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Ausgabe:

1886

Spalte:

55-59

Autor/Hrsg.:

Dehio, Georg

Titel/Untertitel:

Die kirchliche Baukunst des Abendlandes, historisch und systematisch dargestellt 1886

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 3.

der Verfälfchung des Briefes darf demgemäfs als aufscr- j wir das gefammte bisher veröffentlichte, über eine Unordentlich
unwahrfcheinlich betrachtet werden. Es kommt 1 zahl von Sammelwerken, Monographien und Zeitfchriften
dazu, dafs diejenigen, welche den Interpolator des Poly- ! zerftreute Material durchfehen, kritifch prüfen und ficli-
karpbriefes für identifch mit dem Interpolator refp. dem ten, endlich in einer dreng fyftematifch geordneten Aus-
Fälfcher der Ignatiusbriefe halten, nicht zu erklären ver- j wähl reproduciren. Hiebei gilt uns für felbftverftändlich,
mögen, warum derfelbe nicht in den Polykarpbrief feine dafs es mit den bibliothekarifchen Studien nicht genug
eigenthümlichen ,hochkirchlichen' Ideen eingefchwärzt ift. Die einfichtsvolle Liberalität der Verlagshandlung
hat, wenn doch — angeblich — die Verbreitung diefer ! hat uns inflandgefetzt, umfaffende Studienreifen zu unterIdeen
fein eigentlicher Zweck gewefen ift. Derfelbe Mann, ; nehmen und fo die Selbftändigkeit unferes Urtheils zu
der die Ignatiusbriefc fei es nun fingirt fei es verfälfcht I fichern, die vorhandenen Publicationen zu controliren
hat, um feinen Kirchenbauplänen eine Autorität zu ver- und zu berichtigen'. Alle gröfseren Studienreifen haben
fchaffen, foll fo raffinirt oder fo thöricht gewefen fein, die beiden Herausgeber gemeinfchaftlich ausgeführt und
bei feiner Arbeit am Polykarpbrief, den er faft um die werden es auch künftig fo halten.

Hälfte vermehrt hat, doch mit keinem Worte des Bifchofs In der bisher erfchienenen 1. Lieferung liegen die

und des Clerus zu gedenken! Er foll dabei ferner fo '■ Tafeln für den chriftlich-antiken Stil (1—39) und 38
liftig gewefen fein, dem echten Polykarp den Stil, den j Tafeln für den romanifchen Stil vor; in dem beigege-
Wortvorrath, die termini tec/inici abzulaufchen und aus | benen Textbuch find jedoch nur die erlten 46 Tafeln
demfelben Briefe zu fchöpfen, aus welchem der Bifchof 1 befprochen. Dasfelbe iit zum gröfseren Theile von Dehio
gefchöpft hat! Allerdings — wenn wirklich, wie es 1857 ! verfafst. ,Indefs hat jeder der beiden Herausgeber die
noch ftand, die Confequenz unweigerlich wäre: Ift der j Arbeit feines Collegen revidirt und ergänzt, fo dafs die
Polykarpbrief echt und einheitlich, fo ftammt er aus der 1 Arbeit im Ganzen eine gemeinfchaftliche ift, für welche
Zeit Trajan's, fo müfste der Ausweg, den Ritfehl ge- ! wir folidarifch einftehen'.

zeigt hat, trotz feiner drückenden Schwierigkeiten viel- Die Tafeln an der Hand des Textbuches zu beleicht
doch betreten werden. Aber diefe Folgerung gilt I fchauen, ift ein Genufs und eine Freude. Das Buch fagt
nicht mehr. Dafs jetzt nach faft dreifsig Jahren und nach | nicht zu viel; man möchte hie und da noch mehr hören,
allem, was feitdem gefchrieben ift, die Ritfchl'fche Hypo- j Der zufammenhängenden Befchreibung ift eine Einleitung
thefe in der Form einer Textrecenfion einfach ohne Be- j vorangeftellt (S. 1 —16). In knappfter Form orientirt fie
gründung repriftinirt wird, ift eine Seltfamkeit, für die ich ! vortrefflich über die Anfänge der kirchlichen Baukunft
eine Rechtfertigung nicht weifs. im Zufammenhang mit der allgemeinen Gefchichte der

Giefsen. Adolf Harnack. ! Kirche und der Cultur. In allen Hauptfragen, die Be-

urtheilung des Urfprungs und Inhalts der kirchlichen

Oehio, Prof. G., und Archit. G. von Bezold, Die kirchliche ! Kunft betreffend, freut fich der Ref. mit dem kundigen
Baukunst des Abendlandes, hiftorifch und fyftematifch Verfaffer übereinzuftimmen. Im Folgenden fei einiges
dargeftellt. 1. Lfg. Hierzu ein Bilderatlas von 77 Taf. , besonders Gelungene hervorgehoben und E.niges be-
0i °. ^ ... „„ ,,,TIT e 0, 1 zeichnet, was mir nicht richtig erfcheint.

Stuttgart, Cotta, 1884. (VIII, 200 S. gr. 8.) M. 25. - g 4: .Das Chriftenthum bot der Welt einen neuen

Später, als mir lieb ift, ift es mir vergönnt, die Lefer Gottesbegriff und eine neue Sittenlehre, ein allfeitiges
diefer Zeitung auf vorftehendes Werk aufmerkfam zu Syftem menfehlicher Bildung brachte es von fich aus
machen, welches es wie kein anderes dem Laien ermög- nicht mit. Und wie hätten die Angehörigen der hellelicht
, die Gefchichte der kirchlichen Baukunft des Abend- niftifch-römifchen Cultur, indem fie fich nach und nach
landes zu ftudiren. Zwei hochgefchätzte Fachmänner der chriftlichen Heilslehre zuwandten, ihrer ererbten,
haben hier in Verbindung mit einer berühmten Firma fchon längft ausgereiften und abgefchloffenen Bildung
ein Unternehmen begründet, welches in feinem vorlie- fich entäufsern können ohne Seibitvernichtung? Es gehört
genden Theile bereits des wärmften Dankes licher ift j mit zu der weltgefchichtlichen Miffion des Chriftenthums,
und, vollendet, ein wahrer Schatz für jeden Hiftoriker dafs es wichtige Beftandtheile der antiken Cultur, felbft
und Kunftfreund fein wird. Der Aufforderung, das unter mancherlei Einbufse der Reinheit feiner eigenen,
fchöne Werk den theologifchen Fachgenoffen nahe zu urfprünglichen Idee, fich aneignen, weitertragen und zur
legen, wollte ich mich nicht entziehen; eine ,Recenfion' künftigen Wiedergeburt aufbewahren mufste . . . Die
vermag ich nicht zu liefern: daher im Folgenden nur Kirche konnte faft zu einem Staat im Staate heran-
einc kurze Befchreibung und einige kirchenhiftorifche wachfen, ein Volk im Volke bilden nimmermehr'.
Gloffen zum Texte. S. 6 (Zur älteften Katakombenmalerei): ,Viel ver-

Das Werk will unmittelbar an die Monumente felbft kehrte Anftrengungen des Scharffinns wären erfpart und
heranführen und feinen Schwerpunkt in die bildliche Dar- wechfelfeitige Mifsverftändnifse der Forfchcr vermieden
ftellung legen; durch Reichhaltigkeit, Correctheit und worden, wäre man nicht über die einfache Wahrheit,
planvolle Anordnung — der Atlas ift auf 400—420 Ta- dafs eine von Chriften geübte Kunft nicht fchon an
fein veranfchlagt — foll das Werk alle ähnlichen über- fich auch eine chridliche Kunft dem Geilte nach zu
treffen. ,Das meide, worauf es ankommt, foll der Be- fein brauche, in blinder Präoccupation fo oft hinweg-
nutzer direct aus dem Bilderatlas ablefen können. Dem gegangen'.

Text fällt die Aufgabe zu, die weitere Ausführung, Er> S. 7: ,Zwifchen den Extremen des griechifch-kund-

gänzung und Verbindung zu geben'. Dabei befchränkt freudigen Gnodicismus und des femitifch-kundfeheucn
es fich dreng auf den chridlichen Kirchenbau des Abend- Montanismus bewahrt die Praxis der katholifchen Kirche
landes von feinen Anfängen bis zum Erlöfchen der origi- [ eine neutrale Mitteldellung'. Mit dem Gnodicismus hat
nalen Productionskraft in den Ausläufern der Renaiffance. es feine Richtigkeit, fofern man darunter eben Hellcnis-
Die Einheitlichkeit der Behandlung foll möglichd ge- mus innerhalb der Chridenheit verdeht; datt ,femitifch'
wahrt werden. Sie kommt neben Anderem vor allem wäre aber richtiger ,ATlich' zu fagen; ,Montanismus' id
auch darin zum Ausdruck, dafs ein einheitlicher Mafs- zu eng, und ,dic neutrale Mitteldellung der Kirche' führt
dab bei der Reproduction durch das ganze Werk durch- in eine falfche Richtung.

gefuhrt id (für Grundriffe 112 mm = 1 m, für Schnitte S. 7: ,Ganz gewifs wäre der von mifsverdändlichem

5 mm = I m). Trotz der grofsen Schwierigkeiten haben Eifer eingegebene moderne Gedanke einer aus der allge-
die Verfaffer, ganz wenige F'älle abgerechnet, diefen meinen Kundübung ausgefchiedenen fpeeififch-chrid-
Grundfatz wirklich feftgehalten; für die architektonifchen | liehen Architektur den alten griechifchen und römifchen
Details durften de fich natürlich nicht an einen condan- Chriden ein völlig unverdändliches Ding geblieben. Wahrten
Mafsdab binden. ,Nach dem fkizzirten Plane wollen lieh ganz andere Dinge als Neugedaltung der Kund

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