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Ausgabe:

1886

Spalte:

447-451

Autor/Hrsg.:

Falckenberg, Richard

Titel/Untertitel:

Geschichte der neueren Philosophie von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart. Im Grundriß dargestellt 1886

Rezensent:

Siebeck, Hermann

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Theoiogifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 19.

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Intereffc hat. Für die ,Theol. Lit.-Z.' lag bisher kein 1 die fchon das angefügte Lexikon philofophifcher Termini

Grund vor, fich damit zu befaffen; diefes jüngfte und hindeutet), foll das Buch zur Einführung, Repetition, zum

doch fchon in vierter Auflage erfchienene Heft, welches i Erfatz für Dictate bei akademifchen Vorlefungen und zur

darnach zu urtheilen mehr eingefchlagen haben mufs Orientirung für den weiteren Kreis der Gebildeten dienen,

als irgend eines der vorhergehenden, will fie nicht ver- — Anforderungen, die freilich kaum gleichmäfsig durch

fäumen ihren Lefern angelegentlich zu empfehlen. Es | eine und diefelbe Darflellung zu erreichen waren. Am

fchildert die Leetüre des Volkes, und zwar des öfter- i beften dürfte es zur Orientirung und zur Wiederholung

reichifchen, römifch-katholifchen Volkes. Und zwar fich eignen. ,Wo es irgend anging', fagt der Verf. S. V,

handelt die erfte Hälfte von der profanen Colpor- ! ,haben wir die Philofophen felbft ihre Lehren und Gründe

tageliteratur, vor der viele einen fo grofsen Abfcheu
haben und kennen fie doch ganz und gar nicht. Der
Verf. fcheint wirklich das Opfer gebracht und etliche

entwickeln laffen, nicht fowohl in wörtlichen Auszügen
aus ihren Schriften als in freier verdichtender Repro-
duetion der Grundgedanken'. Man kann hinzufügen, dafs

von diefen Romanen gelefen zu haben; er fchreibt als die , Verdichtungen'vor andern ähnlichen Unternehmungen
ein Wiffender. Einige Fragezeichen habe ich mir aller- fich durch gewandte Darflellung, und überhaupt das

dings gemacht, z. B. S. 22: Billigen wirklich die Ab-
fchaffung des Prämienfchwindels im Reich alle Colpor-
tagebuchhändler ohne Ausnahme? Sie thun es doch
nur mit faurem Geficht (vergl. die Denkfchrift des Allg.
V. der Colportagebuchhändler im Deutfchen Reiche vom
März d. J.: ,Der Colportage-Buchhandel und die Ge

Ganze fich durch feine Lesbarkeit in erwünfehter Weife
auszeichnet. Eine finnreiche Klarheit, welche vor allem
die Schwerfälligkeit, jedoch möglichft wenig auf Köllen
der Tiefe, zu vermeiden fucht, ift der durchgehende
Charakter; es fehlt namentlich nicht an gefchickten Ver-
gleichungen, z. B. des philofophifchen Charakters der

werbe-Novelle vom I.Juli 1883' S. 12 und 26 f.). Ferner Engländer, Franzofen und Deutfchen (S. 53 f.); an ge
find die Angaben über die Höhe der Auflagen von eigneter Stelle finden fich kritifche Ausblicke von allge-
Colportageromanen auf S. 23 übertrieben; ein Abfatz meinerem Intereffe, fo in der Einleitung die Erwägung
von iooco Vollexemplaren ift fchon ein Erfolg. Die des Antheils von Gemüth und Verftand an der Ent-
erften Hefte werden allerdings in einer ungemeffenen 1 ftehung philofophifcher Syfteme und die Erörterung der
Zahl unentgeltlich ausgegeben; die Zahl der feften Factoren, welche ihre Um- und Fortbildung bedingen;
Abonnenten, die aushalten, ift aber im Verhältnifs S. 65 die Erwägung über die Berechtigung des Dualismus
dazu gering. Eigentliche .Auflagen' giebt es bei diefer , und deren Grenzen; S. 113 die kurze aber treffende Be-
Gattung von Schriften nicht; fie werden fterotypirt und | Zeichnung des Verhältnifses, in welchem Locke zu Baco
je nach Bedarf nachgedruckt. und Descartes fich befindet u. a. Die Gefchichte der

Befonders intereffant wird für den Leferkreis der Philofophie erfcheint in dem Ganzen nicht lediglich als
Lit.-Z. die zweite Hälfte der Flugfchrift fein, welche fich ! eine Perlenfchnur fauber excerpirter, mehr oder weniger
mit der römifch-katholifchen Volksliteratur befchäftigt. ' geiftreicher metaphyfifchcr, empiriltifcher und moralifcher
Wir haben doch immer noch eine zu gute Meinung von Ideen, fondern als eine auch durch culturgefchichtlich
,unfercr römifchen Schwefterkirche'. Man hält es nicht j notwendigen Factoren (Volkscharakter, Stand der Fachfür
möglich, was für Poffen z. B. der Innsbrucker ,Send- j wiffenfehaften, Religion u. dgl.; bedingte Entwicklung,
böte des göttlichen Herzens Jcfu' mit feinen abergläubi- J Diefe Art der Behandlung ift zwar glücklicher Weife
fchen Lefern treibt. Ich will es der Brofchüre nicht an- I gegenwärtig nicht mehr neu, aber in Compendien von
thun, hier einige Proben jefuitifcher Volkserbauung i Zweck und Charakter des vorliegenden bis jetzt m. W.
auszufchreiben. Wer aber für wirkliche Symbolik, d. h. noch nicht fo gefliffentlich zur Durchführung gekommen,
für eine, die nicht nur die fymbolifchen Bücher der ver- ! Allerdings^ hätten bei diefer Tendenz wohl aufserdem

fchiedenen Kirchen, fondern auch ihre Wirklichkeit
vergleicht, Sinn und Theilnahme hat, möge fich die hier
gefammelten Züge nicht entgehen laffen.

Wenn Verf. meint (S. 35), damit die religiöfen und

auch die Einflüffe noch fpecieller berückfichtigt werden
follen, welche aus der Individualität fowie aus dem Leben
und Bildungsgang der einzelnen Denker (lammen, wenngleich
auch nach diefer Seite hin von dem Verfaffer

erbaulichen Schriften auch im Reiche gekennzeichnet zu 1 manches geleiftet ift.
haben, fo mufs man das feiner öfterreichifchen Herkunft , Die Einleitung behandelt die Uebergangszeit von
zu gute halten: er kennt unfere evangelifchen Volks- , Nikolaus von Kues bis zu Descartes. Die Bedeutung des
fchriften und Volksblätter gar nicht. Wenn er fie kannte, Erllcren ift fowohl durch die Stellung, die ihm der Verf.
würden fie vermutlich nicht ganz nach feinem Ge- I Siebt> als auch durch Pas< was er von feinen Lehren mit-
fchmack fein, aber er würde begreifen, dafs unfer Reichs- thellt> genügend ins Licht gefetzt; ein (larkeres Gewicht
tag fie nicht unter die gemeinfehädlichen rechnen kann. ! hatte ind,cfs' wie lch glaube, auf feine Kosmologie gelegt
Schlicfslich macht Verf. den Vorfchlag, einen Volks- : werden dürfen, in welcher der Kutaner geradezu als der
literaturverein zu begründen, welcher dem Volke eine Vorlaufer des Copernicus erfcheint. In die Einleitung
beffere Leetüre an Stelle der fchlechten darbieten foll. : ift, au?h die ™gfifche Philofophie bis zur Mitte des 17.
Es wäre erfreulich, wenn die Wiener damit Ernft machten; Jfhrh. s (Baco Hobbes, Herbert) mit e.ngefchloffen, eine
fie würden dann vielleicht finden, dafs der proteftantifche j Anordnung die nicht unbedingt einleuchten durfte. Die
Norden fchon einiges in diefer Richtung gethan hat. Anflehten des Letztgenannten gehören an den Beginn

des enghfehen Deismus, die beiden erfteren aber hätten
füglich in einer zufammenhängenden Entvvicklung der
Entftehung und Fortbildung der mechanifchen Welt-
anfehauung ihre Stelle zu finden, einem Capitel, welches
in der Darflellung der neueren Philofophie unzweifelhaft
feinen eigenen Platz beanfprucht. Man erkennt das in
dem vorliegenden Werke namentlich auch an der Mühe,
die es dem Verfaffer koftet, Erfchcinungen wie Galilei,
Kepler und Newton, die doch hier unftreitig zufammen-
gehören, jeden für fich an paffender Stelle unterzubringen;
Kepler z. B. hat nur als ,intereffantes Gegenftück' zu —
Jakob Böhme Zutritt gefunden. Auch das Verftändnifs
Leibnizcns (deffen Darflellung übrigens vortrefflich gelungen
ift) würde gewonnen haben, wenn das von Anfang
an vorhandene kritifche Verhältnifs, in welchem feine

Schönbach. Rade.

Falckenberg, Privatdoc. Dr. Rieh., Geschichte der neueren

Philosophie von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart.
Im Grundrifs dargeftellt. Leipzig, Veit & Co., 1886.
(VIII, 493 S. gr. 8.) M. 6. -

Falckenberg's Gefchichte der neueren Philofophie hält
(laut der Vorrede S. VII) etwa die Mitte zwifchen ,der
eleganten jedoch ausführlicheren Darflellung Windclband's
und dem foliden aber mit feiner Spaltung des Textes in
Paragraphen und Noten . . . etwas trockenen Grundrifs
Ueberwegs'. Vorwiegend praktifchen Zwecke beftimmt (auf