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Ausgabe:

1886 Nr. 24

Spalte:

562-564

Autor/Hrsg.:

Hilgenfeld, Adolf

Titel/Untertitel:

Judenthum und Judenchristenthum. Eine Nachlese zu der ‚Ketzergeschichte des Urchristenthums‘ 1886

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 24.

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die folgenden Paragraphen der Kanonsgefchichte noch I einer Chriltuspartei nur auf einem exegetilchen Mifsver
werthvolle und anregende Ausführungen enthalten und ftändnifs beruhe. Wie früher, fo fucht er auch jetzt den

ich auch in dem Bisherigen nur einen Theil der Gerichts
punkte berührt habe, unter denen Weifs die Gefchichte
betrachtet hat. Die Schlufsausführung von Weifs: ,Die
Auflöfung des Kanon' empfehle ich zur Beherzigung.
Sie enthält die fchärffte Antithefe zu der Hofmann'fchen
Auflfaffung vom Kanon als ,ein organifchcs Schriftganze',
die heute feltfamer Weife als die orthodoxe gilt, obgleich
,es fich bei ihrer Durchführung nur um ein fehr
fubjectives Raifonnement handelt, das eine felbftconftru-
irte Heilsgefchichte an die Stelle wirklicher Gefchichts-
betrachtung fetzt'. ,Auch unfere Unterfuchungen' — fo
erklärt Weifs — .haben es vollauf beftätigt, dafs die
Sammlung neuteftamentlicher Schriften, die im Laufe der
zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts fich mehr und mehr
als kanonifch fixirte, keineswegs war, wofür man fie
fchon damals hielt ... Es nützt auch gar nichts, auf die
eufebianifche Unterfcheidung der Homologumena und
Antilegomena zurückzugehen, da wir gefehen haben, wie
fchwankend diefelbe ift und wie fie felbft im Sinne ihres
Urhebers gar nicht auf unfere heutigen neutcftamentlichen
Schriften befchränkt ift, wefshalb es nur dankenswerth
erfcheint, dafs in der lutherifchen Kirche nicht etwa, wie
es eine Zeitlang drohte, diefe neue Menfchenfatzung die
freie Forfchung eingeengt hat. Vielmehr mufs die ge-
fchichtliche Unterfuchung den Urfprung jeder einzelnen

gefammten Inhalt der beiden Korintherbriefe unter dem
Gefichtspunkte der drei Parteien zu erklären, indem er
bei jedem einzelnen Abfchnitte zu zeigen fucht, auf
welche der drei Parteien darin Bezug genommen fei;
und zwar gefchieht dies alles ganz in derfelben Weife,
wie in der früheren Auflage. Mit befonderer Lebhaftigkeit
bekämpft er auch jetzt wieder das .Dogma' von der
Chriftuspartei. Die Gründe aber, mit welchen er deren
Exiftenz bekämpft, fcheinen mir nach wie vor, wie ich
zu meinem Bedauern geftehen mufs, fehr fchwach zu
fein, und die eigene Erklärung, welche Räbiger von der
Hauptftelle I. Kor. 1, 12 giebt, eine fehr gckünftelte.
Um denjenigen, welchen diefelbe noch nicht bekannt ift,
ein eigenes Urtheil zu ermöglichen, theile ich fie hier
mit Räbiger's eigenen Worten mit (S. 77 der neuen Auflage
= S. 47—48 der alten):

,Die drei erften Bekenntnifse find drei verfchiedene
Aeufserungen, nach denen fich die Einen zu Paulus, die
Anderen zu Apollos und noch Andere zu Petrus bekennen
, das a.yib da. Xqiotov aber ift das, was Jeder der
Genannten fagt, ift die allen drei gemeinfame Aeufse-
rung, durch welche die Verfchiedenheit zu einem allgemeinen
Streit in der Gemeinde und zwar, wie es der
Zufammenhang verlangt, zu einem Streit um Chriftus
ausartete, durch den, wie der Apoftel befürchtete, die

Schrift mit voller Freiheit aus äufseren Zeugnifsen und Einheit der Gemeinde in Chriüo bedroht wurde. Das
inneren Indicien fcftzuftellen fuchen'. eytö in dem iyd da XgtOTnr ift das Ich aller fonft Ge-

Weifs hat durch feinen Abrifs der Kanonsgefchichte 1 trennten, und das aya) da Xgiacnv bedingt den Tadel, den

ein Doppeltes geleiftet: er hat im Bunde mit allen kriti
fchen Forfchern die herrfchenden Vorftcllungen vom
Kanon berichtigt und er hat im Kreife derfelben nach-

der Apoftel über Alle auszufprechen hat. Alfo fagt der
Apoftel: ich meine aber dies, dafs Jeder von Euch fagt:
ich gehöre dem Paulus, ich dem Apollos, ich dem Pe-

drücklicher als irgend einer feiner Vorgänger daraufhin- j trus an, ich aber, gerade als Pauliner, ich aber, gerade
gewiefen, wie lange es gedauert hat, bis eine gefchloffene als Apollianer, ich aber, gerade als Petriner, gehöre
Sammlung, das Neue Teftament, vorhanden war. Ob 1 Chrifto an. Zu Chrifto bekannten fich demnach zwar
er in der Skepfis nicht hie und dazu weit gegangen ift, ! Alle, aber der Streit beftand eben darin, dafs fie die

werden hoffentlich künftige Verhandlungen lehren.
Marburg. A. Harnack.

Pheilnahme an Chrifto von verfchiedenen Lehrern abhängig
machten, dafs die Einen meinten, fie hätten, infofern
fie gerade diefem Lehrer angehörten, den ächten

Räbiger, Prof. Dr. J. F., Kritische Untersuchungen über den und wahren, einen befferen Chriftus, als die Anderen,
inL.t Ho. hoirfon R-i.fo ri« Annctpk P*.....<= an riia knrin. ive che wiederum jenen gegenüber mit Rückf.cht auf ihren

Inhalt der beiden Briefe des Apostels Paulus an die korin
thische Gemeinde mit Rückficht auf die in ihr herrfchenden
Streitigkeiten. Zweite, nach den neueften
Forfchungen vervollftändigte Ausg. Breslau, Morgen-
ftern's Verl., 1886. (VIII, 319 S. gr. 8.) M. 5. —

Nach beinahe vierzig Jahren erfcheint Räbiger's
bekannte Monographie über die beiden Korintherbriefe
in neuer Bearbeitung. Auf die zahlreiche Literatur, die
inzwifchen erfchienen war, ift bei diefer Neubearbeitung
eingehend und gewiffenhaft Rückficht genommen. In
dem erften Abfchnitt, welcher die ,Gefchichte der verfchiedenen
Anflehten über die I. Kor. 1, 12 erwähnten
Parteien' darfteilt, ift ein grofser Abfchnitt über die Literatur
der letzten vierzig Jahre neu hinzugekommen
(S. 35 — 51). Auch durch alle übrigen Abfchnitte hindurch
ift auf diefelbe überall eingehend Rückficht genommen
. Das Buch ift infolge deffen faft um die
Hälfte feines Umfanges gewachfen. Trotz alledem

Lehrer dasfelbe behaupteten'.

Dafs diefe feltfam gekünftelte Auffaffung bisher fo
wenig Beifall gefunden hat und wohl auch in Zukunft
finden wird, liegt doch wohl an etwas Anderem, als an
der Verftocktheit der Lefer und ihrem Vorurtheil für das
.Dogma' hoffentlich von der Chriftuspartei.

Giefsen. E. Schür er.

Hilgenfeld, Dr. Adolf, Judenthum und Judenchristenthum.

Eine Nachlefe zu der .Ketzergefchichte des Ur-
chriftenthums'. Leipzig, Eues, 1886. (122 S. gr. 8.)
M. 2. 40.

In diefer Abhandlung will Hilgenfeld auf Grund einer
fehr forgfältigen Unterfuchung der Berichte über die jü-
difchen und jüdifch-chriftlichen Häreflen feine Anficht
von dem Wefen und der Bedeutung des Judcnchriften-
thums erweifen. Anlafs zu der Arbeit bot ihm der erfte
kann man es aber faft als ein unverändertes bezeichnen. 1 Band der Dogmengefchichte des Unterzeichneten, in

In keinem Punkte hat der Verfaffer, fo viel ich fehe, welchem eine wefentlich andere Auffaffung des Judenfeine
Anficht geändert. Der Schlufsabfchnitt, welcher 1 chnftenthums vorgetragen ift. Hilgenfeld's Anficht deckt
die Refultate zufammenfafst, ift aus der alten Auflage j hch bekanntlich keineswegs mit der F. Chr. Baur's;
(S.214— 221) faft wörtlich in die neue Auflage (S.310—318) I ue '« reicher an gefchichtlichen Geflchtspunkten — vorherübergenommen
. Und die ftarken Erweiterungen, I nehmlich in diefer Studie —; aber fie kommt ihr doch
welche im übrigen der Text erfahren hat, dienen nur >ehr nahe.

der eingehenderen Begründung der früher aufgehellten Den gröfsten Theil des Raums nehmen die Unter-

Anfchauungen gegenüber der feither erfchienenen Lite- | Eichungen der Berichte über jüdifche und jüdifch-chrift-
ratur. j liehe Häreflen in Anfpruch. Selbft wenn fie in ihren Er-

Wie früher fo hält Räbiger auch jetzt daran feft, dafs gebnifsen ficherer wären, als fie es find und bei der Ver-
es nur drei Parteien gegeben habe, dafs die Annahme | worrenheit des Cjuellenmaterials fein können, tragen fie,