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Ausgabe:

1886

Spalte:

409

Autor/Hrsg.:

Rosenzweig, Adf.

Titel/Untertitel:

Das Jahrhundert nach dem babylonischen Exile mit besonderer Rücksicht auf die religiöse Entwicklung des Judentums 1886

Rezensent:

Smend, Rudolf

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung.

Herauseeo-eben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 18. 4- September 1886. 11. Jahrgang.

Rofenzweig, Das Jahrhundert nach dem baby-
lonifchen Exil (Smend).

Tamm, Der Realismus Jefu in feinen Gleich-
nifsen (Jülicher).

Schenk, Zum ethifchen Lehrbegriff des Hirten
des Hermas (A. Harnack).

Weit brecht, Das religiöfe Leben am Ausgange
des Mittelalters (Kolde).

Buchwald, Die Lutherfunde der neuern Zeit
(Kawerau).

Borelli, L'Indice espurgatorio della chiesa Romana
(Reufch).

Majunke, Gefchichte des Culturkampfes
(Köhler).

Thienhaus, Evangelifation der römifch-katho-
lifchen Kirche Deutfchlands (Derf.).

Geigel, Das italienifche Staatskirchenrecht
(Derf.).

Peucker, Das Patronatsrecht (Derf.).

Fünf Gelegenheitsreden von einem Veteranen
(Derf.).

Grung, Das Problem der Gewifsheit (F. A.

Müller).
Harms, Logik (Derf.).
Romundt, Ein neuer Paulus (Derf.).
Kurzgefafste Mittheilungen.

Rosenzweig, Rabb. Dr. Adf., Das Jahrhundert nach dem
babylonischen Exile mit befonderer Rückficht auf die
religiöfe Entwicklung des Judentums. Berlin, Dümm-
ler's Verl., 1885. (XVI, 240 S. gr. 8.) M. 4. —
Obwohl der Verf. fich über die neuere Pentateuch-
kritik ablehnend äufsert, acceptirt er im wefentlichen
doch ihre religionsgefchichtlichen Confequenzen und
fucht das von da aus fich ergebende Verhältnifs von
Prophetie und Gefetz feinem jüdifchen Standpunkt ent-
fprechend aufzufaffen. Die mafslofe Willkür, mit der
er fich überall bewegt, ftellt ihn übrigens aufserhalb des
Ernftes wiffenfchaftlicher Discuffion. Wen fonft feine
Zurückführung des Chriftenthums durch die Effener auf
die Tempelfklaven und durch diefe auf Buddhismus und
Brahmanismus intereffirt, kann S. 188 ff. davon lefen.
Bafel. R. Smend.

Tamm, Paff. H. Ch., Der Realismus Jesu in seinen Gleichnissen
. Jena, Dabis, 1886. (209 S. 8.) M. 2.40.

Ich bedauere, dafs ich dies auch erfl vor Kurzem er-
fchienene Buch in der erften Hälfte meiner Schrift über die
Gleichnifsreden Jefu nicht mehr habe berückfichtigen können
; denn vielfach finde ich in dem Verfaffer einen Burides-
genoffen. Erflehtaufdemfelben kritifchenStandpunkte wie
ich — denn ich will nicht den Schein annehmen, als ob ich
diefe Anzeige rein ,objectiv', unbeeinflufst durch meine
gleichzeitig gedruckte Arbeit fchriebe —, betrachtet auch
die Synoptiker als die zunächft allein verwerthbare
Quelle für die Lehren Jefu, verwirft die z. B. wieder von
Gübel beliebte zu enge Umgrenzung des Parabelgebiets,
beftimmt den Zweck der Gleichnifsrede unter lebhaftem
Protei! gegen alle Verffockungs- und Verhüllungstheorie
vielmehr als einen tief didaktischen, bekämpft die Sucht,
Parabel und Allegorie zu verwechseln und die Unfähigkeit
, die Nebenzüge hinter der Hauptfache zurücktreten
zu laffen, hat das befte Vertrauen zur Echtheit der
fynoptifchen Gleichnifse und weift die neuefte hollän-
difche Hyperkritik, die Jefum zu einem Gefchöpf des
Urchriftenthums auflöfen möchte, energifch, zum Theil
mit den gleichen Gründen wie ich zurück, bringt endlich
die einzigartige Trefflichkeit der Parabeln Jefu innerhalb
der gefammten biblifchen Literatur fo überzeugt
und mit fo klarem Bewufstfein um die Wichtigkeit diefer
Thatfache für die Jefus-Forfchung zur Geltung, dafs ich
dem Werke weitgehenden Beifall nicht vertagen kann.

Allein diefer Eindruck wird geftört durch eine Reihe
entgegenftehender Momente. Ich rechne dahin weniger

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die Erfcheinung, dafs Tamm hinterdrein doch recht geneigt
ift, johanneifche Parabelftücke wie 10, 1—5, 16,
21 f., wohl auch 12, 24 f. auf Chriftum zurückzuführen;
ein definitives Urtheil negativer Art wird ja kein Befon-
nener hier wagen. Aber in dem wichtigften Punkte der
Gleichnifsfrage ift T. nicht vorwärtsgekommen; zu einer
klaren und fcharf beftimmten Anfchauung über das
Wefen der echten 7tagaßolai Jefu hat er es nicht gebracht
. Derfelbe Exeget, der die Deutung von Mt. 13,
24—30 als fpäteres Machwerk verwirft, der auch innerhalb
der Gleichnifse hie und da häufende und ausmalende
Zufätze von Evangeliftenhand annimmt, der
S. 69 fo eifrig von dem ftückweifen Allegorifiren fort
und zum Feilhalten an dem Grundgedanken hinruft, derfelbe
kann S. 76 den Kauf des Ackers aufser dem
Schatz (Mt. 13, 44) vermuthungweife als einen Rath auf-
faffen, ,felbft läftige Anhängfei (!) am Kern des Evangeliums
mit hinzunehmen, wenn der reine Kern vorläufig
nicht anders geboten würde', kann S. 114 ,die Ver-
gleichung in Mt. 13, 3—9 ftreng nehmen', um die Parabel
auch als Anfpornung zu eifrigerer Arbeit zu benutzen,
weil ,jene natürlichen Hindernifse eben als Natur für den
Geift nicht unüberwindlich' feien — der Ackersmann
verzweifelt nie an der Cultivirung der unergiebigen Land-
ftrecken — kann S. 99 f. die Deutung von Mt. 25, 1—13
(fchon durch Calvin) auf infatigabilis constantia ,gar zu
dünn und mager' und aufser allem Verhältnifs zu den
aufgewendeten Worten finden und das Oel auf den heiligen
Geift beziehen. Das gegen den jüdifch-fuprana-
turaliftifch-dualiftifchen Lohnbegriff gerichtete Gleichnifs
Mt. 20, 1—16 foll auf 3 Grundgedanken führen (S. 46):
1) Liebe geht über Recht, 2) Die Seele geht über ihre
Werke, 3) Die Arbeit geht über den Arbeitserfolg. Dafs
die Art, wie T. diefe Sätze aus dem Texte heraus beweift
, an Gefchraubtheit mit jedem Allegoriftenkunftftück
wetteifert, hat er leider nicht bemerkt. Aber fchon in
Tamm's Theorie über den Urfprung des Gleichnifses liegt
der bedenklichfte Fehler. Ganz gut nennt er S. 35 als
Quelle des Nichtverftehens von fittlichen Dingen ,die
Eigenliebe, welche die Wahrheit nicht erkennt, wo diefe
fich fordernd oder richtend gegen das Ich wendet' und
bemerkt das Gefchick der Parabel, das Urtheil des
Hörers zu gewinnen, ehe er ahnt, wie nahe ihn dies Urtheil
angehe, aber eine wunderliche Speculation ift es,
wenn er die von allen Subjecten als unbequem abge-
wiefene Wahrheit zu einem heimathlos umherirrenden,
fchemenhaften, aller Realität ermangelnden Gedankendinge
hypoftafirt, welchem Jefus eine Heimath in der
Wirklichkeit vindiciren wollte und dadurch jene Wahr-