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Ausgabe:

1886

Spalte:

35-37

Autor/Hrsg.:

Hildebrand , G. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Whately‘s Grundlagen der Rhetorik 1886

Rezensent:

Diegel, J. Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 2.

J6

Vielleicht hätte der Herr Verfaffer die Unterabtheilungen
der Disposition feines Vortrages etwas mehr
hervortreten laffen können.

Was Einzelnes angeht, fo ift die Bemerkung auf S.
2, dafs der Menfch vermitteln; der äufseren Sinne .Wahrnehmungen
, Empfindungen und Vorstellungen' aus der
Aufsenwelt in fich aufnehme, kaum ganz zutreffend; nur
der Stoff zu jenen kann gemeint fein, da fie felbft etwas
Subjectives find. — Auf S. 19 wird gefagt, der religiös
Gefinnte habe die Aufgabe, ,die Einbildungskraft hin-
fichtlich der Werthbestimmung der Dinge diefer Welt
überhaupt möglichst von allen irdifchen Dingen loszu-
löfen'. Dies könnte dahin mifsverftanden werden, als
werde eine , Mönchsfrömmigkeit' empfohlen, welche
jedoch S. 23 und 24 entfchieden abgewiefen wird. —
Auch weifs ich nicht, ob man fo ohne Einfchränkung,
wie es S. 21 gefchieht, vom Traum fagen kann, dafs er
die Kritik des Lebens fei, wie es zweifelhaft fein dürfte,
ob die Krankheit des Wahnfinns in ,fehr vielen Fällen'
blofs in mangelhafter Beherrfchung der Phantafie ihren
Grund habe, wie S. 29 behauptet wird.

Lennep. Lic. Dr. Thönes.

Hotz-Osterwald, Dr. J. H., Der Reichthum und das Himmelreich
. [Oeffentliche Vorträge, gehalten in der Schweiz,
7. Bd. 1. Hft] Bafel, Schwabe, 1883. (61 S. gr. 8.)
M. 1. 20.

Vorliegende Schrift, ein Vortrag — doch wohl in
fehr erweiterter Gestalt — bringt weniger, als der Titel
befagt, nämlich im Wefentlichen nichts weiter, als eine
ausführlichere Exegefe der bekannten Stelle vom ,Kameel
und dem Nadelöhr' (Matth. 19, 21) und Parallelen. Wer
über die fociale Frage des Reichthums in feinem Ver-
hältnifs zum Chriftenthum einen Auffchlufs erwartet,
etwa im Sinne der Buckle'fchen Behauptungen oder in
Widerlegung derfelben, wird gründlich enttäufcht. Sie
bringt für den Theologen wenigftens nichts Neues; das
Nadelöhr ift die kleine Pforte abfeits vom grofsen Stadtthor
, durch welches die beladenen Kameele nur fchwer,
und nicht ohne fich vorher der.Laft zu entledigen, Eingang
finden können, und wer einigermafsen in diefen
Sachen bewandert ift, findet es auf den ersten Blick nicht
berechtigt, wenn der Knoten der Unterfuchung auf eine
überrafchende Löfung hin gefchürzt ift und dann ein
wohl bekanntes Ergebnifs zu Tage kommt. Allein die
Schrift ift für Laienkreife gefchrieben und keine Stelle
erregt dort wohl gröfsere Bedenken und kein biblifches
Bild erfcheint feltfamer, als jenes ,vom Kameel und vom
Nadelöhr'. Wir haben da ein Muster vor uns, wie derartige
Fragen in einem jedermann intereffirenden Tone
behandelt werden können. Auch für die praktifche Ver-
werthung der Stelle find mannigfache gute Gedanken,
wie dafs die Nothwendigkeit, das Kameel vor dem Durchgang
durch das Nadelöhr zu entlasten, mit der Forderung
Jefu an den reichen Jüngling combinirt wird. Möchten
doch mehr exegetifche Gegenstände eine derartige Darstellung
finden. Das Verftändnifs der Bibel, wie Refpect
und Intereffe gegenüber der biblifchen Wiffenfchaft würde
unter den Gebildeten in der Gemeinde nur wachfen.

Leipzig. Härtung.

Whately's Grundlagen der Rhetorik. Von Kreisphyf. Dr.
G. Hildebrand. Gotha, F. A. Perthes, 1884. (VI,
191 S. gr. 8.) M. 4. —

,Dies Buch, fagt deffen Ueberfetzer im Vorworte,
erregte bei feinem Erfcheinen allgemeines und gerechtes
Auffehen und ift feitdem überall, wo die englifche Sprache
gefprochen wird, als Hand- und Lehrbuch eingeführt
worden. Dasfelbe ift in Anbetracht des abftracten Stoffes
fo intereffant, fo gemeinverftändlich und fo praktifch

| abgefafst, dafs u. f. w. Ich habe mir Abänderungen
nur infoweit erlaubt, als es mir für das Verftändnifs
j und den Gefchmack des deutfchen Lefers nothwendig
erfchien'.

Ref. vermag diefe Abänderungen nicht zu prüfen
und deshalb bezüglich derfelben nur anzuerkennen, dafs
fie nirgends als Störungen des Zufammenhanges bemerkbar
werden, und dafs man manche offenbar aus deutfchen
Schriftstellern eingefchobene Stelle mit Vergnügen
j begrüfst. Die Ueberfetzung lieft fich recht gut. Nicht
ganz zutreffende Ausdrücke, wie S. 40 Z. 3 v. u., S. 177
Z. 9 v. u., oder die Neubildung des Zeitwortes ,fich
fklaven' S. 69 Z. 11 v. o., finden fich fehr feiten. Der
Inhalt verdient das oben berichtete Lob. Eine voll-
i ständige Rhetorik laffen fchon Titel und Umfang des
t Buches nicht erwarten. Glücklicherweife wird auch nicht
1 in kurz zufammengedrängten etwa wie in einem

Grundriffe zu akademifchen Vorlefungen, eine blofse
Ueberficht über das Gefammtgcbiet der Rhetorik gegeben
. Vielmehr wird mehreres ganz bei Seite gelaffen,
fo dafs die Hauptpunkte ausführlicher erörtert werden
können. Im 1. Theile wird auf 70 S. ,die Ueberzeugung',
im 2. auf 38 S. ,die Ueberredung', im 3. auf 53 S. ,der
Stil', im 4. auf 30 S. ,der Vortrag' befprochen.

Gemäfs der Bestimmung diefer Literaturzeitung reden
j wir nur von der Bedeutung des anzuzeigenden Buches
für den Theologen. Soll diefer ein wiffenfchaftlich gebildeter
Mann fein, foll er allgemein wiffenfchaftliche
! Fächer ftudiren: fo gehört zu den ihm am meisten zu
i empfehlenden und unmittelbar fruchtbaren ficher die
Rhetorik. Für ein fo kurzes und klar gefchriebenes
j Buch, wie das Whately's, findet er leicht die Zeit, und
| gerade der fremde Boden, auf welchem dasfelbe er-
I wachfen ifi, giebt auch dem vielen Wohlbekannten, was
hier dem deutfchen Theologen entgegentritt, neuen Reiz.
Denn felbftverftändlich mufs nicht nur zum Theile die
befondere Anwendung des Gefagten auf die Predigt
überhaupt, fondern auch manche Uebertragung aus dem
vielfach anders gearteten englifchen Predigtwefen auf
das deutfche vollzogen werden. Diefer Unterfchied, dem
: ja auch fchon ein folcher der beiden Sprachen zu Grunde
liegt, darf befonders bei mehreren eigenthümlichen und
den gewöhnlichen widerfprechenden Anflehten Whately's
nicht aus dem Auge gelaffen werden.

Derfelbe ift keineswegs ein Freund des Regelzwanges
und rhetorifcher Künftelei. Allerdings kommt der chrift-
liche Inhalt der Predigt bei ihm wenig zu feinem Rechte,
was nach dem Plane feines Buches kaum verübelt wer-
; den kann. Jedenfalls geht er, wie es ja auch einem Erz-
bifchofe nahe liegen mufste, genauer, als auf das Reden
vor Gericht fowie in Parlament und Volksvcrfammlungen,
auf die Predigt ein, befonders in den beiden letzten
Theilen. Die beiden ersten haben mit dem Ueberreden
und mehr noch mit dem Beweifen etwas im Auge, was
! in unferen Predigten hinter dem kräftigen Darlegen und
Bezeugen des Glaubens als eines vorhandenen zurückzutreten
hat. Aber das Ueberreden wird nur einfeitiger
Rigorismus von der Kanzel verbannen wollen. Whately
tritt für das Recht, Empfindungen und Leidenfchaften
zu erregen, fehr fcharffinnig ein. Doch mufs hier der
Ausdruck , Leidenfchaft' als irreführend beanstandet
werden. Auch das Beweifen und fogar die Polemik wird
man zuweilen auf der Kanzel nöthig oder doch heil-
fam finden. Nicht das ift bei Manchem zu tadeln, dafs
er dergleichen vorbringt, wohl aber, dafs er es zu leicht
damit nimmt und deshalb mehr das Chriftenthum als
deffen Gegner blofsftellt. Whately giebt in diefer Be
ziehung auf grofse Sachkenntnifs und Erfahrung hin
treffliche Anleitung und Winke, welche wir um fo mehr
forgfältig beachtet wünfehen, da ja der Geiftliche auch
im Religionsunterrichte, im Einzelgefpräch, in Gefell-
fchaften, vielleicht auch in aufserkirchlichen Verfamm-
lungen und Vorträgen zum öftern als Apologet auftritt.