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Ausgabe:

1886 Nr. 19

Spalte:

451-453

Autor/Hrsg.:

Rauwenhoff, Lodewijk W. E.

Titel/Untertitel:

Historia Hungarorum ecclesiastica, inde ab exordio novi testamenti ad nostra usque tempora ex monumentis partim editis, partim vero ineditis, fide dignis, collecta studio et labore Petri Bod de Felsö-Csernátion, V. D.

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 19.

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wirklichen zu ftellen, um fie von den Bedürfnifsen des
ethifchen Bewufstfeins aus in Angriff zu nehmen. Es
ift daher gar kein Grund, auch nur von einem ,momentanen
Hinneigen' Kant's zu dem Standpunkt des bezeichneten
Idealismus zu reden. Wenn ferner der Verf.
(ebd.) die Erfcheinungswelt im Sinne Kant's als ein
,relatives Ding an fich' bezeichnen zu müffen glaubt und
(S. 270) von einer Mittelftellung derfelben redet, derzu-
folge fie ,weniger ift als das Ding an fich und mehr als
fubjective Vorftellung', fo ift diefe (mehr in dem Geleife
Schopenhauer's fich haltende) Wendung der Sache dazu
angethan, die eigentliche Frageftellung der Vernunftkritik
zu verdecken. Die letztere nämlich geht auf die
transcendentalen Bedingungen für die Nothwendigkeit
und Allgemeingültigkeit deffen, was wir Erkenntnifs der
innern und äufsern Natur d. h. der Wirklichkeit nennen.
Jene Bezeichnung der Natur aber macht daraus die
Frage nach dem (transcendenten) Verhältnifse der Wirklichkeit
zu einer von anderswoher vorauszufetzenden
Ueberwirklichkeit, eine Frage, durch welche vielmehr
das Grundproblem der vorkantifchen Metaphyfik bezeichnet
ift.

In der Darftellung der nachkantifchen Philofophie
wird u. a. mit Recht bemerkt, dafs für Fichte's Specu-
lation in der ,zweiten Periode' die Einflüffe des erweiterten
Lebenshorizontes und jedenfalls auch das Erleben
neuer religiöfer Stimmungen von Bedeutung waren. Dafs
Hegel's theoretifche Philofophie im Vergleich zu der
feiner Vorgänger fo kurz behandelt wird, erfcheint
charakteriftifch für die philofophifche Stimmung der
Gegenwart. Immerhin hätte zu Händen der letzteren
neben Hegel's Rechts- und Gefchichtsphilofophie der
Phänomenologie des Bewufstfeins eine gröfsere Beachtung
gewidmet werden dürfen. In Rückficht auf Tages-
intereffen wäre für eine neue Auflage (die wir dem
Werke angelegentlich wünfchen) auch eine genauere Erörterung
der Urfachen für das Auftreten des Neukantianismus
, namentlich auch der Hinweis auf den hiftorifchen
Zufammenhang desfelben mit Herbart, Bolzano u. a. zu
empfehlen. ■— Der eigene Standpunkt des Verf.'s präcifirt
fich am Schluffe des Ganzen dadurch, dafs er den Neukantianismus
nur als ein Proviforium und Durchgangs-
ftadium betrachtet, das ewig Gültige der Kantifchen
Philofophie dagegen in ihrer ,pofitiven' (d. h. ethifchen)
Seite findet und einer Verföhnung des chriftlichen mit
dem modernen Geifte etwa in der Richtung der Specu-
lation Lotze's das Wort redet.

Giefsen. H. Siebeck.

Historia Hungarorum ecclesiastica, inde ab exordio novi
testamenti ad nostra usque tempora ex monumentis
partim editis, partim vero ineditis, fide dignis, collecta
studio et labore Petri Bod de Felsö-Csernäton, V. D.
Ministri M. Igeniensis et Synodi Generalis Reforma-
torum in Transylvania Notarii.

Unterzeichneter hat fich vorgenommen, die Handfchrift, welche obigen
Titel trägt und in der Bibliothek der Reichsuniversität zu Leiden aufbewahrt
wird, vollftändig im Druck zu veröffentlichen. Welch einen Werth
diefe Herausgabe für die Gefchichtswiffenfchaft im allgemeinen und für die
Gefchichte des Proteftantismus im besondern haben könne, möge aus folgendem
klar werden.

Petrus Bod wurde im Jahre 1712 zu Felsö-Csernäton geboren. Nach
Vollendung feiner Studien an der Bethlenfchen Hochfchule zu Nagy-Enyed
zog er im Jahre 1740 nach Leiden, wo er drei Jahre verlebte und fich
durch hervorragende Tüchtigkeit und treffliche Gefinnung allgemeine Iloch-
fchätzung erwarb. Nach Ungarn zurückgekehrt hat er kirchliche Aemter
verwaltet, zuletzt im Magyarifchen Igen, wo er bis zu feinem Tode im
Jahre 1769 verblieb.

Seine öffentliche Wirkfamkeit fiel in eine dunkle, trübe Zeit. Es
fchien, als ob die feit Jahrhunderten fortgefetzte Unterdrückung des Protestantismus
in Ungarn ihr Ziel erreichen follte. Es wies der Ausfpruch des
Erzbifchofes Collonics ,Faciam Hungariam captivam, postea mendi-
cam, deinde catholicam' auf eine höchftwahrfcheinlich nicht weit entfernte
Zukunft hin.

Unter diefen Umftänden hat Petrus Bod es fich zur Lebensaufgabe
gemacht, die nationale Wiffenfchaft und Religion vor drohendem Untergang
zu schützen. Was er in diefer Hinlicht geleiftet, erzählt uns Graf
Miko in feiner „Befchreibung des Lehens und Wirkens des Petrus Bod"
I mit Worten, welche ein klares Zeugnifs ablegen von der tiefen Verehrung
für den Mann, welcher als armes Waifenkind, beinahe als Bettler, heran-
gewachfen, durch den Adel feiner Gefinnung eine Höhe erreicht hat, die
es ihm ermöglichte der Wohlthäter feiner Landesgenoffen zu werden.

Petrus Bod hat fich vor allem bemüht, die Materialien zur Gefchichte
Ungarns und der nationalen Kirche zu fammeln und vor dem Untergange
zu fchützen. Er trat aber auch als felbftftändiger Autor auf; es find 56
Schriften aus den Jahren 1744—1768 von ihm bekannt, jedoch find davon
nur 20 zum Drucke befördert.

Sein Hauptwerk, worin er die Refultate von jahrelangen Forfchungen
gefammelt hatte, war feine ,Historia Hungarorum Ecclesiastica.' Zu
diefem Zwecke hatte er mit unermüdlicher Ausdauer in- und ausländifche
Bibliotheken und Archive durchforfcht. Graf Miko fagt darüber folgendes :
„In diefer Schrift bearbeitet er ein Gebiet, welches bis dahin brachgelegen
hatte. Sein forfchender Geift bewegt fich nach allen Richtungen hin auf
dem Gebiete der Reformirten Kirchengefchichte Ungarns. Er beleuchtet
ganze Zeitalter, zweifelhafte Punkte bringt er zur Klarheit, ungewiffe Data
ftellt er feft, er enthüllt die Wahrheit, wo es ungerecht beurtheilte Perfön-
i lichkeiten oder Thaten gilt, — kurz, überall, fei es dafs er die Fundamente
legt, fei es dafs er darauf weiterbaut, fieht man in ihm den hervorragenden
Gefchichtsforfcher, der fich durch feine Kenntniffe und feine Talente
weit Uber alle feine Zeitgenoffen erhebt."

Der Verfaffer diefer Lobrede kannte von dem grofsen Werke nur einzelne
Theile, wovon Abfchriften in Ungarn geblieben waren, und wahr:
fcheinlich hatte er von den 4 Büchern, welche diefes Werk bildeten, das
letzte gefehen. Petrus Bod hatte die Herausgabe feiner Historia Ecclesiastica
nicht zu Stande gebracht und die Handfchrift war, als Graf Miko
fchrieb, fchon längft nicht mehr in Ungarn. Ja, man wufste nicht einmal,
was aus ihr geworden war, und diefer Verlud: wurde in neuerer Zeit um
fo mehr bedauert, weil man die Materialien, deren Bod fich bedient hatte,
nicht mehr zu fammeln wufste. Nach ihm hat Niemand es vermocht,
eine wiffenfehaftliche Gefchichte der Reformirten Kirche Ungarns und
Siebenbürgens zu fchreiben.

Die Handfchrift war nicht verloren. Sie befand fich wohlverwahrt
in der Bibliothek der Leidenfchen Univerfität, und wie Leiden vor ungefähr
150 Jahren den Verfaffer, zu feiner Aufgabe wohl gerüdet, zur Heimalh
fchickte, hofft es jetzt deffen Plauptwerk dem Vaterlande Ungarn wieder
zu geben.

Um 1756 hatte Michael Aitai, Profeflbr an der Schule von Nagy-
Enyed, das Manufcript, 1114 Seiten Folio, dem Herrn Profeflbr J.van den
Honert zu Leiden gefchickt, mit der Bitte es heraus zu geben. Die grofsen
Koden verhinderten diefen jedoch , dem Wunfche Folge zu leiden. Als
zwei Jahre fpäter van den Honert darb, wandte fich Aitai mit derfelben
Bitte an den Groninger Profeffor Daniel Gerdes; aber auch diefer hatte
mit denfelben Befchwerden zu kämpfen. Dennoch that er das Seinige um
die Schrift in weiteren Kreifen zu verbreiten; er liefs zwei Kapitel daraus
abdrucken in feinem ,Scrinium Antiquarium' Tom. VII p. 133—174 und
p. 346—374. Nach Gerdes' Tode im Jahre 1765 kam das Document zu-
rück nach Leiden, wo es bei Ewaldus Hollebeek bis zum Jahre 1708
verblieb. Dann wurde es aufgenommen in die Akademifche Bibliothek,
wo es als Codex N°. 10 B. im Handfchriftenkatalog verzeichnet deht.

Wahrfcheinlich bei der Aufnahme in die Bibliothek wurde auf der
letzten Seite der Handfchrift folgendes verzeichnet: ,Hu/us Codicis, pars
,altera, jam a tribus et quod excurrit annis, Viennae in Austtia apud
^Spectabilem Dn\m Samuelem Tiiri, Reformator um Transylv. Ecclar.
jbidem Agentem Ordinarium Aulicum delitescens per aliquem patriae
,nostrae filium Lariumque suor. amantem, huc transportari huieque parti

I ,sociari cupit. 1768 14 Aug. L. Bat.' Im gedruckten Katalog wurde
diefe Aufzeichnung erwähnt und folgendes hinzugefügt: ,Huic desiderio

I numquam satisfactum videtiir.' Was diefer andere Theil enthielt, hatte

, man in der Handfchrift ausfindig machen können. Indem diefe aus drei
Theilen zufammengefetzt id, enthält fie noch eine Inhaltsangabe eines
Uber quartus mit der Auffchrift: Comp/ectitur res Ecclesiae in Transyl-

1 vania et Hungaria a Compositione Szatmariensi ad praesens usque tern-
pus'. Im vierten Buche wurde alfo die Gefchichte nach dem Frieden
von Szathmar im Jahre 1711 behandelt. Von den 16 Kapiteln, welche
den Inhalt des letzten Buches bildeten, werden auch die Auffchriften mit-
getheilt.

In der erden Zeit nach der Aufnahme in die Bibliothek fcheint der
Codex dann und wann zur Hand genommen zu fein. Wenigdens ein im
Jahre 1768 beigefügtes Verzeichnifs von Ungarn und Siebenbürgern, die
zu Leiden dudirt hatten, id fpäter bis zum Jahre 1784 fortgefetzt worden,
i Aber dies id die letzte Jahreszahl, die eine Bekanntfchaft mit dem Codex
anzeigt.

Gerade 100 Jahre fpäter, im Jahre 1884 verweilte zu Leiden ein Ungar,
Carolus Szalay, der nach Vollendung feiner Studien zu Sarospatak, nach

I Holland gekommen war, um fich dort zum Zwecke einer wiffenfehaftlichen
Andellung in feinem Vaterlande auszubilden. Bei feinen Forfchungen in
der Akademifchen Bibliothek hatte er das Glück, den Namen des Petrus
Bod im Katalog zu finden. Er wufste nicht blofs, wie fehr diefer Name
in Ungarn und Siebenbürgen geehrt wird, aber er hatte auch von der verloren
geglaubten Handfchrift gehört, und man kann fich denken, mit welcher
Freude er den ftattlichen Folianten zur Hand nahm. Genauere For-
fchung beflätigte feine Erwartungen. Die Schrift erwies fich. wie fchon

I Graf Miko dies auf Grund einer theilweifen Bekanntfchaft gefagt hatte,