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Ausgabe:

1886 Nr. 4

Spalte:

81-83

Autor/Hrsg.:

Reusch, Fr. Heinrich

Titel/Untertitel:

Der Index der verbotenen Bücher 1886

Rezensent:

Harnack, Adolf

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81 Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 4. 82

als früher meine Quellenftudien zu befchränkt zur Er- j chen-, Literatur- und Culturgcfchichte in fo vollkommener
ledigung der weitfchichtigcn Frage. Denn nur in gröfserem ! Weife aus, dafs in abfehbarer Zukunft höchft wahrfchein-
Zufammenhang kann die Frage entfchieden werden. Man ; lieh Niemand diefen Stoff auf's Neue durcharbeiten wird,
mufs, um die irifche Kirchenverfaffung recht zu beur- Eine zufammenhängende, umfaffende Gefchichte des
theilen, meines Erachtens Dreierlei ins Auge faffen: 1) dafs Bücherverbots in der Kirche und in den chriftlichen
die Epifkopalverfaffung der alten Kirche durchaus auf Staaten befafsen wir bisher überhaupt noch nicht, eben-
der Municipalverfaffung des römifchen Reiches ruht, Ir- j fowenig eine Gefchichte des römifchen Index. Beides
land aber nie zum Reiche gehört hat und bis tief ins j ift von Reufch hier vorgelegt. Der Verf. hat fich aber
Mittelalter hinein eine patriarchalifche Stammesverfaffung 1 nicht damit begnügt, eine äufsere Gefchichte zu fchrei
gehabt hat, 2) dafs die irifche Kirche gegründet wurde I ben — in diefer Hinficht hat er fich keine Mühe ver

zu einer Zeit, da das Mönchthum fchon beftand, ja dafs
nach einem Verfalle, der nach Patrick's Zeit eingetreten
zu fein fcheint, von den Klöftern die Chriftianifirung
gleichfam aufs neue in Angriff genommen ift, 3) dafs

driefsen laffen: faft fämmtliche Indices des 16. Jahrhunderts
, auch die feltenften, in wenigen Exemplaren
exiftirenden, hat er einzeln genau unterfucht, ebenfo die
alten Mefskataloge; denn man hat bei Abfaffung der

nach Beda 3, 4 der Brauch in Hy, dafs der Abt ftets Indices häufig nach ihnen gearbeitet —, fondern er hat
nur Presbyter war (während einer oder mehrere der ihm i auch eine innere Gefchichte des Index gegeben, d. h.
untergebenen Mönche die bifchöfliche Weihe befafsen), er hat in den Anmerkungen und Excurfen die wichtigen,
etwas Aufsergewöhnliches war, — dafs demnach, da in auf den Index gefetzten Bücher beleuchtet, ihre Ge-
Irland jedenfalls mehrfach der Abt felbft die bifchöf- fchichte in der Kirche, die Urfachen der Verbote, die
liehe Würde innehatte, nicht ohne Weiteres alle Einzel- Beurtheilung ihrer Verfaffer feitens der Curie oder der
heiten der Verfaffung Hy's auf Irland übertragen werden weltlichen Obrigkeit u. f. w. dargeftellt. Er hat forriit
dürfen (Antiquac />. 63). Beftände, wie ich glaube, darin I eine Gefchichte des Geiftes der Kirche und ihrer Macht-
die Eigenthümlichkeit der irifchen Kirchenverfaffung, dafs haber in dem Rahmen des Index geliefert und diefen

— vielleicht mit Ausnahme weniger civitates iAntiqnae Geifl fich felbft beurtheilen laffen. Mit höchfter Unpar-
p. 61) — die Klölter die Mittelpunkte der an die Stam- teilichkeit ift hier kritifirt; ja der Verf. kritifirt faft nur,
mesverfaffung fich anlehnenden Sprengel waren, und dafs indem er darftellt, entfchuldigt, indem er alle Momente
die bifchöflichen Functionen in der Regel von dem Abte würdigt, klagt an ohne Klage, und felbft wo er die
beforgt wurden, hie und da aber, wo der Abt nicht Luft ; höchfte Nachläffigkeit, die gröbften Verltöfse gegen Verhatte
, des bifchöflichen Amtes des Klofters zu warten j nunft und Recht, die feltfamften Irrungen, Widerfprüche

— fo z. B. auch in Salzburg im 8. Jahrhundert (Antiquae und Thorheiten aufzudecken hat, entfährt ihm höchft
/. 64) und fo regelmäfsig allein in Hy — von einem feiten ein hartes Wort. So ift diefes Werk ein Mufter
oder mehreren der Mönche des Klofters verfehen wurden: einer hiftorifch-kritifchen Darfteilung; zugleich zeigt es

— fo wäre die irifche Kirchenverfaffung fo eigenthümlich auf's neue, dafs der deutfehe, gläubige Katholik aus einem
nicht, wie fie fcheint. Denn aufserhalb des Rahmens der anderen Geilte geboren ift wie der romanifche. Diefer
rümifch - griechifchen Municipalverfaffung find ähnliche Katholicismus ift dem Proteftantismus ftammverwandt.
Verhältnifse im Orient nachweisbar (Hatch, Gefellfchafts- Es wäre in Deutfchland im 16. Jahrhundert ficher nicht
verfaffung, deutfehe Ausgabe S. 205), Abtbifchöfe finden zu einer Kirchenfpaltung gekommen, wenn diefer Kathofich
dort mehrfach (Zahn, Forfchungen zur Gefch. des
neuteftamentlichen Canons I [Theophilus] S. 284). Auch
im Occident begegnen uns auf nicht römifchem Gebiet ähnliche
Verhältnifse. Martin v. Bracara (f 580) war erft
Abt, dann Abtbifchof von Dumio (Cafpari, Martin v. Bra

licismus fich nicht durch die Spanier und Römer hätte
vergiften laffen.

Der erfte Band behandelt die Vorgefchichte von den
Bücherverboten der alten Kirche an bis zum Index
Paul's IV., die Entftehung diefes erften päpftlichen Index

cara's Schrift de correctionc rusticorum, Chriftiania 1883, ] und die Gefchichte desfelben im 16. Jahrhundert; der
p. XIV). Die Verhältnifse Gallaeciens haben überhaupt, zweite Band führt die Gefchichte fort vom Anfang des
wie ich unvollftändig fchon früher aus Haddan Stubbs 17. Jahrhunderts bis zum Bücherverbot vom 19. Dec

erfah {Antiquac p. 18sqq.), viele Aehnlichkeit mit den
irifchen. Selbft die eigenthümlichen /amiliae' der Kirchen
haben dort ihre Parallelen (Cafpari a. a. O. Anm. 1). —
Die lugenthümlichkeit der irifchen Kirchenverfaffung, ja

1884. Ueberall ift auch den |Bibelverboten befondere
Aufmerkfamkeit gefchenkt, und die Verordnungen über
Bücherwefen und Bücherverbote der Staaten an fich und
in ihren Verhältnifsen zu den kirchlichen Mafsnahmen

die Eigenthümlichkeiten der irifchen Kirche überhaupt j find forgfältig gefchildert. Namentlich intereffirt in dem
können eine abfchliefsende Behandlung nur dann finden, erften Bande dieUnterfuchung über das fpanifche Bücher

wenn zugleich die Eigenthümlichkeiten aller andern nicht
auf römifchem Reichsgebiet entftandenen Kirchen in die
Erörterung hineingezogen werden. Das foll nicht gefagt
fein als Dcsidcratum gegenüber dem vorliegenden Buche.
Eine fo in die Breite gehende kirchenhiftorifche Arbeit
von dem Herausgeber der Hiberncnsis erwarten, dashiefse
für uns Theologen, die eigene Laft auf fremde Schultern
fchieben. Die Ausführungen W.'s über die irofehottifche
Kirche find gelegentliche, eine Zuthat zu der an fich
fchon vollftändigen erften Auflage. Anftatt diefen ihren
gelegentlichen Charakter zu beklagen, haben wir vielmehr
neuen Anlafs, dem Herrn Verf. zu danken für das Inter-
effe, das er bei feinen Arbeiten den kirchengefchichtlichen
Fragen zuwendet.

Leipzig. F. Loofs.

Reusch, Prof. Dr. Fr. Heinr., Der Index der verbotenen

Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturge-

r, w tu u pcu TöSiRr- fYIT aus dem dle Bucherverbote entfprungen find, kundigt

fchichte. 2 Bde. Bonn, Cohen & Sohn, 1883,85. (XII, iihri„ens fchon in ■ m hp^nnl Rpr:rd, ^ Trl

wefen. Spanien ift 'ja wie in der Inquifition überhaupt
fo auch in dem Index der Curie vorangegangen. Als für
die Reformations- und Culturgefchichte befonders lehrreich
feien aus dem erften Bande die §§ 7 (die erften
päpftlichen Erlaffe gegen die Schriften der Reformatoren),
8 (die Bulle Cocna Doinini), 9—16, 17, 20, 28, 29 (Verhältnils
des Index Pius' IV. zu dem Paul's IV.), die §§
über das Tridentiner Concil, tj 44 (der Procefs gegen den
Erzbifchof Carranza), fodann die §§ 32, 33 ,Erasmus und
Erasmianer im Index' hervorgehoben. Wie es gekommen
ift, dafs Erasmus, der einft von den Päpften gefeierte,
feinen Platz unter den Häretikern primi ordinis erhalten
hat, mufs man bei dem Verfaffer nachlefen. In dem § 2
(,Bücherverbote in der alten Kirche') wäre vielleicht noch
auf Euseb. VI, 12, App. Constit. VI, 16 und auf das Selbft-
zeugnifs des Theodoret, dafs er in feiner Diöcefe hunderte
von Exemplaren des marcionitifchen Evangeliums
caffirt habe, hinzuweifen gewefen. Der reizbare Geift,

fich übrigens fchon in jenem bekannten Bericht des Ire-
624 u. XV, 1266 S. gr. 8.) M. 40. — , näus über Polykarp an, jener feiige und apoftolifche Pres-

Diefes mächtige Werk füllt eine Lücke in der Kir- | byter, wenn er valentinifche Lehren gehört hätte, hätte