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Ausgabe:

1886 Nr. 22

Spalte:

524-525

Autor/Hrsg.:

Ehlers, Rudolph

Titel/Untertitel:

Bilder aus dem Leben des Apostels Paulus. Nachgezeichnet 1886

Rezensent:

Thoenes, Karl

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523 Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 22. 524

tung hin geworden, indem anftatt dreier nun acht folche
Pfeudonymi auftreten. Sechs unter ihnen kommen im
erften Abfchnitt zum Worte. Derfelbe, eingeleitet mit
einem ,Lectori benevolo1 und einer 11 Seiten langen Vorerinnerung
ift betitelt: Jn vino veritas' und enthält eine
Nachbildung des platonifchen Sympofion. Die Perfonen
des Dialogs find: Johannes mit dem Beinamen der Verführer
, Victor Eremita, Konftantin Konftantius und
zwei andere unbenannt gebliebene, während der Erzähler
William Asham genannt wird. Der Gegenftand des
Dialogs ift, wie üch daran ja das Intereffe des Verf.'s
einmal geheftet hat, Liebe und Ehe. K. benutzt in
diefem Abfchnitt die ihm durch die Anlage des Dialogs
gewährte Freiheit, feiner übermüthigen Laune die Zügel
fchiefsen zu laffen, unter farkaftifchen Bemerkungen,
ironifchen Betrachtungen und dergleichen fein eigenes
Liebesleid zu verdecken und die Schwermuth wegzu-
fcherzen. Nur kommt der Lefer dabei nicht einmal zu
einem rechten äfthetifchen Genufs. Es ift keine harm-
lofe Heiterkeit, die hier zur Geltung kommt, kein wahrer
Humor, der mit einer tieferen und die Gcgenfätze verhöhnenden
Lebensauffaffung fich vertrüge. Nein, der
Verf. will hier, wie in den Papieren des A in feinem
,Entweder — Oder' nur zeigen, dafs er an Geht und Witz
es mit den Weltkindern aufnehmen kann, fie wohl ver-
fteht, aber ihnen überlegen ift. Sonderbare Weife, für
die Lebensauffaffung um Sympathie zu werben, die er
als die letzte und höchfte Weisheit darzulegen fich noch
vorbehält! Gerade ernfter Denkenden, bei welchen für
diefelbe Verltändnifs vorausgefetzt werden kann, mufs
folche Eitelkeit und Herzenszwiefpältigkeit anftöfsig fein.
Wenn K. die erwartete Theilnahme und Zuttimmung
verfagt geblieben, er felbft hat fie fchon damit fich ver-
fcherzt. Der zweite Abfchnitt feines Werkes ift betitelt:
Verfchiedenes vom Eheftand und den Einwendungen
dagegen. Von einem Ehemann. Hier ift es nun wieder,
wie in den Papieren des B, die ja auch verwandten Inhalts
lind, ein Gerichtsaffeffor, der zum Worte kommt.
Und was er fagt, ift, wenn auch freilich etwas ftark op-
timiftifch gehalten, recht fchön und lefenswerth. Oft
erhebt üch fogar der Herr Affeffor zu einem erhabenen
Redefchwung, auch weifs er das Problem, wie die Reflexion
, ohne die es doch zum Entfchlufs der Verhei-
rathung nicht kommen könne, mit der naiven Unmittelbarkeit
des Verliebtfeins fich vertrage, recht fchön zu
löfen. Und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, an
der einen, für deutfehe Lefer befonders intereffanten
Stelle fällt er ein unferes Erachtens ganz zutreffendes
Urtheil. Als ein Beifpiel von dem Fehlgehen in dem
Verlieben wird da S. 152 fr. Goethe genannt, Goethe, wie
er fich felbft darfteilt in: Aus meinem Leben. Mag es
nun fchmerzlich fein für deutfehe Goetheverehrer, aus dem
Munde eines Dänen zu hören, was da über Goethe gefagt
wird, das fcharfe Urtheil ift wenigftens kein verftändnifs-
lofes und entbehrt nicht der pfychologifchen Wahrheit.
Enthält diefer zweite Abfchnitt auch gerade keine tiefe
Lebensweisheit, fo ift er doch geiftvoll gefchrieben, das
Intereffe des Leiers wird trotz mancher Sonderbarkeiten
gefeffelt, und ohne Hörende Abfchweifungen, ohne in
Spitzfindigkeiten fich verirrende Dialektik wird das Ganze
zu einem wenigftens Herz und Gemüth befriedigenden
Abfchlufs geführt. Aber wie täufchte fich der Lefer,
der fich der Meinung hingeben wollte, dafs K. darauf
es angelegt! Die tiefere Weisheit foll ja erft noch nachfolgen
.

Der die gröfsere Hälfte des Buches einnehmende
dritte Abfchnitt: .Schuldig? — Nicht-Schuldig? Eine
Leidensgefchichte. Pfychologifches Experiment von
Frater Taciturnus' bringt aber auch für den Lefer nur
eine fchmerzliche Enttäufchung. Er enthält in einer Art
Tagebuch Wahrheit und Dichtung aus K.'s eigenem Leben.
Die Leidensgefchichte K.'s fafst fich kurz darin zufam-
men, dafs er (ich mit einem fchwärmerifch geliebten

Mädchen, die feine Liebe aufs innigfte erwiedert, verlobt
dann aber, weil er glaubt, fie wegen feiner tief ihm eingepflanzten
Schwermuth nicht glücklich machen zu
können, und weil er findet, dafs fie, weil ohne tieferen
Blick für das Religiöfe, ihn auch nicht verliehen könne,
die Verlobung mit ihr wieder auflöft. Dabei fingirt der
Verf., dafs fein Pfeudonymus die in dem Tagebuch dar-
geftellte Figur eines unglücklich Liebenden frei erfunden,
nur um in dem Religiöfen zu orientiren, und läfst dann
noch in einem Schreiben des Frater Taciturnus an den
Lefer diefen die pfychologifchen Probleme abhandeln,
zu deren Erörterung fein .Experiment' Veranlaffung
biete. Diefes Schlufswort des Frater Taciturnus führt
dann endlich zu dem Refultat, dafs der äfthetifche Held
grofs im Siegen, der religiöfe Held grofs im Leiden fei,
und der von ihm dargeftellte unglücklich Liebende als
ein folcher religiöfe Held zu betrachten, deffen Haltung
darin beftehe, die Welt, die Jahrhunderte, die Millionen
Zeitgenoffen als etwas zu Verfchwindendes zu betrachten,
Jubel, Beifall und Heldenehre als beirrende Zerftteuung,
fo dafs allein das Individuum felbft zurückbleibe, diefer
einzelne Menfch, der in feinem Gottesbewufstfein unter
der Beftimmung fchuldig — nicht fchuldig flehe. So
weit alfo führt den Verf. feine eitle Selbftbefpiegelung.
Schon dafs er, anftatt wider den ihm angeerbten Hang
zur Schwermuth einen guten ernftlichen Kampf zu führen,
fich grübelnd feinen finfteren Trauergedanken überläfst
und thörichten Wahngebilden nachhängt, als wären fie
Wirklichkeit, kann ethifch beurtheilt nur als Verirrung
bezeichnet werden. Dafs er aber feine feltfamen Grübeleien
als die letzte und höchfte Weisheit darzuftellen
unternommen, die Selbftquälerei in der Weife, wie fie
ihm individuell eigen war, als der religiöfen Exiftenzfphäre
wefentlich bezeichnet und fo fich felbft mit der Glorie
eines religiöfen Helden zu bekleiden fich angemafst hat,
ift nur auf eine bei feiner hohen Begabung doppelt be-
klagenswerthe Verblendung unentfchuldbaren Hochmuths
zurückzuführen.

Dornreichenbach. Wctzel.

Ehlers, End., Bilder aus dem Leben des Apostels Paulus.

Nachgezeichnet. Frankfurt a. M., Diefterweg, 1886.
(VII, 255 S. gr. 8.) M. 3.— ; geb. M. 4.— ; mit Gold-
fchnitt M. 4.25.

Die 26 Predigten, in welchen unter vorftehendem
! Titel der Verfaffer an der Hand der Apoftelgefchichte
j das Leben des grofsen Heidenapoftels behandelt, möchte
er felbft nach der Vorrede als einen kleinen Beitrag zur
Löfung der Aufgabe betrachtet fehen, dafs der Prediger
chriftliche Frömmigkeit ausfpreche, fo viel derfelben ihm
| gefchenkt wurde, ohne die Freiheit theologifcher For-
! fchung und deren geficherte Refultate nach irgend einer
Seite hin zu verleugnen. Es müffe die Form gefunden
werden, welche das Geheimnifs des chriftlichen Glaubens
j wahre und wiffenfehaftlicher Freiheit nichts vergebe;
nur fo werde die Verirrung überwunden, welche, weder
dem Anfehen der Predigt noch dem Aufbau der Gemeinde
zur Förderung, kirchenpolitifchc Unterfchiede,
oder gar den Streit der dogmatifchen Schulen in das
j gottesdienftliche Leben übertrage.

Ich meine, dafs der von D. Ehlers gcleiftete Beitrag
dankbare Anerkennung verdient. Zwar was die Berück-
. fichtigung der theologifchen Forfchung betrifft, fo weifs
ich nicht, ob der Gegenfatz zwifchen der Paulinifchen
und der judenchriftlichen Anfchauung nicht hie und da
zu ftark betont wird, m. vgl. z. B., was S. 209 über
Jakobus gefagt ift; auch hätten die Ausfagen, welche
S. 32, 75 und 87 über Joh. Markus fich finden, laut deren
diefer fich von Paulus getrennt, weil er innerlich der
judenchriftlichen Partei angehört habe, nur als Ausdruck
1 einer Vermuthung ausgefprochen werden follen, da eine