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Ausgabe:

1886 Nr. 18

Spalte:

413-414

Autor/Hrsg.:

Schenk, Rich.

Titel/Untertitel:

Zum ethischen Lehrbegriff des Hirten von Hermas. Programm des Realgymnasiums zu Aschersleben, 1886 1886

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 18.

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wegen des Mangels an gehöriger Verarbeitung der Stoffe
und weifer Befchränkung auf ein von ihm wirklich zu
beherrfchendes Gebiet wird der Verf. nur wenige für fich

an der Hauptftellc Sim. V, 6, 3. Dort heifst es vom
Sohne: dobg (colg dv'tytbxoig) töi> votiav öV Maße /tagd
tob nuxybg avtoü. Wie es der Verf. fertig bringt, dies

gewinnen. Angenehme Belehrung im Einzelnen, gute ' mit der Selbstaufopferung des Sohnes zu identificiren,

Unterhaltung über eine Fülle von Fragen, die mit den dann auf das ,hoch über die Schranken des mofaifchen

evangelifchen Parabeln mehr oder minder zufammen- Buchftabendienftes fich erhebende Gefetz der freien Lie-

hängen, empfängt der Lefer; dafs ihm die Schwierig- besübung' überzugehen und endlich mit dem Satze zu

keiten des Gegenftandes unbefangen gezeigt oder gar fchliefsen: ,Das neue Gefetz hat der Gottesfohn nicht

gelöft würden, kann ich nicht fagen. Zu viel, zu wenig, in abstracto gelehrt. Durch fein ganzes Leben, fein

zu rafch! i Leiden und Sterben hat er es bethätigt. Sein ganzes

„ , , , . „ ,. ihmAu** ! Wefen ift in ihm aufgegangen. Er ift die ideale, aller

Rummelsburg bei Berlin. J u 11 c h e r. empirifchen Befchränktheit enthobene Repräfentation des

neuen chriftlichen Lebensprincipes, das perfonificirte Sym-

Schenk Realgymn.-Lehr. Dr. Rieh., Zum ethischen Lehr- bo1 (0 unendlicher, alles leihender Liebe' — das mufs
■«« j ■■• 1 j— u„ p,„„„_m p--i man S. 19f. nachlefen. Ich brauche nicht erft ausdruck-

begriff des H.rten des Hermas. Programm des Real- Uch ^ £emerkeili dafs der Verf in dem angefuhrten

gymnasiums zu Aschersleben, 1886. (35 S. 4.) Sat/ fich über feinen Gegenstand fo hoch erhoben hat,

Der Vcrfaffer vorstehender Abhandlung hat den : dafs ihm derfelbe völlig verfchwunden ift.
Muth gehabt, den ,ethifchen Lehrbegriff' des Hermas i Doch dergleichen mehr anzumerken und hin und
nach dem Schema: das Menfchenwefen, die Sünde, die her richtige Beobachtungen zu buchen, ift ein verdriefs-
Erneuerung (1. die objective Seite der Erneuerung, 2. liches Gefchäft. Wir haben in den letzten Jahren meh-
die fubjective Erneuerung), die Rechtfertigung und die rere Arbeiten zur Gefchichte der älteften chriftlichen
Heiligung, das chriftliche Leben in feiner empirifchen Ethik erhalten, die eine fatale Verwandtfchaft aufweifen.
Geftaltung — zur Darftellung zu bringen. Wer wie der j Denke ich fie mir zufammengeftellt und ergänzt, fo fehe
Ref. der Meinung ift, dafs diefes Schema ganz befonders , ich eine Gefchichte der altkirchlichen Ethik vor mir,
ungeeignet ift, um fich über das Chriftenthum des Her- i welche das Seitenftück zu der vulgären Dogmengefchichte

mas zu orientiren, und wer, über diefe Erkenntnifs hinausgehend
, es für ein ausfichtslofes Unternehmen hält, •* Noch immer fcheint in weiten Kreifen die naive Meinung
die einzelnen von Flermas mitgetheilten Gedanken aus
ihrer concreten Umrahmung zu befreien und mit ein

fein würde — eine höchst unerfreuliche Perfpective!

zu herrfchen, dafs die Gedanken eines altkirchlichen
Schriftftellers wiederzugeben das einfachste Gefchäft von
ander zu verbinden, der wird der fleifsigen Arbeit des i der Welt fei: man fchraubt ihn zwifchen das Neue
Verfaffers nicht mit Vertrauen entgegenkommen können, j Teftament und die heutige Dogmatik ein und hobelt ihn
Die ,Lehrbegriffe' haben fchon im N. T. viel Unheil ab. Mit wie grofsem Fleifse das gefchehen kann, zeigt
angerichtet. Man erträgt fie dort zur Zeit noch, aber die vorliegende Arbeit, deren Verfaffer etwas Gutes hätte
es ift mindeftens nicht zu wünfehen, dafs fie fich über : leisten können, wenn er eine beffere Schule gehabt hätte,
diefes Gebiet hinaus verbreiten. Es haftet an dem Un- I riof«pn A . lf p ,

ternehmen des .Lehrbegriffs« die Methode, zu welcher j ,J,eisen- _AOOll riarnack.

der Jurist angelichts einer gültigen Rechtsquelle be-

rechtigt ift, nämlich die Methode der unbefchränkten Weitbrecht, Dr. Rieh., Das religiöse Leben des deutschen
Combination, der Vernachläffigung der gefchichtlichen Volkes am Ausgange des Mittelalters. [Sammlung von
und individuellen Bedingungen der Urkunde und der Vortragen, hrsg. von W. Frommel u." F. Pfaff 15 Bd
Präfumption ihrer Vollftändigkeit Unter Verfaffer be- | - u> Heft>] Heidelberg, C. Winter, 1886. (58 S. 8.)
ginnt feine Darftellung A (das Menfchenwefen) § 1 mit j G _ b ' VJ '

den Worten: ,Der Menfch, das Ziel der irdifchen Schöpf- j ' '

ung und von Gott zur Herrfchaft über alles kreatür- I Im Gegenfatze zu Job. Janffen habe ich in meiner
liehe Sein bestimmt, ift nach der dichotomifchen An- j Schrift: Friedrich d. Weife und die Anfänge der Refor-
fchauung des Hermas ein leiblich-geiftiges Wefen'. Selbft j mation (Erlangen 1881.) S. 3 f. das Problem zu fixiren
wenn diefer Satz richtig wäre — er ift es m. E. nicht; gefucht, um welches es fich bei der Darftellung des reli-
denn nach Hermas ift der Menfch ouqS, und nichts an- ! giöfen Lebens am Ausgange des Mittelalters handelt, und
deres —, wäre er doch (abgefehen von der ungehörigen habe dann in der Einleitung zu meiner Lutherbiographie
philofophifchen Terminologie) ganz falfch, weil irreführend, j unter dem vorfichtigen Titel .Zustände und Stimmungen
Der Verfaffer hat in dem gewählten Rahmen allerdings I in Deutfchland am Ausgange des fünfzehnten Jahr-

Manches recht gut behandelt — f. z. B. feine Ausfuhrungen
über die Sünde nach Hermas —, allein in
vielen wichtigen Fragen hat er, durch fein Schema und
durch eigene Neigungen verfuhrt, das Richtige gänzlich
verfehlt. Was er unter dem Titel: ,die objective Seite
der Erneuerung' zur Darfteilung bringt, ift zwar im
Wefentlichen durch die Autorität Zahn's gedeckt, aber

hunderts' eine Skizze auch des religiöfen Lebens zu
zeichnen unternommen, natürlich nicht in der Meinung,
dafs damit die Sache erledigt fei, fondern vielmehr in
dem Bewufstfein, dafs es auf diefem lange vernach-
läffigten Gebiete noch vieler Arbeit bedürfen wird, bis
es möglich fein wird, ein allfeitig befriedigendes Bild zu
gewinnen. Um fo mehr bin ich geneigt, mich jeder Mit-

gröfstentheils dem Text des Hirten lediglich unterge- ! arbeit an der grofsen Aufgabe, die Reformation verftänd-

fchoben. Aus der 5. Similitudo bringt der Verfaffer fo
wohl die Unterfcheidung eines präexiftenten Sohnes
Gottes und des h. Geiftes, als auch die Grundzüge der
chalcedonenfifchen Chriftologie heraus. Sofern der Geift
Gottes in den Menfchen Jefus eingepflanzt worden, habe
er eben nur in der Menfchheit desfelben gewohnt, daneben
fei aber nach Hermas Jefus Chriftus auch der
präexiftente Gottesfohn gewefen. So wenigftens glaube

lieh zu machen — denn darauf kommt es doch kurz ge-
fagt dabei an, dankbar zu freuen. Indeffen der Verfaffer
des vorliegenden Schriftchens hat fleh trotz ernften
Beftrebens in einzelnen Punkten, — wie man urtheilen mufs,
auch wenn man in Betracht zieht, dafs es fleh um einen
Vortrag handelt — die Sache etwas zu leicht gemacht.
Was er erweifen will, ift, dafs trotz der vorgefchrittenen
Fäulnifs in den kirchenregimentlichen Kreifen ,ein guter

ich den Verf. verliehen zu müffen; feine Anficht vom Kern noch immer da war und der Ruf nach einer

nvEVLia ayiov ift mir allerdings dabei nicht ganz deutlich j Kirchenreformation an Haupt und Gliedern aus dem

geworden. Auch der Verfuch des Verfaffers, nachzu- tiefften Innern der von der Kirche noch nicht gänzlich

weifen, dafs Hermas unter dem Gefetz überall den per- j verderbten Volksfeele kam' (S. 4). .Will man ein Bild

fönlichen Gottesfohn verliehe, ift mifsglückt. Er fcheitert I von dem religiöfen Leben des deutfehen Volkes ge-