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Ausgabe:

1886

Spalte:

77-81

Autor/Hrsg.:

Wasserschleben, Herm.

Titel/Untertitel:

Die irische Kanonensammlung. 2. Aufl 1886

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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I heologifche Literaturzeitimg. 1886. Nr. 4.

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Hie und da ift es dem Verf. aucli geglückt, Zweifel an
bisher nicht Bcanftandetem zu erregen. Doch bezieht
fich das auf untergeordnete Punkte (f. die Noten zu c.
2 u. 3). Der Verf. erzählt die Gefchichte bis zur Con-
verfion Reccared's. Die Chronologie des Ulfilas hat er
noch einmal forgfältig geprüft und Beffel's Datum
("Ulfilas f 381) richtig befunden. Bei der Befprechung
der Bibelüberfetzung find die meiften wichtigen Punkte
(Influenae of the Italian MSS. — ldiomatic Renderings —
Traccs of Teutonic Ideas) befprochen; man dürfte hier
aber mit Recht gröfsere Vollftändigkeit verlangen.

Der Vcrfaffer ift auch auf den räthfelhaften Audius
und die Audianer (p. 74 sq.) eingegangen. Ich erlaube
mir beiläufig an die Sprachkundigen die Anfrage zu
richten, ob udvdiog (".'.'(hoc) nicht ein germanifcher Name
ift. Griechifch ift der Name fchwerlich. Ob er femitifch
ift, vermag ich nicht zu fagen. War ,Odius' (Odo?) ein
Gothe — das kann er gewefen fein, obgleich er nach
Epiph. haer. 70, 1 aus Mefopotamien flammte — fo erklärt
fich feine Wirkfamkeit bei den Gothen. Dafs er
nur fyrifch gefprochen hat, ifl fchwerlich glaubwürdig.

Schliefslich fei ein Flüchtigkeitsfehler des Verfaffers
(p. 127 n. 2) corrigirt: Dr. von Gebhardt und der Ref.
haben in Roffano nicht ,<z Greek liturgy written in silver
uncials lipon a purple ground', fondern eine Purpurhand-
fchrift der Fvv. des Mtth. und Marcus entdeckt.

Giefsen. Adolf Harnack.

Wasserschieben, Geh.-R. Prof. Dr. Herrn., Die irische
Kanonensammlung. 2. Aufl. Leipzig, B. Tauchnitz, 1885.
(LXXVI, 243 S. gr. 8.) M. 10. —

Schon die erfte Auflage des vorliegenden Buches
(Giefsen, J. Ricker 1874, XXIV u. 274 S.) gehörte wegen
ihres auch für die Kirchengefchichte wichtigen Inhalts
nicht den Juriften allein. Diefe zweite Auflage ift als 1
.Zeichen der Dankbarkeit' ausdrücklich der theologifchen j
Facultät der Univerfität Giefsen zugeeignet, die dem Herrn j
Verfaffer zu feinem 70. Geburtstag (1882) durch Ver- I
leihung der Doctorwürdc für die mannigfache Förderung
dankte, die der kirchengefchichtlichen Forfchung aus
feinen Arbeiten — ich erinnere nur an Pfeudoifidor und
an die Bufsordnungen — erwachfen find. Um fo mehr
Veranlaffung liegt vor, diefe zweite Auflage der irifchen
Kanonenfammlung hier zu befprechen. Eine Feuers-
brunft, die im J. 1884 den Lagerbeftand der erften Auflage
vernichtete, hat dazu dienen müffen, es an's Licht |
zu ziehen, wie eifrig der Herr Verf. felbft an diefem [
Stoffe weitergearbeitet hat, den noch einmal herausgeben
zu müffen, er fchwerlich erwarten konnte.

Der Text der Sammlung felbft ift freilich im Wefent-
lichen unverändert geblieben, doch felbft hier zeigt fich
in den quellenkritifchen und textkritifchen Anmerkungen
durchgängig die ergänzende Neubearbeitung, auch find
drei (bezw. vier vgl. S. XXVII, Anm. *) Ilandfchriften
neu herangezogen. Völlig neu aber ift die Einleitung.
Sie umfafst einfchliefslich des .Nachtrags' mehr als dreimal
den Umfang der Einleitung der erften Auflage. Von
ihren drei Abfchnitten ift der erfte (,Von den Quellen,
der Verbreitung und den Handfchriften der irifchen
Kanonenfammlung p. XIII—XXXV) eine Neubearbeitung
der Einleitung der erften Auflage, die beiden andern Ab-
fchnitte aber (II: ,Die irifche und die römifche Kirche'
XXXV—XLVIII; III: ,Von den fonftigen Eigenthümlich-
keiten des irifchen kirchlichen und bürgerlichen Rechtes'
XL1X—LXII) haben in der alten Auflage überhaupt keine
Parallelen.

Der erfte Abfchnitt der Einleitung hat für uns nicht
nur das Intereffe, welches die Kirchengefchichte an der
Gefchichte des Kirchenrechts überhaupt nehmen mufs.
Der Hibernensis gegenüber find die P'ragen nach Ent-
ftehungs-Zeit und -Ort wichtiger als ähnliche Fragen

anderorts, weil es uns intereffirt, zu wiffen, welcher Quellen-
; werth der Sammlung für die Erkenntnifs der altirifchcn
! Kirche zukommt. Die Zeit der Hibernensis ift mit ziemlicher
Sicherheit zu fixiren : drei Handfchriften des S.Jahrhunderts
(W. p. XXX sqq. Nr. 2. 3. 5), die Benutzung
des Pocnitentialc Theodor's v. Canterbury (f 690) und die
I Nichterwähnung Beda's weifen auf ca. 700. Zweifelhafter
ift der Ort der Entftehung. Die Frage ift meines Erachtens
wichtiger, als W. p. XIV meint, denn fchwerlich
ift die Frage nach dem Geltungsbereich der Sammlung
von jener unabhängig, und auch für die Frage nach dem
Quellenwerth ift es nicht gleichgiltig, ob die Hibernensis
auf einem Gebiete entftand, wo — wie noch um 700 in
Nordirland — eigentümlich irifche Kirchenverhältnifse
beftanden römifchem Unionsdrängen zum Trotz, oder da,
wo die irifchen Sonderfitten bereits in's Unrecht gefetzt
waren, wie feit ca. 630 in Südirland, feit 664 in Nord-
humbrien. An Nordhumberland, wo zu Erzbifchof Theodor
's Zeit (668—690) die römifchen Einflüffe mit den unterlegenen
irifchen fich in bunter Weife kreuzten, habe ich
vermuthungsweife gedacht {Antiquae Britonum Scotorum-
que eeclesiae p. 76). W. weift (p. XIV) dies zurück, ohne,
wie mir fcheinen will, die eigenthümlichen Verhältnifse
Nordhumberlands ganz zu würdigen. Dennoch möchte
ich jene vorlaute Vermuthung zurücknehmen, da die
r rage nach dem Entftehungsort und dem Geltungsbereich
der Hibernensis inzwifchen in ein Stadium getreten ift,
in welchem ein Recht zum Urtheilen nur den eingehend-
ften Specialftudien zugeftanden werden kann. W. publi-
cirt nämlich in dem Nachtrage zu feiner Einleitung
(p. LXI1I — LXXVI) einen an ihn gerichteten umfangreichen
Brief des Herrn Henry Bradfhaw, Univerfitäts-
bibliothekars zu Cambridge, d. d. 28. Mai 1885, in welchem
diefer, auf fpätere Begründung verweifend, die Re-
fultate feiner jahrelangen Arbeit über die Herkunft der
Hibernensis zufammenfafst. Br. glaubt beweifen zu können
: 1) dafs alle 13 Handfchriften der Hib. direct oder
indirect aus der Bretagne flammen, 2) dafs der Verf. der-
felben Cummean, Abt von Dairinis in Südoftirland, gewefen
fei, der Verf. auch des Poenitentiale Cumeani, der,
wie das Poenitentiale beweift, im Anfang des 8. Jahrhunderts
von Irland nach dem Continent kam [und vielleicht
identificirt werden könnte mit dem irifchen Bifchof
Cumean, der zu König Liutprand's Zeit (712 — 744) in
Bobbio lebte und ftarb {Dictionary of Christ. Biogr. I. 721.
Nro 2)]. W. beftreitet in den Anmerkungen zu ßr.'s Brief
den bretonifchen Urfprung der wichtigiten Handfchriften
mit einleuchtenden Gründen. Erft eine forgfältige Durcharbeitung
des gefammten handfehriftlichen Materials wird
feftftellen können, ob wirklich, wie aus Br.'s Thefen folgen
würde, die Hib. nie für irifche oder irifch-römifche Kirchengebiete
Bedeutung gehabt hat. Br.'s Annahme füd-
irifchenUrfprungs der Sammlung ift unabhängig von diefen
handfehriftlichen Unterfuchungen und erfcheint durchaus
annehmbar, fo fraglich auch z. Z. die Herleitung von
dem Verf. des Poenitentiale Cumean's bleiben mufs. Dort
in Südirland war in der That der Boden vorhanden, auf
dem die mannigfachen Fälfchungen entftanden fein können
, welche die Hibernensis verwerthet. Diefer Fälfchungen
wegen habe ich {Antiquae etc. p. 39. 46. 76. 77. 82.
83) nur befchränkten Gebrauch gemacht von der Sammlung
, diefer Fälfchungen wegen ift der Quellenwerth der
Hib. für die Erkenntnifs der altirifchen Kirche meines
Erachtens geringer, als er in W.'s Beleuchtung zu fein
fcheint. W. rühmt S. XIII die befondere Wichtigkeit,
welche die irifchen Quellen der Hib. ihr verleihen. Allein
wie fleht es mit diefen? Von den Befchlüffen der beiden
angeblich von Patrick gehaltenen Synoden (Hefele II,
5850"., Haddan and Stubbs, Councils II, 2 328^.), die
auch VV. {cf. p. XX, Anm. *** und p. L) für weit jüngere
Fabrikate hält, find in der Hib. die der fog. syn. II
allerdings nicht dem heil. Patricius zugefchrieben (lie er-
fcheinen vielmehr mit wenigen, doch die Einzahl — An-