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Ausgabe:

1886

Spalte:

52-53

Titel/Untertitel:

Das Neue Testament griechisch, mit kurzem Commentar nach Dr. W. M. L. de Wette. teil II 1886

Rezensent:

Schürer, Emil

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Stapfer, Edmond, La Palestine au temps de Jesus-Christ

d'apres le Nouveau Testament, l'historien Flavius Josephe
et les Talmuds. Paris, Fifchbacher, 1885.
'53i P- 8.)

Im Jahrgang 1878 der Theol. Literaturzeitung (Nr. 17)
ift von uns befprochen ein Werk von Stapfer, Les
idees religienses en Palestine a Lepoque de Jesus-Christ,
2. ed., Paris 1878. Schon damals wurde von dem Verf.
eine Fortfetzung in Ausficht geftellt über das religiöfe
und fociale Leben in Paläftina zur Zeit Jefu Chrifti.
Diefe Fortfetzung liegt nunmehr vor. Entfprechend jener
Ankündigung zerfällt das neue Werk in zwei Haupttheile:
I, über das fociale Leben (S. 37—256), und II, über
das religiöfe Leben (S. 257—477). Diefe Ueber-
fchriften geben indeffen keine deutliche Vorftellung von
dem Inhalte; denn das Buch behandelt alles das, was
man herkömmlicher Weife unter dem Begriff der ,Alter-
thümer' zufammenzufaffen pflegt. Wie mannigfaltig die
behandelten Stoffe find, mag folgende Inhaltsüberficht
zeigen.

Das erfte Buch (über das fociale Leben) giebt zu-
erft einen Abrifs der Geographie (S. 39—72), dann einen
folchen der politifchen Gefchichte (S. 73—91). Es handelt
weiter über das Synedrium und das Gerichtswefen (S. 92
—117), über die Bevölkerung Paläflina's (S. 118—136), über

Grund gegangen. Allerdings ift ja eine wiffcnfchaftliche
Orientirung auch in der von dem Verf. gewählten Kürze-
möglich. Dann müfste aber auf eine fchildernde Oar-
ftellung verzichtet werden, und nur das Material felbft
in knappfter Form gegeben werden mit möglichft reichhaltigen
Quellen- und Literaturangaben, welche dem Lefer
überall den Weg zeigen, auf welchem er zu fpeciellercr
Orientirung gelangen kann. Es müfste alfo etwa die
Form von de Wette's Lehrbuch der hebräifch-jüdifchen
Archäologie (4. Aufl. von Kaebiger, Leipzig 1864) gewählt
werden, das ungefähr denselben Stoff behandelt
wie Stapf er, aber auf noch etwas kleinerem Raum ungleich
mehr Material bietet als diefer. Die von letzterem
gewählte Form giebt ja für Nicht-Theologen eine ganz
zweckmäfsige Ueberficht; für wiffcnfchaftliche Zwecke
bietet fie zu wenig Detail.

Giefsen. E. Schürer.

Das Neue Testament griechisch, mit kurzem Commentar nach
Dr. W. M. L de Wette. Teil II, enthaltend die Briefe
und die Apokalypfe. Halle, Anton, 1885. (VI, 7G2 S.
Lex.-8.) M. 15. — c

Unfere gelehrten Commentare zum Neuen Teftamente
find faft ausnahmslos mit fo viel Mnterial belaftet, dafs
es für einen Studirenden thatfächlich unmöglich ift, wäh-
das Privatleben nach feinen verfchiedenen Seiten: Schul- I rend der Studienzeit auch nur die Hälfte des Neuen Tefta-

wefen, Stellung der Frauen, Sklaven, Ethe, Begräbnifs, ; mentes mit Hülfe eines folchen Commentares durchzu-
Wohnung, Nahrung und Bekleidung (S. 137—199); ferner j arbeiten. Die Folge davon ift, dafs felbft die Strebuber
das öffentliche Leben in feinen verfchiedenen Be- i fameren nur ein paar Hauptbücher des Neuen Teftamentcs

Ziehungen: Mafse, Münzen, Zeitrechnung, Steuern
(S. 200—215), Landbau, Witterung, zahme und wilde
Thiere, Reifen und Gaftfreundfchaft (S. 216—230), Kunft
und Literatur, fpeciell die Pfalmen Salomo's, die Sibyl-

in diefer Weife eingehender ftudiren, im Uebrigen aber
fich mit einer fehr curforifchen Leetüre begnügen. Wie
diefer Uebelftand zu befeitigen ift, haben uns die prak-
tifchen Engländer längft gezeigt. Sie befitzen Commen-

inen, Buch Henoch, Affumptio Mofis, Jubiläen, Targume, j tare zum Neuen Teftamente, welche ftreng wiffenfehaft-
viertes Buch Efra (S. 231—241), endlich über die einzel- j lieh gehalten find, aber in der Form fo knapp, dafs die
nen Wiffenfchaften, über Dämonifche, Ausfätzige und vollftändige Durcharbeitung eines folchen Commentares
dgl. (S. 242—256). ; zum ganzen Neuen Teftamente nicht zu den Dingen der

Das zweite Buch (über das religiöfe Leben) be- < Unmöglichkeit gehört. Der griechifche Text kommt darin
handelt folgende Themata: Pharifäer und Sadducäer 1 vollftändig zum Abdruck, und unter dem Text wird eine
(S. 259—276), Hillel und Schammai (S. 277—288), die zwar kurz gehaltene, aber immerhin doch fo eingehende
Schriftgelehrfamkeit 'S. 289—300), die philofophifchen 1 Erklärung gegeben, dafs ein ficheres Verftändnifs des
Ideen der Pharifäer und Sadducäer (S. 301—314), die Zu- Textes gewonnen werden kann.

kunftshoffnung (S. 315—321), das Synagogenwefen (S. 322 Diefen englifchen Vorbildern entfpricht nun in der

—334), die Sabbathgefetze (S. 335—345), die Autorität Form ziemlich genau das hier anzuzeigende deutfehe
der heiligen Schrift und das Wefen der jüdifchen Fröm- Unternehmen. Der griechifche Text ift darin vollftändig
migkeit (S. 346—360;, Reinheitsgefetze, Faften und AI- mitgetheilt (nach der letzten Recenfion Tifchendorf's),
mofen (S. 361 —371), das Gebet (S. 372—387), der Tempel und unter dem Text wird eine knappe, aber doch im
und feine Einrichtung, die Priefter und der priefterliche Wefentlichen ausreichende Erklärung gegeben. Der Um-
Cultus (S. 388 — 422), die grofsen Jahresfefte (S. 423—435), fang derfelben läfst fich darnach bemeffen, dafs in (liefern
die Effener (S. 436—451), die Hauptthatfachen des Lebens einen Bande (von 762 Seiten in Lexikonformat) die fänimt
jefu und die Predigt des Evangeliums (S. 452- 477). ; liehen Briefe des Neuen Teftamentes und die Apokalypfe

Der Inhalt ift aber nicht nur mannigfaltig, fondern
er ift auch ein bischen bunt. In manchen Fällen ift es
recht räthfelhaft, weshalb der Verf. die getroffene Anordnung
gewählt hat. Weshalb ift z. B. von Hillel und
Schammai früher die Rede, als von der Schriftgelehrfamkeit
überhaupt, und von diefer wieder früher, als von der
Autorität der heiligen Schrift: Gerade die umgekehrte
Ordnung dürfte die richtige fein. So ift aber auch fonft
die Logik in der Anordnung oft fchwer zu ergründen.
Von gröfserem Belang ift jedoch noch ein anderer Um-
ftand. Das Werk ift ein eigenthümliches Zwifchen-Ding
zwifchen populärer und wiffenfehaftlicher Behandlung.
Der Text mit feiner überfichtlichen Kürze, vermöge deren

enthalten find. Die Erklärung des ganzen Neuen Teftamentes
würde alfo nur zwei derartige Bände umfaffen.
Das fcheint mir in der That ungefähr das richtige Mafs
für ein Handbuch, deffen vollftändige Durcharbeitung
von einem Studirenden erwartet werden kann. Infofern
müfste man alfo diefes Unternehmen auf's Freudigfte
willkommen heifsen. Die nähere Bcfchaffenheit desfelben
läfst aber eine folche Freude doch nicht aufkommen.
Es ift nämlich ein einfaches Plagiat aus de Wette, das
dadurch nicht beffer wird, dafs es auf dem Titel offen
als folches bezeichnet wird. Der ungenannte .Bearbeiter'
hat auf jede eigene Arbeit verzichtet und giebt fchleclit
und recht einen Auszug aus de Wette. So viel ich weifs,
überall nur die Hauptpunkte berührt werden, macht mehr gehört das Handbuch de Wette's noch dem Htrzel'fchen
den Eindruck einer populären Darfteilung. Die Quellen- ! Verlage an. Diefer .kurze de Wette' ift in anderem
citate in den Noten zeigen aber, dafs das Werk wiffen- Verlage erfchienen — ob mit Einwilligung der Hirzel'-
fehaftlichen Zwecken dienen will. Für letztere kann je- fchen Buchhandlung, ift nicht gefagt; vermuthlich alfo
doch das vom Verf. Gebotene nicht als ausreichend be- ohne diefelbe. In diefem Falle könnte das Unternehmen
zeichnet werden. Er will möglichft viel geben, und giebt fogar in Conflict mit dem Strafgefetzbuch kommen. Jeden-
darum von Allem nur die auf der Überfläche liegenden falls ift es eine Verletzung der Pietät gegen de Wette,
Hauptfachen. Nirgends wird den Dingen recht auf den 1 dafs fein Werk hier ohne Weiteres im Dienfte buchhänd-