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Ausgabe:

1886 Nr. 3

Spalte:

59-66

Autor/Hrsg.:

Seeberg, Reinhold

Titel/Untertitel:

Der Begriff der christlichen Kirche. I. Tl 1886

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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59 Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 3. 6p

nach ftrengerer Terminologie allein Bafilika nennt, fchon
vor dem J. 313 vorhanden gewefen ift. Dies fcheint mir
keineswegs ficher zu fein, und andererfeits ift die Ver-
wandtfchaft der dreifchiffigen Bafilika und der einfchiffigen
scliola eine fehr grofse. Doch — ich hoffe fpäter noch
auf diefe Frage eingehen zu können: ich möchte hier
das Intereffe nicht von der trefflichen Publication Dehio's
und v. Bezold's ablenken, deren Fortfetzung uns hoffentlich
bald erfreuen wird.

Giefsen. Adolf Harnack.

Seeberg, Privatdoz. Mag. Reinhold, Der Begriff der christlichen
Kirche. 1. Tl.: Studien zur Gefchichte des Begriffes
der Kirche mit befonderer Beziehung auf die
Lehre von der fichtbaren und unfichtbaren Kirche.
Erlangen, Deichert, 1885. (X, 236 S. gr. 8.) M. 3. —

Der Verf. hat nicht eine erfchöpfende Gefchichte
des Begriffes der Kirche, gefchweige denn der gefamm-
ten Lehre von der Kirche fchreiben wollen, fondern fich
auf die Gefchichte der Unterfcheidung zwifchen ,Wefen
und Erfcheinung' der Kirche befchränkt, die den Formeln
,unfichtbare und fichtbare Kirche' zu Grunde liegt, allerdings
in der Ueberzeugung, dafs das Problem des Kirchenbegriffes
fich von hier aus am klarften ergebe. Ift fomit
feine Arbeit eine Parallele zu dem I. Theil des Buches
von A. Kraufs ,Das prot. Dogma von der unfichtbaren
Kirche', fo ift fie doch ftofflich vollftändiger, weil fie
über Wiclif und Hus, bei denen Kraufs einfetzt, nicht
nur auf Auguftin zurückgeht, von dem das Gedankenmaterial
jener ftammt, fondern auch über die Lehre von
der Kirche vor Auguftin einen Ueberblick giebt. Zu der
Betrachtungsweife von Kraufs aber (teilt fich der Verf.
in den fchärfften Gegenfatz. Kraufs will Kirche, die ihm
organifirte empirifche Gemeinfchaft ift, in keiner Weife
als Gegenftand des Glaubens anfehen; für die Formel
unfichtbare Kirche fetzt er deshalb die andere, .Reich
Gottes,' das er auch über die Grenzen der hiftorifchen
chriftlichen Gemeinde hinausgreifen läfst. Und die Di-
(tinction zwifchen fichtbarer und unfichtbarer Kirche ift
ihm werthvoll, wo fie dazu dient, die fichtbare Kirche
herabzufetzen. S. dagegen findet den Richtpunkt feiner
Beurtheilung in Luther's Anfchauung, dafs die Gemeinde
derGläubigenkeineabfolut unfichtbareGröfseift, fondern an
Wort und Sacrament als den Gründen ihres Dafeins und
den Gegenftänden ihrer Bethätigung ihre fichtbaren Kennzeichen
hat, und dafs das Prädicat der Unfichtbarkeit
ihr nur infofern zukommt, als es ein Glaubensurtheil
ift, dafs Wort und Sacrament allezeit Gemeinde der
Gläubigen hervorbringen. Die ,Gnadenmittel', ,die Garanten
der irdifchen Realität der Gnade Gottes' find ihm
das conftitutive und Einheit fetzende Merkmal des Kir-
chenbegriffes, das fowohl über ihr ,Wefen' entfcheidet,
fofern dies fich nur in denen realifirt, in welchen fie
Glauben hervorbringen, als auch eine Differenzirung des
Kirchenbegriffs im Gefolge hat, fofern in der .Erfcheinung
' der Kirche unter den den Gnadenmitteln Unter-
ftellten eine Verfchiedenheit des Verhaltens zur Thätig-
keit Gottes ftattfindet. Demgemäfs bekämpft er nicht
nur die Erftreckung des Reiches Gottes über die Grenzen
der hiftorifchen Kirche, nicht nur jede Spaltung der
Kirche in eine fichtbare Anftalt und ein unfichtbares
Geifterreich, fondern auch die Anficht, dafs die Kirche
das Product des Zufammentretens der gläubigen Einzelnen
fei. Auf das lebhaftefte tritt er dafür ein, dafs
die Gemeinde als Ganzes, als hiftorifches Volk Gottes
das prius fei, und dafs die Gliedfchaft an diefem Ganzen
erft die von jeder menfchlichen Auctorität unabhängige
Selbftändigkeit des Chriften und feine perfönliche Beziehung
zu Gott und Chriftus begründe. Diefe dogma-
tifchen Gefichtspunkte, mit denen Ref. bis hierher fich
völlig einverffanden weifs, mufsten um fo mehr hervorgehoben
werden, als die Schrift des Verf.'s aus einem
fyftematifchen Intereffe von höchft erfreulicher Lebhaftigkeit
hervorgegangen ift. Es mufs aber als ein Mangel
diefes leitenden Gefichtskreifes bezeichnet werden, dafs
der Verf., wohl in P"olge der Befchränkung feines Thema's,
die er doch nicht hat durchführen können, die religiöfen,
ethifchen und rechtlichen Merkmale des Kirchenbegriffs
nicht deutlich auseinandergehalten und gegen einander
abgeftuft hat. Gewifs hängt ihm ja die Wirkfamkeit der
Gnadenmittel nicht von der rechtlichen Ordnung ihrer
Verwaltung ab, fo entfchieden er mit Recht die fittliche
Nothwendigkeit einer folchen betont; aber eben deshalb
hätte er auch deutlich hervorheben müffen, dafs der Umfang
der die Gemeinde der Gläubigen hervorbringenden
Gnadenmittel und darum der Kirche, aufser welcher kein
Heil ift, oder der Kirche im religiöfen Sinn über den Um-
i fang der Thätigkeit der organifirten Kirche hinausgreift,
! dafs die letztere, zumal in ihrer particularen Exiftenz,
1 wohl Gegenftand fittlicher Verpflichtung, Gegenftand des
Glaubens aber nicht als folche ift, fondern nur fofern
fie in dem weiterreichenden Gefammtumfang der Wirk-
| famkeit des Worts von Chrifto miteinbegriffen ift. Es
' i(t insbefondere die Rechtsordnung des Bekenntnifses,
die ihm in Folge diefer Unklarheit aus einem abgelei-
I teten Merkmal relativen Werthes zu einem Wefensmerk-
| mal abfoluten Werthes für die Kirche wird. Ebenfo-
wenig hat er die ethifchen Merkmale der Kirche, oder
diejenigen activen menfchlichen Functionen, in denen die
gläubige Gemeinde ihre Wirklichkeit als Kirche hat, von
anderen Functionen deutlich abgegrenzt, die zu der Wirklichkeit
der gläubigen Gemeinde nicht minder gehören.
Es ift völlig zutreffend, wenn er fich gegen eine Unterfcheidung
von Kirche und Reich Gottes Iträubt, bei der
das letztere nicht als Erzeugnifs der gefchichtlichen
Mittel des Heils erfchiene. Ferner, fowie das letztere
die von Gott hervorgebrachte Gefammtwirklichkeit des
chriftlichen Heilslebens ift und Kirche als Gegenftand
des Glaubens das Gefammterzeugnifs der gefchichtlichen
Mittel des Heils bedeutet, fallen Kirche und Reich Gottes
gewifs zufammen. Wenn er nun aber auf die menfchlichen
Functionen reflectirt, deren rechtliche Organifation
das ift, was wir empirifche Kirche nennen, fo giebt er
i felbft keine andere an, als die der Verwaltung von Wort
und Sacrament. Da nun nach Luther Staat, Ehe, Beruf
einerfeits gegen die organifirte Kirche felbftändig und
dennoch legitime Stätten der Bewährung von Glaube
und Liebe der Chriften oder der Gerechtigkeit des Gottesreiches
find, fo ift es zur Vermeidung der romaniftifchen
wie der pietiftifchen Verfchiebung der Begiffe von Kirche
und chriftlicher Sittlichkeit unumgänglich, die Kirche,
wie fie Gemeinfchaft activer Functionen von Menfchen
ift, von dem Reiche Gottes, infoweit es gleichfalls eine
folche ift, zu unterfcheiden. Der Verf. durfte darum
nicht fagen, dafs es nach Luther keine andere Wirklichkeit
des Reiches Gottes giebt, als in der fichtbaren
Kirche; er mufste dafür fetzen: als im Zufammenhang
mit der fichtbaren Kirche.

Was nun die hiftorifche Darfteilung felbfl anlangt,
fo ift nicht nur zu rühmen, dafs der Verf. in feiner bis
auf die Gegenwart reichenden Gefchichte des Kirchenbegriffs
einen möglich!! vollftändigen Bericht über alle
dogmatifchen Anfchauungen geliefert hat, fondern auch,
dafs er ftets darauf bedacht ilt, die Hauptfäden der Entwicklung
klar zu legen und den bleibenden Werth oder
Unwerth der Gedanken zu beleuchten. Leider fehlt diefen
Vorzügen der Schatten nicht, dafs nicht feiten ein Mangel
an Sorgfalt in der Benutzung der Quellen zu erkennen
ift, und dafs faft durchweg es dem Verf. an der gefchichtlichen
Objectivität fehlt, die Licht und Schatten
gerecht vertheilt und fich der Confequenzmachcrci ent-
fchlägt. Der Verf. lieht eine Reihe gefchichtlicher Er-
fcheinungen nur durch die Brille des Ivrlanger oder Dor-
pater Lutherthums. Ref. giebt gern zu, dafs diefe Mängel