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Ausgabe:

1886 Nr. 2

Spalte:

40-45

Titel/Untertitel:

Die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums der Gegenwart 1886

Rezensent:

Rade, Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 2.

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zu. Diefes Staatskirchenrecht ift in der That von dem,
was die römifche Kirche als ihr Recht fortgefetzt behauptet
, himmelweit verfchieden. Trotzdem unterwirft
fie fich demfelben, wenn auch ohne es zu billigen (die
gewünfchte Approbation des Buches wurde von dem
Strafsburger Bisthumsverwefer höflich, aber unmifsver-
ftändlich abgelehnt, f. das Schreiben S. 238), ein Beweis,
wie viel fie toleriren kann, wenn fie will. Das Napoleo-
nifche Concordat wurde bei dem Uebergang der Reichslande
an Deutfchland von Rom aus als fortbeftehend
anerkannt, obwohl eine Claufel desfelben (Art. 17), da
ein Nichtkatholik Staatsoberhaupt geworden war, den
Anhaltspunkt dafür hätte bieten können, es zu kündigen
und fo den Culturkampf auch in das Reichsland zu verpflanzen
. Aber man befindet fich unverkennbar ganz
wohl unter der dortigen Staatstyrannei.

Die Darftellung des Rechts der proteftantifchen Con-
feffionen im dritten Theil folgt einem anderen Gange als
die des Rechts der katholifchen Kirche, mit gutem
Grunde bei der inneren Verfchiedenartigkeit der beider-
feitigen Organifation. Ob die gewählte Anordnung (,es
mufste mit dem Pfarramt als der Grundlage der Kirchen-
verfaffung begonnen werden, da fich das evang. Kirchenregiment
wefentlich aus der Vertretung der Pfarr- u. f. w.
Sprengel entwickelt', S. VIII) ganz fachentfprechend fei,
könnte beftritten werden; wenigftens will es nicht recht
paffen, dafs wichtige Functionen der Kirche, wie Unterricht
, Confirmation, Trauung,Beerdigung, nur anmerkungs-
weife unter dem Abfchnitt vom Pfarramt zur Sprache
kommen. Indeffen erklärt fich der eingehaltene Gang
daraus, dafs der Verf. nicht ein Kirchen recht, fondern
ein Staatskirchenrecht hat geben wollen. Intereffant
ift die Vergleichung des Rechts der proteft. Confeffionen
im Reichslande mit den entfprechenden Verhältnifsen j
der altdeutfchen ev. Landeskirchen. Durch den Zutritt von
Elfafs - Lothringen ift in den Complex der deutfehen
Landeskirchen ein Element hereingekommen, welches
fich in das hier geläufige Verfaffungsfchema fchwer einfügen
läfst. Schon die Frage, ob die Verfaffung der
reichsländifchen proteftantifchen Confeffionen das landes- |
herrliche Summepifkopat kenne, ift ftreitig. Der Verf. j
läfst fie unentfehieden (S. 355), u. E. mufs fie vernei- !
nend beantwortet werden. Die proteftantifchen Kirchen-
körper im Reichslande flehen als felbftändige, repu-
blikanifch organifirtc Genoffenfchaften im Staate da,
allerdings einer fehr weit gehenden Staatsaufsicht unter-
worfen. Möglicher Weife wird ihre Organifation nach j
diefer Seite hin noch einmal für andere Landeskirchen '
vorbildlich werden. Einen empfindlichen Mangel weift
übrigens die Verfaffung der reformirten Gemeinden des
Reichslandes infofern auf, als es für fie feit der Lostrennung
von Frankreich und der dortigen reformirten
Staatskirche an einer einheitlichen Spitze fehlt. Die fünf
reformirten Confiftorien flehen ohne organifchen Zu-
fammenhang und ohne eine gemeinfame Centraibehörde
neben einander. Eine Inftanz, welche zur Anbahnung
eines Verbandes zwifchen ihnen berufen wäre, ift nicht
vorhanden; nur auf dem Wege freiwilligen Zufammen-
fchluffes könnte es zu einem folchen kommen: es wäre j
in hohem Mafse zu wünfehen, dafs diefer Weg betreten
würde. Die Frage nach dem Urfprung und der Natur
des Summepifkopates lag für den Verf. aufserhalb feiner
Aufgabe. Was S. 355 darüber vorkommt (aus einem
Schreiben von Profeffor Thudichum in Tübingen), erledigt
die Frage nicht. Dafs das Summepifkopat der Landesherren
nicht auf Succeffion in die Rechte der katholifchen
Bifchöfe zurückzuführen fei, ift völlig zuzugeben; davon
jedoch, dafs dasfelbe, wie dort gefagt wird, durch Vereinbarung
des Landesherrn mit ihren Landftänden begründet
worden wäre, ift wenigftens in Heffen und auch
in Sachfen keine Spur zu entdecken.

Mit Recht hat übrigens der Verf. die Organifation
der beiden proteftantifchen Confeffionen im Reichslande,

der lutherifchen (Augsb. Bekenntnifs) und der reformirten,
in einem Abfchnitt zufammen behandelt. Die confeffio-
nellen Unterfchiede unter diefen find, wie die ganze Darfteilung
überzeugend erkennen läfst, dort in folchem
Grade verwifcht, dafs thatfächlich nur noch auf dem Gebiete
der Verfaffung von einzelnen und auch hier nicht
erheblichen oder charakteriftifchen Differenzen etwas zu
gewahren ift. Man hat bei der Bildung der jetzt noch
beftehenden Kirchenkörper im Anfang diefes Jahrhunderts
offenbar, obwohl die alten Confeffionsnamen beibehalten
wurden, an nichts weniger als daran gedacht, diefelben
auf fcharf abgegrenzte dogmatifche Grundlagen zu Hellen.
Für Bestrebungen im Sinne des norddeutfehen Confeffio-
nalismus würde vielleicht nirgends fo wenig gefchicht-
liche Anknüpfung zu finden fein, wie gerade in den
Reichslanden.

Wir fchliefsen mit dem Wunfche, dafs die fleifsige
und gediegene Arbeit des Verf.'s überall, fowohl in der
kirchlich-adminiftrativen Praxis feines Heimathlandes, als
bei der wiffenfehaftlichen Bearbeitung des deutfehen Kirchenrechts
die Würdigung finden möge, deren fiewerthift.

Mainz. K. Köhler.

Die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums der Gegenwart

Ein Wort an Docenten, Pfarrer und Studenten. Leipzig
, Lehmann, 1886. (IX, 109 S. gr. 8.) M. 1. 20.

,Das Unzulängliche, hier wird's Ereignifs'. Das Unzulängliche
war lange fchon da, Kirche und Amt litten
darunter, aber man nahm's hin wie ein nothwendiges
Uebel. Jetzt ift's zum Ereignifs geworden, da eine ernfte
Stimme fich erhoben hat und Wandel fordert. Bereits
hat die vorliegende Schrift Auffehen gemacht, und fie
wird, will's Gott, auch gute Wirkung thun.

Dafs der innere Zuftand unferer evangelifchen Kirche
ein befriedigender fei, wird nicht leicht jemand behaupten
. Der vorhandene Unmuth macht fich in allerhand
Parteikundgebungen auf Conferenzen und Synoden, in
zahllofen Artikeln kirchlicher und politifcher Zeitungen
Luft. Neuerdings kommt dazu die wachfende Zahl kleiner
Schriften, welche theils mit Pathos, theils mit Witz
und Ironie an dem gegenwärtigen Zuftande Kritik üben.
Wo eigentlich der Schade fitzt, darüber herrfcht natürlich
die gröfste Uneinigkeit. Was an Vorfchlägen zur
Befferung beigebracht wird, ift dürftig oder deckt fich
mit den alten, bekannten Forderungen der Parteiprogramme
oder fieht ganz darnach aus, wie wenn's der römifchen
Kirche entlehnt wäre von Leuten, die nicht mehr recht
wiffen, was evangelifch und proteftantifch ift. Da meint
der Herr Anonymus, ehe man zu fo gefährlichen Heilmitteln
greife, folle man doch ,zuvörderft ernftlich prüfen,
ob die vorhandenen Mittel nicht zur Befferung ausreichen,
ob alle berufenen Faktoren ihre Schuldigkeit thun, ob
nicht geringere Reformen fachgemäfser und ficherer find.'

Und nun wirft er für fein Theil die Frage auf, ob
denn das gegenwärtige theologifche Studium den Geift-
lichen diejenige Vorbildung gewähre, die fie zu erfolgreichem
Wirken im Amte befähigt? Seine Antwort ift
,die Unzulänglichkeit des theologifchen Studiums der
Gegenwart'. Damit will er aber nicht das theologifche
Studium überhaupt verwerfen oder, verdächtigen. Im
Gegentheil, Verf. ift von der Unentbehrlichkeit und Nützlichkeit
desfelben tief durchdrungen. Aber er will auf-
merkfam machen auf die folgenfchweren Mängel, an
denen es krankt, und dringt auf ihre Befeitigung. Dabei
tadelt und fordert er nicht nur, fondern giebt auf Schritt
und Tritt werthvolle Fingerzeige, wie nun Hand angelegt
werden müffe.

Die Schrift zerfällt in vier Abfchnitte: 1. Pfarramt
und Pfarrer, 2. Profeffor und Student, 3. die theologifchen
Disciplinen, 4. Ergebnifse.

Mit umfaffendem Verftändnifs werden im erften Ca-
pitel die Aufgaben des Pfarramts in der Gegenwart feft-