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Ausgabe:

1886 Nr. 23

Spalte:

542-545

Autor/Hrsg.:

Gess, Felician

Titel/Untertitel:

Johannes Cochläus, der Gegner Luthers 1886

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 23.

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fammen. So löft lieh das Räthfel, dafs Hieronymus in
jenem Prolog zum Victorinus verfprochen hatte, auch
ferner noch den .Schweifs feines Talentes' auf die Auslegung
der Apokalypfe zu verwenden, während uns doch
davon Nichts erhalten war. Die summa dicendorum
ift nichts Anderes als der Commentar des Hieronymus
. Freilich, wie Haufsleiter richtig bemerkt,
nicht den Schweifs feines Talentes, fondern den Schweifs
des Abfchreibens hat er dazu geopfert: denn der Commentar
ift nur ein flüchtiger Auszug aus Tichonius. Die
Auslegungsweife diefes Mannes hat auf die ihm folgenden
Commentatoren augenfeheinlich den gröfsten Einflufs gehabt
. Indem man alfo unter Heranziehung der anderen
Commentare dem Victorinus Commentar feine tichomfeh-
hieronymianifchen Interpolationen nimmt, kann man
ihn in feiner Originalgeftalt herftellen. Dadurch
verliert er natürlich bedeutend an Umfang, und unfirer
Kenntnifs des Victorinus ift ein Stück Bafis entriffen
worden. Diefen Nachtheil möchte Haufsleiter erfetzen,
indem er zum Schlufs auf die vielfachen Berührungen
hinweift, welche fich in fprachlicher und fachlicher Beziehung
zwifchen dem pfeudo-tertullianifchen Carmen
adv. Marcionem und den echten Beftandtheilen des Victo-
rinus-Commentars finden. Wenn Victorinus der Verfaffer
diefes Carmen wäre! Aber Hückftädt (1876) verlegt das-
felbe in's vierte Jahrhundert und Harnack (Zeitfchr. für
wiff. Theol. 1876 p. 114 f.) hat ihm darin zugeftimmt,
während Hilgenfeld (ebenda p. 154 ff.) allerdings für das
dritte Jahrhundert als Abfaffungszeit plaidirt. Die Ent-
fcheidung diefer Frage hängt jedenfalls noch an anderen
Inftanzen als den von Haufsleiter beigebrachten, und es
wird von Intereffe fein, zu fehen, ob H., der feine Anficht
nächftens in ausführlicher Erörterung vertreten will,
diefelbe in jeder Beziehung fundiren können wird.

Giefsen. Guftav Krüger.

Passional Christi und Antichristi. Lucas Cranach's Holz-
fchnitte mit dem Texte von Melanchthon. Nachbildung
einer in der Einleitung sub A. 1 bezeichneten
Original-Ausgabe. Mit einer Einleitung von Prof. Dr.
G. Kawerau. [Deutfche Drucke älterer Zeit in Nachbildungen
, herausgegeben von Dr. W. Scherer. III.]
Berlin, Grote, 1885. XXXII, 28 S. gr. 8.) M. 7.—

Zu dem vorliegenden fchönen Neudruck, der in vor-
züglichfter Ausftattung in nur dreihundert numerirten
Exemplaren hergeftellt ift, hat G. Kawerau eine gelehrte
Einleitung gefchrieben, auf die hier aufmerkfam gemacht
werden foll. Er weift nach, dafs für die im Paffional
Chrifti und Antichrifti fich findende Gegenüberftellung
Chrifti und des antichriftifchen Papftthums fchon Analoga
in der vorreformatorifchen, befonders auch der von
Wiclif und Hus beeinflufsten Literatur vorhanden find,
ohne dafs man eine directe Beeinflufsung Cranach's dadurch
behaupten könne; vielmehr werden mit Sicherheit
Cranach's Conceptionen nur mit dem Nächftliegenden,
nämlich den Anregungen, welche die Schriften Luther's
darboten, in Verbindung zu bringen fein (S. XII). Die
folgenden Blätter fkizziren dann in kurzen Strichen das
allmähliche Wachfen der Ueberzeugung Luther's von
dem Antichrittenthum in Rom bis zu ihrem Höhepunkt
in der kurz vor der Abreife nach Worms vollendeten
Schrift Contra Ambrosium Cat/iarinum, in der er geradezu
einen Schriftbeweis für feine Anficht von dem Anti-
chriltenthum des Papftthums antritt und wo (Op. var.
Arg. V, 70. Erl. Ausg.) fich die Worte finden: Compone
nunc Christum et papam. Ille dicit . . . papa dicit . . . .
Christus docet. . . At papa docet. . . ,Wir haben hier das
Schema für das Paffional vor uns', womit Kawerau natürlich
nicht fagen will, dafs diefelbe Auslaffung direct
die Abfaffung veranlafst hätte, was fchon deshalb nicht

j gut möglich wäre, als der Druck der Schrift gegen Am-
brofius Catharinus fich fehr verzögerte. Dafs die bei

j Joh. Wolf, Lectionum Memor. Ed. II Francop, iöyr Tom. I

p. 828 mitgetheilten, angeblich aus dem Jahre 1500
flammenden Diftichen nicht, wie Knaake (Ztfchr. für luth.
Theol. 1871, S. 72.) annahm, die Vorlage abgegeben

1 haben, fondern vielmehr diefe Verfe erft zu den Cra-
nach'fchen Blättern gedichtet worden find, ergiebt der
Nachweis, dafs Dift. 6 fich auf die zweite Ausgabe be-

| zieht. Für die Frage nun nach der Entftehung felbft
vermag auch Kawerau keine neuen Quellenftellen beizu-

I bringen, kommt aber, nachdem fchon Knaake a. a. O.
und Max Lenz (Kritifche Erörterungen zur Wartburgszeit
. Marburger Lutherprogr., S. 39) gegen die gewöhnliche
, von Aurifabcr in Umlauf gefetzte Meinung, dafs
Luther als Mitherausgeber anzufeilen fei, Einfpruch ge-
than, nach erneuter Unterfuchung der einfehlägigen
Stellen zu gleichem Refultate wie jene, nämlich dafs
Luther direct nichts damit zu thun gehabt, vielmehr
Melanchthon den Text geliefert haben müffe. In Luther's
Briefe vom 7. März 1521 find die Bildnifse des Cranach,
zu denen er Unterfchriftcn liefern follte, wohl zu unter-
fcheiden von der Antithcsis figurata Christi ct. Papae, bonus
et pro laicis Uber, worunter jedenfalls das fpätere Paffional
verbanden werden mufs. Schon die lobende Erwähnung
fpricht hier gegen Luther als Mitherausgeber. Und dafs
vielmehr Melanchthon unter Zuziehung des Juriften Joh.

j Schwertfeger die Unterfchriftcn geliefert, ergiebt Luther's

| Aeufserung: PassionalcAntithetonmireplacet: loh. Schzvert-
feger in ea opera video tibi succenturiatum (De Wette II, 9).
Die Sache ift fo klar, dafs man. fich wundern mufs, wie
man fo lange Luther's Mitarbeiterfchaft hat behaupten
können, wobei ohne Zweifel ein anderes Mifsverftänd-
nifs, nämlich die Verwechselung des Paffionale und der
Passio Lutheri, jener bekanten Satyre auf die Vorgänge
in Worms mitgewirkt hat. Die obige Notiz aus Luther's
Brief an Melanchtho n vom 26. Mai 1521 wie eine
andere über das Eintreffen der Schrift bei Friedrich

1 dem Weifen, die fich in einem Schreiben des kurf. Rathes
Bernhard von Hirfchfeld an Anton Tucher vom 29. Mai
1521 findet (vgl. J. Köftlin, Theol. Studien u. Krit. 1882,
S. 699), läfst den Termin der Ausgabe ungefähr beftim-
men. Der hier vorliegende Abdruck des Bildwerks,

I dem Kawerau noch ausgiebige bibliographifche Notizen
vorangefchickt hat, ift nach der im Befitz von Knaake
befindlichen Urausgabe angefertigt worden

Erlangen. Th. Kolde.

Gess, Dr. Felician, Johannes Cochläus, der Gegner Luthers.
Oppeln, Franck, 1886. (IV, 62 S. gr. 8.) M. 1. 50.

Vorliegende Schrift ift eine Leipziger Doctor-Differ-
tation, für welche Prof. Maurenbrecher das Thema angegeben
und manchen Wink ertheilt hat. Der Verfaffer
hat das Material forgfam zufammengetragen und hat in
anfprechender Darltellung mit mancher feinen Beobachtung
den Gegenftand behandelt. Dem .Gegner Luther's'
gilt feine Arbeit, daher ift der Humanift und der rührige
Herausgeber älterer theologifcher Werke hier bei Seite
gelaffen. Nur der Streiter gegen Luther und die Re-
tormation ift in's Auge gefafst, wie er nach anfänglichem
| Wohlgefallen an den erften reformatorifchen Bewegungen
1520 fich wandelt und feit 1521 der Gegenbewegung fich
| zur Verfügung ftellt und nun einen literarifchen Kampf
I beginnt, der ihm doch nur wenig Ehren und Auszeich-
j nungen, aber manche bittere Erfahrung einträgt. Gefs
beweift durch die treffenden, oft nur in wenigen Worten
gegebenen Charakteriftiken der zahlreichen mit C. in Berührung
gekommenen Perfönlichkeiten, dafs er fich in
der Reformationszeit tüchtig umgefehen und auch über
den Rahmen des hier behandelten Einzellebens hinaus
fich mit der Literatur jener Zeit vertraut gemacht hat.
Ich möchte befonders feine Bemerkungen über C. im