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Ausgabe:

1886 Nr. 20

Spalte:

472-473

Autor/Hrsg.:

Bender, H.

Titel/Untertitel:

Zur Lösung des metaphysischen Problems. Kritische Untersuchungen über die Berechtigung und den metaphysischen Werth d. Transscendental-Idealismus und der atomistischen Theorie 1886

Rezensent:

Müller, Ferd. Aug.

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 20.

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anzuwenden'. Wie es bei den Miffionen zugegangen,
davon fchweigen natürlich die officiellen Berichte, aus
denen der Verf. fchöpft; was bei Raupach (IV, 464 f.
Anm.) von eben diefen Miffionen zu lefen ift, davon
merkt man hier nichts. Uebrigens erfcheint ja die Anwendung
weltlicher, polizeilicher Zwangsmittel bei dem
einmal vorausgefetzten landesherrlichen Reformationsrecht
als beinah felbftverftändlich. Folge diefes metho-
difchen coge intrare ift natürlich eine maffenhafte Scheinunterwerfung
. ,In Spitz convertirten 832 Perfonen, aber
bei genauerer Nachforfchung ergab fich, dafs die Spitzer
noch die alten frifchen Lutheraner wären' (S. 41); ja
es kommt vor, dafs fich die angeblich Bekehrten mit
Vorliebe an einen beftimmten Geiftlichen halten, der |
dann den gegründeten Verdacht auf fich ladet, felbft '
ein verkappter lutherifcher Prädicant zu fein (S. 44). •
Daher denn trotz der fcheinbar grofsen numerifchen j
Erfolge (im Viertel Ober-Manhartsberg hatten fich j
22,224 Perfonen bekehren müffen, S. 52) immer auf's j
Neue Mafsregeln nöthig werden bis Ende des Jahrhunderts
und darüber hinaus. In der ganzen Art diefer :
kaiferlichen Reformationen durch aufserordentliche Com-
miffionen, bei denen die Kapuziner eine befondere Rolle j
fpielen, liegt eine Zurückdrängung der freilich vielfach [
ohnmächtigen oder indolenteren ordentlichen bifchöf-
lichen Regierung und Jurisdiction, wie dies wiederholt
empfunden wird. So meint fchon 1645 der Paffauer Of-
ficial, es fei ja gut und löblich, dafs der weltliche Arm
fich der kathol. Religion annehme, die Sectirer unterdrücke
und das verdammte lutherifche Wefen ausrotte; j
aber er mafse fich dabei bifchöfliche Jurisdiction an, 1
befehle kreuz und quer den Pfarrern und Seelforger/i
(die z. B. Liflen der Akatholifchen in ihren Kirchfpielen
einreichen müffen u. f. w.j und betrachte den üfficial
als feinen Subjectum, wenn nicht gar als feinen Schergen
(S. 15), daher zu befürchten ftehe, dafs die Kirche |
dem Staate in den Rachen gefchoben werde (S. 16.
Vgl. S. 93 und die Bemerkung auf S. 257). — In den
folgenden Capiteln des I. Buches wird in fehr lockerer
Weife Cap. 8 Einiges zum Zuftand der kathol. Bevölkerung
beigebracht, dann berichtet Cap. 9 in ziemlich
dürrer bibliographifcher Aufzählung über die literarifchen
Leiftungen des Klerus während der Reformationsperiode,
in welchem Abfchnitt niemand die Einfchaltung S. 292
—301 über die Verfuche einer ftrafferen Organifation [
der Bcnediktiner-Congregation fuchen wird; und Cap. 10
veranlafst der Umftand, dafs Spinola 1685 Bifchof von
Wiener-Neuftadt wurde, die Hereinziehung von deffen
Unionsverhandlungen, ohne etwas Neues zur Sache beizubringen
. Im II. Buche (Der Prot, im Lande unter der
Enns von 1700 bis zum Toleranzedict) find die Mafsregeln
hervorzuheben, welche, veranlafst durch die Vertreibung
der evangel. Salzburger durch den Erzbifchof
Firmian, von der öfterreichifchen Regierung im Salzkammergut
ergriffen werden (Transportation nach Siebenbürgen
). Auch hier ift es leider nur einzelnes Material,
keineswegs eine volle Beleuchtung der Sache, die überdies
ja mehr auf Oberöfterreich Bezug hat. Sehr wenig
befriedigend fällt dann das dritte Buch unter dem Titel: j
Die Toleranz, aus. Der Abdruck der betreffenden jofe-
phinifchen Patente und Circulare vermehrt durch einige
Mittheilungen aus den Confifl.-Acten und Klofterraths-
Acten ift hier Alles, was geboten wird. Von Intereffe
find hier tiie fogenannten Angelobungen zum Proteftan-
tismus, z. B. S. 425. Ein viertes Buch fügt noch biogra-
phifche Angaben über die ganze Reihe der paffauifchen
Officiale unter der Enns, fowie der des Bisthums Wien
hinzu.

Kiel. W. Möller.

Bender, PL, Zur Lösung des metaphysischen Problems. Kri-
tifche Unterfuchungen über die Berechtigung und den
metaphyfifchen Werth des Transfcendental-Idealismus
und der atomiftifchen Theorie. Berlin, Mittler & Sohn,
1886. (VIII, 176 S. gr. 8.) M. 3. —

Es find vier Abhandlungen, welche der Verfaffer
unter obigem Titel zufammengefafst hat: Die Subftanz
als Ding an fich. Ein Beitrag zur reinen Erkcnntnifs-
lehre. Ueber die Idealität von Raum und Zeit.
Ein Beitrag zum Kapitel der transfcendentalen Aefthetik.
Die Atomenlehre, was fie leiftet und was ihr
fehlt. KritifcheBeleuchtung der wiffenfehaftlichenGrundlage
des Materialismus. Subftan zialität, Kaufalität
undWech fei Wirkung die einzigen urfprün glichen
Kategorien. Diefe vier Auffätze ftreben nach Angabe
des Verf.'s einem gemeinfamen Ziel zu: Der ,Neubegründung
der grofsen einheitlichen Weltanfchauung Spi-
noza's unter Zuhülfenahme der Atomiftik und einer freien
felbftändigen Auffaffung der Kant'fchen Lehren von der
Idealität des Raumes und der Zeit' (Vorrede). Das Ziel
in gewifs ein unverächtliches; denn wer auch nicht der
Anficht Leffing's ift, dafs es keine andere Philofophie
giebt oder geben kann, als die Spinoza's (eine Ueber-
fchätzung, von der Leffing gewifs abgegangen wäre, wenn
er das Erfcheinen der Vernunftkritik erlebt hätte), mufs
doch den Vernich: Das Syftem eines confequenten und
ehrlichen Denkers, wie es unzweifelhaft Spinoza war,
mit den Theorien der modernen Naturforfchung zu befruchten
, für durchaus der Aufmerkfamkeit würdig halten.
Zudem fcheint der Verf., wie auch aus der Widmung
hervorgeht, im wefentlichen jene Weltanfchauung zu vertreten
, welcher du Bois-Reymond, der berühmte Natur-
forfcher, in feinen fo meifterhaft ftylifirten, viel bewunderten
und viel citirten Reden Ausdruck gegeben hat,
und es wird daher Vielen gewifs willkommen fein, bei
Bender genauer ausgemalt zu finden, was uns der geniale
Phyfiologe entfprechend der durch die gewählte Darftel-
lungsart auferlegten Befchränkung nur in einzelnen Richtungen
und nach gewiffen Confequenzen über feine Phi-
lofophie gefagt hat.

Der Verf. Breitet zunächft (in der erden Abhandlung)
gegen den ,extremen Idealismus der Kantifchen Kategorienlehre
'. Die Kategorien gehen nicht blofs auf Er-
feheinungen, fondern fie find im Gegentheil dasjenige,
was uns über das Gebiet blofser Vorftellungen in das
der objectiven Realität hinüberführt (das allerdings ift es
gerade, was Kant lehrt). Sie find ,fubjective Repräfen-
tanten' einer unabhängig von unferem Vorftellen gegebenen
objectiven Einheit. Als folche fubjective Reprä-
fentanten werden aber nur drei Kategorien zugelaffen:
Subftanzialität, Caufalität und Wechfelwirkung. Unter
diefen gebührt der Subftanz eine befonders hervorragende
Stelle: fie ift das nun fchon feit hundert Jahren
fteckbrieflich gefuchte ,Ding an fich'. Somit mündet des
Verf.'s Kritik des Erkenntnifsvermögens in die Alleinheitslehre
Spinoza's ein; fie führt aber auch zur Rechtfertigung
des ontologifchen Gottesbeweifes oder vielmehr
fie drängt zur Aufteilung eines folchen in neuer Geftalt.
Man darf nicht kurzweg decretiren: das abfolut Noth-
wendige kann nicht nicht fein, folglich mufs es exiftiren,
fondern man mufs fchliefsen: Wechfelnde Accidenzien
fetzen ein abfolut Beharrliches als Bedingung der Möglichkeit
ihres eigenen Dafeins voraus. Nun lind alle
Erfcheinungen der Erfahrungswelt (Dinge wie Veränderungen
) durchaus nur bedingt reale Accidenzien: folglich
u. f. w. Gegen den Schlufs felbft ift nichts einzuwenden
; aber es dürfte durchaus unhaltbar fein, die
Setzung der Subftanz, die allerdings Bedingung aller
Veränderung in der Natur ift, mit der Gottesidee zu
identificiren.

Die zweite Abhandlung kommt in Bezug auf Raum