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Ausgabe:

1886 Nr. 18

Spalte:

419-421

Autor/Hrsg.:

Majunke, P.

Titel/Untertitel:

Geschichte des Culturkampfes in Preussen-Deutschland 1886

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 18.

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fehen, dafs diefe Worte nicht von Auguftinus, fondern von
dem Herausgeber in einer Note beigefügt waren, und
ähnlich verhält es fich mit vielen Sätzen, die Borelli den
Kirchenvätern zufchreibt. Einmal (S. 26) handelt es fich
allerdings um eine Aenderung des Textes: bei Aug.
tretet, in Joh. 30, i: Corpus Domini in quo resurrexit, uno
loco esse oportet, veritas autem ejus ubique diffusa est, verordnet
der Index, oportet inpotest zu ändern; das ift aber
keine Corruption, fondern eine Emendation des Textes
einer älteren Ausgabe nach einer kritifch befferen neueren
(vgl. Migne 35, 1632). Wenn es S. 162 heifst, die Werke
des Ildefonfus von Toledo feien verboten, donec corri-
gantur, fo ift das wieder irreführend; der Index verordnet
nur die Streichung von zwei Randnoten.

Dem Verfaffer fehlen übrigens auch die für eine Arbeit
, wie er fie unternommen, nöthigen literarifchenKennt-
nifse. Er bezeichnet Johannes Hospinanus als autore an-
tico, Jakob Schegkius, Joh. Velcurio, Joachim Camerarius,
Martino Borreo (Borrhaus) u. A. als katholifche Schrift-
fteller (S. 46 ff ); er fpricht S. 38 bei Gelegenheit der
Ausgaben des Tertullian von ,einem gewiffen Renan, von
dem Niemand je gewufst, wer er gewefen, und der wahr-
fcheinlich nur in der Phantafie der Cenforen exiftire', —
es ift natürlich der S. 114 erwähnte Beatus Rhenanus
gemeint; — nach S. 113 kennt er die Alclümia purga-
torii und den Alcoranus Franciscanorum und nach S. 169
Pietro Soave's (Sarpi's] Gefchichte des Trienter Concils
nicht, und S. 160 meint er: wenn der fpanifche Index
von Wicleff keine Schriften fpeciell nenne, fo habe das
feinen Grund vielleicht darin, dafs es nicht gelungen fei,
eine derfelben aufzufinden. Wer ein Buch über den Index
fchreibt, follte doch wiffen, dafs nach den allgemeinen
Regeln von Wicleff wie von allen Autoren der
erften Claffe fämmtliche über religiöfe Dinge handelnde
Schriften verboten find und darum keine fpeciell genannt
wird.

Bonn. F. H. Reufch.

Majunke, Dr. P., Geschichte des Culturkampfes in Preussen-
Deutschland. (In ca. 8 Lfgn.) 1. Lfg. Paderborn, F.
Schöningh, 1886. (64 S. gr. 8.) M. —. 75.

Dafs das Buch, deffen Erfcheinen hier anzukündigen
ift, fehr intereffant zu werden verfpricht, braucht ebenfo
wenig gefagt zu werden, wie dafs es von dem, der den
wirklichen Thatbeftand kennen lernen will, nur mit grofser
Vorficht wird gebraucht werden dürfen. Gleich die vorliegende
erfte Lieferung erweift es als eine Tendenzfchrift
in des Wortes verwegenfter Bedeutung. Der Standpunkt
der Betrachtung ift von vorn herein S. I präcifirt: ,Selbft
wenn auch in einzelnen Ländern der Katholicismus gänzlich
unterging, fo war dies doch nur Schein: die Wogen
bedeckten nur einen Theil des Schiffleins; bald waren
fie verfchwunden und liefsen bei ihrem Rückgang die
feuchten Stellen nur in fo gröfserer Reinheit zurück.
Das hat man beim Arianismus und bei zahlreichen anderen
Secten gefehen; vielleicht noch in diefem Jahrhundert
wird man dasfelbe Schaufpiel in England erleben,
und nicht trotz, fondern wegen des Culturkampfes wird
auch das proteftantifche Deutfchland feine Rückkehr zur
Mutterkirche befchleunigen'. Eine Auseinanderfetzung
mit der grundfalfchen Gefdiichtsauffaffung, welche dem
Ganzen zu Grunde liegt, ift in dem knappen Raum einer
Anzeige nicht möglich. Recht mufs man dem Verf. darin
geben, dafs er die Entftehung des Culturkampfes aus
dem Wefen des brandenburgifch-preufsifchen Staates,
deffen typifche Vertreter er in dem .grofsen' Kurfürfien,
dem ,grofsen' Friedrich II. (das ,grofs' bei diefen beiden
Namen wird von dem Verf. mit Anführungszeichen ver-
fehen) und in Bismarck erblickt, abzuleiten fucht. Er
ift in der That nicht zufällig oder willkürlich herbeigeführt
worden. ,Das Lebenselement diefes Staatswefens

— fagt Majunke — war der Proteftantismus'. Ob er es
auch jetzt noch ift, oder ob nach der Meinung des Verf.'s
das preufsifche, bez. was jetzt aus ihm erwachfen ift,
das deutfehe Staatswefen fein Lebenselement aufgegeben
und fich irgend ein anderes an deffen Stelle angeeignet
habe, wird der weitere Verlauf der Darftellung zu zeigen
haben. Der Verluft des urfprünglichen Lebenselementes
bedeutet für ein gefchichtliches Gebilde nach bekannter
Erfahrung den Verluft der Lebensfähigkeit. — Die Dar-
ftellungsweife des Verf.'s ift die von Janffen her bekannte:
umfangreiche wörtliche Anführungen aus Quellenfchriften,
fo dafs der Anfchein unanfechtbarster urkundlicher Genauigkeit
entfteht, aber in zweckmäfsiger Auswahl. Ein
wirkliches Charakterbild des Reichskanzlers (mit deffen
Charakteriftik fich ein ganzer Abfchnitt befchäftigt) erhält
man aus allem dem Mitgetheilten fo wenig als ein Bild
von dem wirklichen Urfprung und Hergang der kleinen
Culturkämpfe in Baden und Naffau, die in den 50er Jahren
dem grofsen norddeutfehen Culturkampf vorangingen,
und an welchen Bismarck als Bundestagsgefandter einen
gewiffen Antheil gehabt hat. Was über diefen Antheil
aus dem inzwifchen an die Oeffentlichkeit gelangten
Urkundenmaterial mitgetheilt wird, läfst in dem damaligen
Herrn v. Bismarck auch hier fchon den Staatsmann von
grofsem und weitem Blick erkennen. Freilich erfcheint
neben den Aeufserungen von damals der neuefte Rückzug
um fo bemerkenswerther. Trotz deffen wird es
übrigens dabei bleiben, weil es nicht anders möglich ift,
,dafs Preufsen auch im 19. Jahrhundert fich als einen
proteftantifchen Staat betrachtet', wie S. 11 gefagt wird;
aber dafs es fich darum für berufen erachtete ,mit allen
Mitteln der Gewalt der Ausbreitung des Katholicismus
entgegen zu treten', ift Entftellung. Und was Un-
gefchick und Mangel an religiöfem Verftändnifs in dem
Culturkampf der 70" Jahre gefehlt haben mag, hebt das

[ Wefen der Sache nicht auf, dafs der preufsifch-deutfehe
Staat durch feine Natur und feinen Urfprung genöthigt
ift, fich gegen das Andringen der päpftlichen Weltherrfchaft
zu fchützen.

Von fachlichem Intereffe ift die S. 11 ff. gegebene
Ueberficht: ,Die kirchenrechtlichen Beftimmungen der
Verfaffungsurkunde und die durch den augenblicklichen

j Stand der Gefetzgebung herbeigeführten Veränderungen',
woraus, wie es S. 16 heifst, zu erfehen fei, ,in welche
Fetzen das Raubthier Culturkampf unfer Staatsgrund-
gefetz zerriffen hat'. Art. 12, welcher ,die Freiheit der

j Vereinigung zu Religionsgefellfchaften und der gemein-

I famen häuslichen und öffentlichen Religionsübung' ge-
währleiftet, fei in Fetzen zerriffen durch das Verbot des

j Jefuitenordens und das Gefetz über die geiftlichen Orden
vom 31. Mai 1875, als ob unter ,Religionsgefellfchaften'
Ordensverbindungen innerhalb einer Kirche verftanden
feien und nicht vielmehr Confeffionsgemeinfchaften.
Art. 14, lautend: ,Die chriftliche Religion wird bei denjenigen
Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsübung
im Zusammenhang flehen, unbefchadet der
im Art. 12 gewährleisten Religionsfreiheit, zu Grund
gelegt', ift nach der Anficht des Verf.'s durch das
Reichsgefetz vom 3. Juni 1869 über die Gleichberechtigung
der Confeffionen in bürgerlicher und ftaatsbürger-
licher Beziehung in Fetzen zerriffen; und doch befagt
diefes Gefetz nur genau dasfelbe, was bereits der Mittelfatz
des in Bezug genommenen Art. 12 ausfpricht: ,Der
Genufs der bürgerlichen und flaatsbürgerlichen Rechte
ift unabhängig von dem religiöfen Bekenntnifs'. Der
letzte Satz des Art. 16: ,Die Bekanntmachung kirchlicher
Anordnungen ift nur denjenigen Befchränkungen unter-

1 worfen, welchen alle übrigen Veröffentlichungen unterliegen
', fei eingefchränkt durch den fog. Kanzelparagraphen
des Strafgefetzbuches, welcher es unter Strafe
(teilt, wenn auf der Kanzel ,Angelegenheiten des Staates
in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weife
zum Gegenftand einer Verkündigung oder Erörterung'