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Ausgabe:

1886 Nr. 17

Spalte:

397-398

Autor/Hrsg.:

Heinrich, E.

Titel/Untertitel:

Max von Schenkendorf 1886

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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397

Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 17.

398

lfirrt der Franzofen für das Land zu gewinnen. An die
Colonie von Kopenhagen reihte fich die Gründung der
von Fredericia durch Patent vom 15. Novbr. 1720; die
von den Schweden 1657 zerftörte Stadt erhielt ihre neuen
Einwohner befonders aus Brandenburger Coloniften,
1797 erreichte die Colonie mit 540 Seelen ihre gröfste
numerifche Stärke. In die reformirte Gemeinde traten
allmählich auch viele Deutfche ein, im Laufe der Jahrhunderte
erhielt die deutfche Sprache beim Gottesdienft
und in der Schule das Uebergewicht, gegenwärtig wird
nur deutfch gepredigt und deutfch unterrichtet. Es
läfst fich denken, dafs über eine folch kleine Gemeinde
nicht viel allgemein wichtiges berichtet werden kann; wie
überall hatten auch hier die Reformirten einen ziemlich
harten Kampf mit der herrfchenden lutherifchen Kirche.
Berühmte Männer find nicht aus der Colonie hervorgegangen
oder in der Gemeinde thätig gewefen. Werthvoll
find die Beilagen, fie enthalten die königlichen Privilegien
, auch einige ftatiftifche Angaben. 3 intereffante
Briefe Merle d'Aubigne's 1821—23 find dem Texte eingefügt
. Für die nationalen Verhältnifse find charakte-
riftifch die Anfechtungen, welche der Gebrauch des Deut-
fchen bei Gottesdienft und Unterricht zu erfahren hat,
manche Andeutungen weifen darauf hin, welch fchweren
Stand der Gciftlichc dadurch hat. Die Schreibart ift klar
und einfach, doch hätte der bittere Ton über die Behandlung
der Reformirten durch die Lutheraner, wie er
befonders in den Anmerkungen zu Tage tritt, einer
ruhigeren Darftellung Platz machen follen, es wäre j
nur zum Vortheil der Schrift ausgefchlagen. — Einen
Ort ,Grofsitten' S. 31 wird man in Brandenburg wohl
vergeblich fuchen, ich glaube, dafs es ,Grofsziethen'
heifsen mufs, dort finden fich auch die Familien Vilain, 1
Dufour, die uns ebenfalls in Fredericia begegnen. Eben-
fo ift ftatt ,Parskin' S. 65 ,Parftein' zu fetzen. Jacques
Bovet war dort 1739—40 Geiftlicher.

Stuttgart. Theodor Schott.

Heinrich, E., Max von Schenkendorf. Ein Sänger der
Freiheitskriege. Mit einem Vorwort von Gen.-Superint.
Dr. W. Baur. Hamburg, Agentur des Rauhen Haufes,
1886. (VI, 166 S. 8.) M. 1. 50; geb. M. 2. 50.

,Das war ein treuer, biederer Menfch, der feinen
deutfehen Namen und fein Vaterland fühlte', fagt E. M.
Arndt von M. von Schenkendorf, dem ritterlichen
Chriftenmanne, in dem nationale und religiöfe Begeifte-
rung, deutfche Frömmigkeit und deutfeher Patriotismus
fich aufs Innigfte verfchmolzen, dem edlen Sänger der
Freiheitskriege, dem ,Kaiferherold', als welchen ihn
Rückert feiert, freilich mit dem wehmüthigen Zufatze:

,Was hilfts, dafs in die Gruft
Der Kaiferherold ruft,
Wenn draus kein Kaifer fteiget,
Und feinem Volk fich zeiget?'

Was er gehofft und erfehnt, was er befungen und wofür
er geftritten, ein einiges deutfehes Volk unter einem
mächtigen Kaifer, ftark und frei — er hat's nicht ge-
fchaut, dem tiefen Schmerz feines patriotifchen Herzens
über fein durch diplomatifche Künfte um die Frucht
feiner Kämpfe betrogenes Vaterland durch einen frühen
Tod entriffen und in die Heimath, in das Vaterland entrückt
, das er mit derfelben faft fchwärmerifchen Gluth
und Innigkeit befungen, als fein irdifches Vaterland.

Das Lebensbild diefes Dichters dem deutfehen Volke
vorzuführen, nachdem es durch Gottes Gnade hat erleben
dürfen, was feine patriotifchen Dichter ihm in
trüber Zeit geweisfagt, und an diefem Bilde, wie an den
Liedern des unvergefslichen Sängers ihm einen Spiegel
chriftlichen Deutfehthums zu zeigen in einer Zeit, wo
vielfach nationale und religiöfe Begeifterung auseinandergehen
, ift gewifs nur dankenswerth. Und der Verf. hat

mit grofser Anfchaulichkeit und Lebendigkeit in frifchen
Zügen das Bild gezeichnet, hat zugleich verftanden, lebhaft
in die grofse Zeit der deutfehen Erhebung zu ver-
fetzen, ohne der Verfuchung vieler Biographen unfe-
rer Tage zu verfallen, zugleich eine Gefchichte der
Zeit zu fchreiben; mit Spannung und Intereffe folgt
man dem Bilde. Verhehlen kann man fich freilich
nicht: gerade vom Standpunkt des evangelifchen Chriften
und Theologen aus, der bei diefer Anzeige befonders
in Rückficht kommt, hat auch das Lichtbild Schenken-
dorf's feine Schattenfeiten. Schenkendorfs Frömmigkeit
fehlt der volle proteftantifche Charakter; wie feine Poefie,
fo ift auch feine Frömmigkeit nicht frei von einem Zug
zur Ueberfchwänglichkeit, von einer gewiffen Weichheit
undVerfchwommenheit, die den männlich, proteftantifchen
Ton nicht überall in feinen Dichtungen durchdringen
läfst und ihn für katholifche Anfchauungen nicht unempfänglich
macht. Wohl hat die Frömmigkeit jener
Zeit überhaupt kein fcharfes Gepräge, es ift das allgemeine
chriftbrüderliche Gefühl, das in ihr fich Ausdruck
giebt ohne beftimmtes Bekenntnifs; aber bei
Schenkendorf bleibt es nicht dabei; es ift ein entfehieden
katholifirender Zug in ihm. Der Verf., der für diefe bedenkliche
Neigung feines Helden ein offenes Auge hat,
führt dafür verfchiedene Belege aus feinen Dichtungen
an. In einem Gedicht zum ,Allerheiligenfeft' fingt
Schenkendorf von der ,allerreinften Frau, die auf einem
Sternenbogen fitzt', in einem Gedicht ,an die heilige
Jungfrau' begrüfst er diefe als die ,füfse Königin', an
deren Herzen er fonder Schmerz ruhen möchte; denn
,wen du nur einmal angeblickt, ift ewig feiig und beglückt
', und fogar ,Mariä Himmelfahrt' befingt er. Mit
Recht macht der Verf. auch auf den auffallenden Um-
ftand aufmerkfam, dafs Sch., während er mit begeiftertem
Liede das Lob der deutfehen Städte fingt, an die fich
grofse nationale Erinnerungen knüpfen, und während er
fpeciell felbft Worms mit allen .Geiftern und den Sagen'
feiert, die diefe alte Rheinftadt umfehweben, er kein Wort
für die gröfste Geiftesritterthat, die dort der Deutfchefte
der Deutfehen gethan, auch kein Wort für Wittenberg
und für die Wartburg hat. Charakteriftifch ift auch für
feine katholifch-romantifche Anfchauung, dafs ihm das
Ideal der evangelifchen Kirche eine Epifkopalkirche ift,
mit einem vom gefammten proteftantifchen Deutfchland
ernannten, mit gehöriger Macht ausgerüfteten Bifchof.

So hoch wir darum fonft den edlen, ritterlichen
Sänger, den ernften Mahner an die innerliche Geiftes-
befreiung des deutfehen Volkes, die mit der äufsern
Befreiung Hand in Hand gehen müffe, den ,prophetifchen
Dichter' ftellen, fo können wir doch D. Baur nicht folgen,
wenn er fich im Vorwort zu diefer Schrift bis zu der
Höhe des Preifes von Sch. erhebt, dafs in ihm das
Lebensideal unfers Volkes: die unauflösliche Verbindung
des Volksthums und Chriftenthums in ,wunderbarer
Schönheit' erfcheine. Dazu fehlt ihm doch bei allen
tiefen und fchönen deutfehen Zügen die volle gefunde
Mifchung der Elemente, die einen deutfehen Charakter
ausmachen, und fehlt feiner Frömmigkeit bei aller rührenden
Innigkeit und Wärme die volle evangelifche Freiheit,
die rechte evangelifche Nüchternheit; es ift ein fchwärme-
rifcher Zug in ihr. Darin mag auch ein Grund liegen, dafs
feine Lieder nicht eigentlich populär, nicht ,Gemeingut
des deutfehen Volkes' geworden find, wie der Verf. allerdings
behauptet, was aber unfer Erachtens mit der Wirklichkeit
nicht übereinftimmt. Wie viele Lieder von
Schenkendorf find auch nur im Munde der Gebildeten,
gefchweige des eigentlichen Volkes?

Immerhin wird das Gedächtnifs Schenkendorfs mit
dem Gedächtnifs der Freiheitskriege für immer eng verknüpft
bleiben und dazu mitzuhelfen ift diefe Biographie
entfehieden geeignet.

Dresden. Meier.