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Ausgabe:

1886

Spalte:

424-425

Autor/Hrsg.:

Grung, Frz.

Titel/Untertitel:

Das Problem der Gewissheit. Grundzüge einer Erkenntnistheorie 1886

Rezensent:

Müller, Ferd. Aug.

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feine Eigenfchaft als Souverän im Vatican durch die
italienifche Staatsgefetzgebung weder rückgängig gemacht
, noch befchränkt werden kann.

Mainz. K. Köhler.

Peucker, Bürgermftr.Dr.Osc, Das Patronats-Recht im Lichte
der Kirchengemeinde- und Synodal-Ordnung vom io.Septbr.
1873 und der nach derfelben erlaffenen Gefetze, Verordnungen
und Refcripte. Berlin, Heinicke, 1886. (30 S.
gr. 8.) M. —. 50.

Dafs das Patronat neben dem landesherrlichen Kir- i
chenregiment ,von je her der Verfaffung der ev. Kirche
die Richtung gebe', wie der Verfaffer im Eingang fagt,
kann doch höchftens für den gröfsten Theil von Nord-
deutfchland gelten, für andere Kirchengebiete nicht. Im i
Bereich der preufsifchen KGSO. ift die Stellung des Pa- !
tronates allerdings noch immer eine fehr bedeutungsvolle
, weit über den gemeinrechtlichen Begriff der Sache
hinaus. Der Verf. der vorliegenden Schrift giebt eine
überfichtliche Darfteilung des im Bereich der genannten
Ordnung gegenwärtig geltenden Rechts bezüglich des
Patronates. Die Darfteilung ift rein fachlich, eingehend
cafuiftifch und erweift fich durchgängig als zutreffend.
Dafs die Selbftändigkeit der Kirche, wie fie durch die
preufsifche Verfaffung von 1850 angekündigt wurde und I
durch die presbyterial-fynodale Organifation verwirklicht
werden follte, die Befeitigung des Patronates fordere, ift
dem Verf. zuzugeben, das Patronat ift in der That eine
Anomalie im heutigen Rechtsleben. Doch wird feine
durch die Verfaffung in Ausficht genommene Aufhebung
wohl noch lange anftehen müffen.

Mainz. K. Köhler.

Fünf Gelegenheitsreden von einem Veteranen. Königsberg,
Härtung, 1886. (24 S. gr. 8.) M. —. 30.

Der den Lefern der Lit.-Ztg. wohl bekannte, doch
ungenannte ,Veteran' legt uns hier ein paar ,Gelegenheitsreden
' vor, die er felbft offenbar wirklich gehalten,
und entpuppt fich dabei als evangelifcher Geiftlicher.
Es find drei Traureden, eine Taufrede und eine Tifch-
rede bei einem Hochzeitsmahle, welche aber nahezu
Form und Inhalt einer geiftlichen Anfprache annimmt.
Alle find vor höher gebildeten Zuhörerkreifen gehalten,
die eine Traurede bei der Trauung des Sohnes des
Verfaffers, welchen er als Eehrer der Wiffenfchaft bezeichnet
, eine andere in der Familie eines adeligen Guts-
befitzers. ,Vor einem Publikum moderner Bildung —
fagt darum der Verf. in der Vorbemerkung, die er an
die Spitze geftellt hat — kann ich es nicht unterlaffen
religiös-grundlegend und apologetifch zu verfahren. Dies
wolle man behufs einer gerechten Beurtheilung berück-
fichtigen'. In der That dürfte vor einer Zuhörerfchaft
gewöhnlichen Schlages nicht fo hoch und wiffenfehaft-
lich-abftract geredet werden, wie hier gefchieht. An der
Redeweife wären hier und da mit dem Mafsftab homile-
tifcher und liturgifcher Correctheit einzelne Ausftellungen
zu machen. Am Schlufs der einen Traurede macht der
Verf., charakteriftifch für feine Art der Behandlung, den
Uebergang zu der agendarifchen Trauungshandlung mit
folgenden Worten: ,Und nun, meine Lieben, wende ich
mich zu der amtlichen Handlung, die wir die kirchliche
Trauung nennen. Hierin ift der Geiftliche natürlich nur
Diener der Gemeinde und deffen, was fie fich gefetzt
hat oder hat fetzen laffen. Drei Jahrhunderte feit der
Reformation war wenigftens bei uns zu Lande die Traufrage
ganz, aber ganz kurz; erft feit den zwanziger
Jahren wurde fie etwas länger und erft feit ein paar
Jahren hat fie unter den Zeitumftänden aufnachdenkens-
werthe Weife die opulentere Geftalt gewonnen, die jetzt

vorliegt'. Das ift wohl alles wahr, aber es gerade in
diefem Augenblick mit diefen Worten auszufprechen
muthet das liturgifche Stilgefühl feltfam an. Doch das
find Nebendinge. Was diefen Reden ihre Bedeutung
giebt, ift die religiöfe Gedankenwelt, aus der fie ent-
fprungen find. Sie charakterifirt fich in ein paar Sätzen
der einen Traurede. ,Kurzum nur — ich will jetzt modern
fprechen, der würdigere biblifche Name dafür ift
der heilige Geift — nur der reinfte, ftrengfte, höchfte,
ich möchte fagen der radicalfte Idealismus, feilgehalten
als Glauben im Gemüthe, feftgehalten im Glauben als
die über Allem übermächtig waltende Obmacht in der
heiligen Ordnung der Dinge, der wir angehören und mit
Bewufstfein angehören follen, feftgeftellt als Gelübde fteter
andächtiger Arbeit derfelben darin — dies nur ift das
unfehlbare Fundament des feiigen und glücklichen Lebens
in allen Verhältnifsen und unter allen Umftänden. Dies,
meine Lieben, ift nach meiner Meinung der allein felig-
machende Glaube. Mir fcheint zu beklagen, wer ihn nie
gewinnt'. Höchft beachtenswerth ift auch, was in der
Taufrede über die grundlegende Bedeutung des Begriffs
der Perfönlichkeit für eine befriedigende Gottes- und
Weltanfchauung gefagt wird. Man mag Einzelnes be-
ftreitbar finden, gewifs ift, dafs der Verf. im beften Sinn,
wie er fich vorgenommen hat und wie es gewifs dem
Bedürfnifs der Zuhörer entfprach, religiös-grundlegend
und apologetifch redet. Und fo fei ihm über die weite
räumliche Entfernung und auch über manche Differenzen
der Anfchauung hinaus, die fich bei eingehenderem Ge-
dankenaustaufch wohl ergeben dürften, herzlich die Hand
gereicht.

Mainz. K. Köhler.

Grung, Dr. Frz., Das Problem der Gewissheit. Grundzüge
einer Erkenntnifstheorie. Heidelberg, Weifs' Verl., 1886.
(IV, 207 S. gr. 8.) M. 4.—

Der Verf., welcher nach einer Angabe in der Vorrede
feine Arbeiten bisher nur in norwegifcher Sprache
gefchrieben hatte und nun zum erften Mal mit einer
deutfehen Abhandlung an die Oeffentlichkeit tritt, claffi-
ficirt feine Schrift als ,Grundzüge einer Erkenntnifstheorie
'. Diefe Bezeichnung fcheint mir nicht ganz richtig.
Was der Verf. giebt, find, abgefehen von den hiftorifchen
Notizen, die übrigens wefentlich Neues nicht bieten und
fich der herrfchenden Anfchauungsweife anfchliefsen,
pfychologifche Analyfen; in diefen aber entwickelt
der Verf. ein, wie mir fcheint, nicht unbedeutendes Talent
und feine Stärke dürfte auf diefem Gebiete liegen.

Gleich im erften Abfchnitt wird die Gewifsheit pfycho-
logifch beftimmt; ,in der Gewifsheit — wenn wir vom
Inhalte abfehen, zu welchem Zwecke wir hier an die vom
Willen am wenigften beeinflufste Erkenntnifs, die wiffen-
fchaftliche denken mögen — fühlen wir eine Freude, in
der Ungewifsheit eine Unluft und in der Wahrfcheinlich-

I keit eine Mifchung von beiden.' Der Grund ift der, dafs,

J wenn Gewifsheit vorhanden ift, die Erkenntnifskraft Ein-

t heit in eine Reihe von Vorftellungsverbindungen gebracht
hat, was als Luft gefühlt wird, weil der Grundtrieb des

I Erkennens eben in diefem Einheitsbeftreben befteht. Es
ift alfo nach den ,materialen Beftimmungen' die Gewifs-

! heit der Zuftand der Seele, in welchem das Ich fühlt,
dafs es Vorftellungen mitbewirkt oder Einheit in Vor-
ftellungen fchafft, nach den .formalen' (ich geftehe, dafs
diefer Gegenfatz mir nicht ganz klar ift) ift die Gewifsheit
das Selbftvertrauen des Erkennens.

Wenn der Verf. hiermit wohl kaum Neues beigebracht
, fo entwickelt fich von dem Punkt an, wo er, gegen
Windelband und Wundt polemifirend, die von diefen

| Autoren — von denen Anregung und P'örderung empfangen
zu haben der Verf. anerkennt — aufgeftellte

I ,objective' Gewifsheit verwirft, die eigene Anficht unferes