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Ausgabe:

1886 Nr. 2

Spalte:

37-40

Autor/Hrsg.:

Geigel, F.

Titel/Untertitel:

Das französische und reichsländische Staatskirchenrecht 1886

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 2.

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Grofsen Nutzen wird es manchen Gegnern gegenüber
bringen, wenn man (ich trügerifche Kampfesweifen von
dem auch darin wohlbewanderten Whately klar machen
läfst. Deffen Beifpiele find überhaupt meift vortrefflich.

Zwar wird bei dem allen die Predigt nicht häufig
geradezu erwähnt, aber manche derartige gelegentliche j
Bemerkung hat hohen Werth, z. B. die S. 94, dafs die
Mehrheit aller Predigten zu viele theologifche Vorkennt-
nifse bei den Zuhörern vorausfetzt. Wenn dagegen S.
96 die Gefahr, dafs grofser oratorifcher Ruf den Eindruck
mindert, auseinandergefetzt wird, fo pafst das fchwerlich
auf den Prediger, weil die Stärke feiner Beredtfamkeit
weit weniger in der Ueberlegenheit der Beweisführung
als in der Erkenntnifs und Ueberzeugungsfeftigkeit bezüglich
der chrifllichen Wahrheit gefucht wird.

Aber gerade folche Stellen, bei denen man Vorbehalte
machen mufs, enthalten oft fehr Beachtenswerthes.
So namentlich auch die fehr eingehenden Erörterungen,
welche im Unterfchiede von dem künftlichen einen natürlichen
Vortrag fordern. Letzterer wird zu fehr nur bei
der Rede aus dem Stegreife erwartet , und bei dem hier
immer in den Vordergrund tretenden Gegenfatze zwifchen
Vorlefen und aus dem Stegreife-Sprechen kommt das
freie Reden nach verftändigem Memoriren oder doch
fonft gründlicher Vorbereitung nicht zu feinem Rechte. |
Im Zufammenhange damit bedürfen auch die Behauptungen
, dafs der natürliche Vortrag weiter gehört werde
S. 186, und dafs Declamirübungen der Schüler nachtheilig
find S. 183, wohl noch der Berichtigung oder
doch genaueren Prüfung. Wir wünfchen forgfältige Ausbildung
der Stimme, aber nicht auf Koften, fondern zu ;
Gunften des natürlichen Vortrages.

Als auf befonders Treffliches und Kennzeichnendes
verweifen wir zum Schluffe noch auf die feinen Bemerkungen
über das, was oft unfer Urtheil über Perfonen
benimmt S. 38, 39; darauf, dafs die Handbewegungen
den Worten vorauszugehen haben S. 190; darauf, dafs
deutlicher und fchmuckreicher Stil einander nicht aus-
fchliefsen S. 112; namentlich aber auf die fehr lehrreichen
und eingehenden Auscinanderfetzungen über den
verfchiedenen Werth und Eindruck des Vorlefens und
des freien Sprechens.

Whately's Schrift bietet alfo für den Theologen
fehr viel Beherzigenswerthes und Anregendes. Zu Letzterem
rechnen wir auch mehreres recht Disputabele.

Friedberg. Diegel.

Geigel, Reg.-R. a. D. F., Das französische und reichs-
ländische Staatskirchenrecht (chriftliche Kirchen und
Ifraeliten), fyPtematifch bearbeitet und verglichen mit
den neueflen Gefetzen und der Rechtfprechung der
deutfehen Staaten. Strafsburg, Trübner, 1884. (XX,
504 S. 8.) M. 8. —

Das vorliegende Buch ift bereits zwei Jahre alt, doch
wird es noch nicht zu fpät fein, es hier zur Sprache zu
bringen. Es verdient fowohl durch die Gründlichkeit,
die Sorgfalt und den Scharffinn, womit es gearbeitet ift,
als durch das Intereffe, welches der behandelte Gegen-
ftand darbietet, alfe Beachtung. Der Verfaffer will das
in Elfafs-Lothringen geltende ,Staatskirchenrecht' zur
Darftellung bringen, d. h. .nicht was den inneren Kirchen-
fatzungen gemäfs gelten follte', fondern was von der
über kirchliche Dinge ergangenen Staatsgefetzgebung
.formell noch gilt' (S. VI). Freilich trifft diefe Unter-
fcheidung genau genommen nur für die kathol. Kirche
zu. Nur hier tritt dem thatfächlich in Kraft flehenden
Staatskirchenrecht ein durchgebildetes, mit dem An-
fpruch juriftifcher Anwendbarkeit auftretendes kirchliches
Rechtsfyflem gegenüber, während auf proteftantifchem
Boden wohl von Principien evangelifcher Gemeindebildung
, an welchen das geltende Recht zu meffen ift,

nicht aber von .inneren Kirchenfatzungen', welche mit
diefem in Concurrenz treten, die Rede fein kann, üb
es richtig ift, was der Verf. a. a. ü. fagt, dafs in gewiffen
Beftandtheilen des von ihm dargeftellten Staatskirchenrechts
, wie dem Placet, dem Mifsbrauchsrecurs, alle Re-
ligionsgefellfchaften eine .Beeinträchtigung ihrer von Gott
gewollten Selbftändigkeit' erblicken, ift doch die Frage;
jedenfalls Hellt fich die Sache vom katholifchen und vom
proteftantifchen Standpunkt fehr verfchieden dar. Auch
wird man fchwerlich lagen können: .Weder die katho-
lifche noch auch die evangelifche Kirche erkennt den
Staat als die alleinige Quelle der Rechtsfähigkeit an;
beide erachten die Corporationsberechtigung als nur von
der Staatsgewalt gewährleiftet, nicht aber auch als von
ihr verliehen und beanfpruchen demgemäfs für die Ge-
fammtkirche das Eigenthum fowohl der Gotteshaus-
ftiftungen als auch der Pfründen und fonftigen Stiftungen.'
(S. 7.) Der Satz, dafs das Recht der Kirche, da zu fein
und fich frei zu entfalten, ihr nicht vom Staate verliehen,
fondern nur von diefem zu gewährleiften ift, hat katho-
lifch verftanden einen ganz anderen Sinn, als auf proteftantifchem
Standpunkt. Für uns handelt es fich dabei
nicht um eine angeblich erfolgte übernatürliche Verleihung
, fondern um einen rechtsphilofophifchen Satz
allgemeiner Geltung, von welchem allerdings mit gutem
Grunde zu Gunften der Kirche Gebrauch zu machen ift.
Der Staat fchafft nicht das Recht, fondern bringt nur
das in der Natur der Dinge gegebene materiale Recht
formal zur Erfcheinung und Wirkfamkeit; aber ein formales
Recht, wie die Corporationsberechtigung einer be-
ftimmten Genoffenfchaft, kann danach in der That ohne
die Thätigkeit des Staates nicht in's Leben treten. Dafs
endlich die evang. Kirche wie die katholifche als Eigentümer
des Kirchengutes, einfchliefslich fogar der Pfründen
, die Gefammtkirche anfehe, mufs geradezu wider-
fprochen werden. Das pofitive Landeskirchenrecht beruht
unferes Wiffens nirgends auf diefer Vorausfetzung,
und ebenfo wenig kann fie als ein aus dem Bewufstfein
der evangelifchen Gemeinde über fich felbft fich ergebendes
Poftulat erwiefen werden.

Das dargeftellte Rechtsfyflem ift das auf dem fran-
zöfifchen Concordat und den (katholifchen und proteftantifchen
) organifchen Artikeln von 1802 ruhende, wie das-
felbe 1871 von Frankreich übernommen und feitdem
durch die deutfehe Gefetzgebung im Einzelnen modificirt
worden ift. Aufser Betracht bleiben die feit dem Friedens-
fchlufs in Frankreich durch die herrfchende radicale Strömung
herbeigeführten Aenderungen der Gefetzgebung;
fie werden nur anmerkungsweife berührt. Die durch die
Reichs- und Landesgcfetzgebung für das Rcichsland ge-
fchaffenen Aenderungen betreffen das Inhaltliche der In-
ftitutionen wenig; fie beftehen der Hauptfache nach nur
in den durch die geänderten Verhältnifse bedingten Ver-
fchiebungen der Zuftändigkeiten, indem einzelne Befug-
nifse vom Staatsoberhaupt auf den Statthalter, das Mini-
fterium, den Bezirkspräfidenten, vom Staatsrath auf den
Bundesrath u. f. w. übergingen. Gemäfs dem gewählten
Standpunkte der Darftellung behandelt der Verf. im erften,
allgemeinen Theil die für alle Confeffionen gleichmäfsig
geltenden Normen, fodann im zweiten Theil die für die
katholifche Kirche, im dritten die für die beiden proteftantifchen
Confeffionen, endlich im vierten die für den
israelitifchen Cultus beftehende Gefetzgebung.

Durchgängig wird das kirchliche Recht der bedeutenderen
deutfehen Staaten, namentlich derjenigen, welche
linksrheinifche Gebietstheile befitzen, wo das franzölifche
Recht theilweife noch wirkfam ift, zum Vergleich herbeigezogen
. Die Darftellung gewinnt dadurch wefentlich
an Werth und Intereffe.

Bei dem im zweiten Theil behandelten katholifchen
j Staatskirchenrecht trifft die Bemerkung des Verf.'s über
! den Gegenfatz des unter Staatsautorität formal geltenden
Rechts und der .inneren Kirchenfatzung' in vollem Mafse