dafs eine neue Publication des Verf.'s in einer wenn
auch unausgefprochenen Beziehung auf,die BonnerLuther-
rede vom 10. November 1883' flehen werde, mufste man
erwarten. Den Fachgenoffen gegenüber mufste der Ver-
faffer das Bedürfnifs fühlen, durch eine gediegene
Leiftung des Eleifses zu beweifen,.dafs er durch dieArt, wie
er damals die Sätze eines Andern verwendet hatte, nicht
richtig charakterifirt werde. Der Kirche gegenüber mufste
er fich gedrungen fühlen, die in jener Rede übermäfsig
hervortretende Negation desBeftenenden durch eine pofi-
tiveFörderung der chriftlichen Gemeinde, deren Gedeihen
auch nach feiner Meinung die Sache Gottes ift, in den
Schatten zu ftellen. Endlich war ihm noch eine andere Verpflichtung
auferlegt oder vielmehr gefchenkt. Der Verf.
theilt in der Vorrede mit, aus der ,Gemeinde', die fich ,zu-
nächft in dem proteftantifchen Deutfchland' um jene Rede
gefammelt habe, fei ihm vielfach der Wunfeh zugekommen,
dafs er feine Öefammtanfchauung über Religion und
Chriftenthum ,dem gebildeten Publicum nicht länger vorenthalten
' möchte. Die Menge derer, welche durch jene
Rede erregt find, möchte ich allerdings nicht mit dem
feierlichen Namen einer Gemeinde fchmücken. Denn
leider ift man zu der Annahme genöthigt, dafs zu der
Erregung Vieler die Luft am Skandal nicht wenig bei-

1) In dem ausführlicheren Glaubensbekenntnifs Art. IX heifst Chriftus
,das Wort unferes himmlifchen Vaters, das von Ewigkeit aus dem Vater
geboren'.