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Ausgabe: | 1886 |
Spalte: | 29-30 |
Titel/Untertitel: | Aguilera, La théologie de l‘avenir 1886 |
Rezensent: | Kattenbusch, Ferdinand |
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follen, fchädigt alfo geradezu das Chriftenthutn felbft,
indem es das Vordringen nach einem befferen Verftänd-
nifs desfelben hindert, und indem es den Gebildeten,
deren wiffenfchaftliche Vorausfetzungen nicht mehr die
der früheren Zeit find, eine pofitive Stellung zum Chri-
itenthum unmöglich macht. Diefe Gedanken liegen
namentlich den beiden umfangreichften und wohl auch
fachlich wichtigften Auflätzen zu Grunde, die feiner Zeit
in Schenkel's Allgemeiner kirchlicher Zeitfchrift erfchienen
waren: ,Zur Orientirung über die gegenwärtige
Aufgabe der deutfch-evangelifchen Kirche' (S.
1—63, aus dem Jahrg. 1862 der Allg. kirchl. Zeitfchr.)
und ,Zur Debatte über den Proteftantenverein'
(S. 92—128, aus dem Jahrg. 1864 der Allg. kirchl. Zeitfchr.).
Was Rothe in dem erfteren Auffatz über das Wefen
der fogenannten ,Ungläubigen' und über deren oft fehr
wenig chriftliche ßeurtheilung von Seite der .Gläubigen'
fagt, find goldene Worte, deren ßeherzigung heute womöglich
noch dringender nothwendig ift als vor zwanzig
Jahren. Die Auffätze find alfo im eminenten Sinne noch
zeitgemäfs.
Die übrigen Stücke der Sammlung find hauptfächlich
Gelegenheitsreden (bei Eröffnung des Heidelberger Pro- j
teftantenvereins S. 83—91, auf dem erften Protcftantentag j
in Eifenach S. 129—147, bei Gründung des badifchen |
wiffenfehaftlichen Predigervereins S. 169—181); ferner ein
Auffatz über Novalis als religiöfen Dichter (S. 64—82),
und ein Vortrag über die Gefchichte der Lehre von der
Perfon Chrifti (S. 148—168). Sämmtliche Stücke lagen j
fc hon bisher theils feparat, theils in Sammelwerken ge- j
druckt vor. Neu und von befonderem Intereffc ift da-
gegen das im Anhang mitgetheilte amtliche Gutachten
, welches Rothe im badifchen Oberkirchenrath
über die Anklage gegen Schenkel wegen feines
Charakterbildes Jefu erftattet hat (S. 182—195). Der
Herausgeber theilt dasfelbe ,nach dem Autograph des
Rothe'fchcn Konzeptes' mit (S. XV), von dem allerdings
zu vermuthen ift, dafs es mit der bei den Acten liegenden
Reinfchrift übereinftimmen wird; doch hätte die
Vergleichung der letzteren nicht unterlaffen werden
dürfen. In diefem Gutachten fpricht nun Rothe unverholen
feine Mifsbilligung über das Buch felbft aus, tritt
aber trotzdem rückhaltlos zu Gunften Schenkel's ein,
hauptfächlich unter dem Gefichtspunkt, dafs das Ringen
nach Erkenntnifs nicht dadurch gehemmt werden dürfe,
dafs man die Theologie der Vergangenheit zu einem
äufseren Lehrgefetz macht. Möge diefer evangelifche j
Grundfatz unferer Kirche niemals abhanden kommen.
Giefsen. E. Schürer.
Aguilera, pasteur, La theologiedel'avenir. Expose et critique
de la theologie d'Albert Ritsehl par Julius Thikotter.
Traduction de l'allemand, avec l'autorisation de l'au-
teur, avec notes et avant-propos par M. Aguilera,
precedee d'une lettre de M. Aug. Sabatier, pro-
fesseur. Paris, Fischbacher, 1885. (X, 124 S. gr. 8.)
Eine Ueberfetzung der trefflichen ßrofehüre J. Thi-
kötter's über die Theologie A. Ritfchl's. M. Aguilera,
Pfarrer zu Hyeres, der diefe Ueberfetzung gefertigt hat,
zeigt in den Noten, mit denen er das Expose Th.'s begleitet
, fich als einen nicht blofs begeifterten, fondern,
was mehr werth ift, vollftändig fachkundigen Anhänger
der R.'fchen Theologie. Alle diejenigen, die fich dem
Göttinger Meifter zu Danke verpflichtet wiffen, werden
lieh freuen, dafs auch in Frankreich feine Theologie
Vcrftändnifs und Anklang findet. Auf den Inhalt der
Th.'fchen Schrift einzugehen, liegt kein Anlafs vor, da
ßi Hing er in der Theol. Lit.-Ztg. (1883, Col. 523 ff.) die-
felbe in eingehender, zutreffender Weife befprochen hat.
Ein Brief von Profeffor Aug. Sabatier in Paris an den
jugendlichen Herausgeber bildet den Eingang der vorliegenden
ßrofehüre. Derfelbe knüpft in freundlicher
Weife einige Bemerkungen befonders an den Titel, den
M. Aguilera gewählt. Jede, auch die R.'fche Theologie,
trage deutlich zeitgefchichtlichen Charakter. Gewifs ift
Ritfchl's Theologie ein Kind des wiffenfehaftlichen Geiftes
unferer Zeit. Aber fie hat doch in anderem Sinne erft
auf die Zukunft zu rechnen. Wir freuen uns daher der
Zuverficht, die jenen Titel eingegeben hat.
Giefsen. F. Kattenbufch.
Franck, Paft. K., Die christliche Wahrheit, für das Verftänd-
nifs der Gegenwart dargeftellt in Vorträgen. Berlin,
Wiegandt & Grieben, 1884. (V, 411 S. gr. 8.) M. 4. —
Die chriftliche Wahrheit will nach dem Titel der Ver-
faffer darfteilen, und zwar in Vorträgen. Der letzteren
find fechszehn, und von vornherein möchte Mancher denken
, dafs der Rahmen für den gewaltigen einzufchliefsen-
den Inhalt zu enge fein dürfte. Allein fchon die Ueber-
fchriften der einzelnen Vorträge, vom erften, der vom
modernen ßewufstfein handelt und zur einleitenden Ver-
ftändigung dient, abgefehen: — II. Glaube und Wiffen,
III. das Gewiffen, IV. die Vorfehung, V. das Reich Gottes,
VI. Gott ift die Liebe, VII. die Sünde, VIII. das Gefetz,
IX. der Sohn Gottes, X. das Kreuz, XI. der Herr ift der
Geift, XII. die Gemeinde, XIII. die Gerechtigkeit durch
den Glauben, XIV. die heilige Schrift, XV. das Gebet,
XVI. die lebendige Hoffnung — laffen erkennen, dafs
die Hauptftücke der chriftlichen Wahrheit wirklich befprochen
werden. Zwar ift das Hauptthema der meiften
neueren apologetifchen Schriften, nämlich die Verthei-
digung des Inhalts der in der heil. Schrift niedergelegten
Offenbarung gegenüber Angriffen der Naturwiffenfchaft,
gar nicht berührt, allein der Verf. dürfte mit der Bemerkung
auch nicht unrecht haben, dafs die Kluft zwifchen
den Forfchungen und Erkenntnifsen der neueren Naturwiffenfchaft
und den Sätzen des chriftlichen Glaubens fo
grofs nicht fei, und ein gefichertes Refultat der Naturwiffenfchaft
, das mit dem chriftlichen Glaubensgrunde in
unvereinbarem Widerfpruche ftändc, bisher noch nicht
habe aufgewiefen werden können (vgl. S. 4). Ebenfo
wird nicht zu leugnen fein, was F. weiter bemerkt, dafs
der Gegenfatz zwifchen dem fogenannten modernen ßewufstfein
und der chriftlichen Sinnesweife überhaupt nicht
blofs ein Unterfchied des Meinens und Denkens, fondern
ebenfo fehr und mehr ein Gegenfatz des Fühlens und
Wollens d. h. der fittlichen Lebensrichtung fei, und eben
diefem Umftande ift der Verf., wie aus den von ihm behandelten
Themen hervorgeht, in den wefentlichften
Punkten gerecht geworden.
Aber nicht nur in den Themen, fondern auch, und
zwar in vortrefflicher Weife, in der Durchführung. Ueberau
leuchtet hervor, dafs F. mit dem modernen ßewufstfein
, an das er fich wendet, gründlich bekannt ift, fo dafs
er die Wunden wirklich berührt, die zu heilen find, und
ebenfo diejenigen Heilmittel auswählt, von denen etwas
zu erwarten ift. Nirgend geht er an vorhandenen Schwierigkeiten
vorüber, fondern legt diefelben rückhaltlos dar,
und was er zur Ueberwindung derfelben herbeiholt, ift
durchweg ftichhaltig, fei es, dafs er in den Schatz der
Gefchichte und der Lebenserfahrung, oder in die Gedankenwelt
von Dichtern, Philofophen und Theologen
hineingreift. Insbefondere bemerken wir noch, dafs der
Verf., wie überall erkennbar wird, auch mit der neueren
theologifchen Arbeit gründlich bekannt ift.
Und aufser dem Inhalt verdient auch die Form der
Darftellung alle Anerkennung. Ueberall begegnen wir
i klarer Gedankenentwickelung und einer edlen, einfachen
Sprache, was jedoch nicht ausfchliefst, dafs am paffenden
Orte der Vortragende auch einen höheren Schwung
nimmt.
Es ift nicht nur zu wünfehen, fondern auch zu er-