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Ausgabe:

1886 Nr. 17

Spalte:

390-391

Titel/Untertitel:

Die Quellen der sogenannten apostolischen Kirchenordnung 1886

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 17.

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werden, theils in der relativen Vemachläffigung dcrfelben
feitens der Apologetik.

Nachdem im erften Capitel die ,Wellhaufen'fche Hy-
pothefe' im Allgemeinen fkizzirt und durch eine Reihe
vorläufiger Bemerkungen kurzer Hand zurückgewiefen, :
bietet das zweite eine gefchichtliche Ucberficht der kri- J
tifchen Theorien über Entftehung und Entwicklung der j
hebr. Fefte feit Anfang diefes Jahrhunderts.

Da die Wellhaufen'fche Hypothefe, in foweit fie den
Feften einen von Haus aus landwirthfchaftlichen Charakter,
fomit einen kanaanitifchen Urfprung beilegt, in Wider-
fpruch ftehe mit den von den Früheren mit merkwürdiger
Uebereinftimmung (!) gewonnenen Refultaten, fo foll diefer j
Ueberblick zugleich eine Art Präjudiz gegen die neue
Meinung abgeben.

Nach diefer Einleitung verfucht der Verf. zunächft
die Einheit und Echtheit von Exod. 12, 13 zu beweifen.
Er erkennt in den fraglichen Capiteln eine gut zufam-
menhängendc, regelmäfsig fortfchrcitende Erzählung, die
allen Anfchein von Gefchichtlichkeit hat. Die Gegen- I
gründe der Kritik — der hiftorifchen fowie der litera- 1
rifchen — werden durchgemuftert und für nichtcxiftirend 1
oder nichtbeweiskräftig erklärt.

Darauf folgt die Erörterung der einzelnen Fefte (V.
VI. Pefach und Mazzoth, VII. Wochenfeft, VIII. Laub- ]
hüttenfeft). Die Ergebnifse find überall gleicher Art. j
Erftens, die Fefte find wirklich zum Andenken an die
Ereignifse des Auszuges geftiftet — dicfe gefchichtliche
Beziehung ift die urfprüngliche; zweitens, eine Entwicklung
, wie fie die neuere Kritik poftulirt, hat nicht ftatt- J
gefunden, weder in Bezug auf die Bedeutung, noch auf ]
Zeit, Ort und Ritus der Fefte ift auch nur die geringfte |
Spur einer folchen zu entdecken.

Der Verfaffer ift mit der einfchlägigen Literatur
völlig vertraut und feine Schrift deswegen zur Orientirung
fowohl über die Gefchichte als den jetzigen Stand der
Frage gut geeignet. Auch ift feine Kritik der gegnerifchen
Meinungen oft eine fcharflinnige, befonders da, wo es
lieh um den Verfuch handelt, den gefchichtlichen Hergang
im Sinne der Kritik darzuftellen. Aber wenn es
ihm auch gelingt nachzuweifen, dafs auf diefem Gebiete
alles noch viel unficherer ift als die Kritiker felber
meinen, was ift damit für die Haltbarkeit der herkömmlichen
Anfchauungen gewonnen?

Auf welche Weife übrigens der Verf. es verfteht,
fcheinbare Widerfprüche unter den gefetzlichen Beftim-
mungen zu fchlichten, fehen wir am beften aus einem
Beifpiel.

Man hat fchon längft eine Schwierigkeit in Deut.
15, 19 f. empfunden, verglichen mit Num. 18, 17 ff. Nach
der erften Stelle foll die Erftgeburt des Viehes von dem 1
Eigenthümer bei einer feftlichen Mahlzeit vor Jahveh
verzehrt werden ; das Gefetz Num. 18, 17 f. dagegen theilt
das Fleifch der Erftgeburt des Viehes den Prieftern zu.
Eine Löfung des Widerfpruchs ift nach dem Verf. möglich
, wenn man annimmt, dafs der Priefter fich für verpflichtet
anfah, von dem Fleifche des Thieres, auf welches
er gefetzmäfsigen Anfpruch hatte, dem Opferer und
feinen Freunden eine Mahlzeit zu gewähren. Zwar giebt
der Verf. diefen Gedanken für eine blofse Möglichkeit j
aus und legt auf ihn felbft kein befonderes Gewicht;
aber dafs von folchen Möglichkeiten überhaupt die Rede
fein kann, ift bezeichnend'.

Der Verfaffer fchreibt meift in einem ruhigen, der
ernften wiffenfchaftlichen Discuffion angemeffenen Ton.
Umfomehr befremdet es, wenn wir S. 41 lefen, dafs die i
Urheber und Hauptvertreter der neuen Hypothefe ihre
Feindfeligkeit gegen die übernatürliche Religion nicht
verhehlen, und dafs die Verleugnung des Wunders und j
der Weisfagung der Eckftcin des ganzen Aufbaues fei.
Von Kleinigkeiten fei hier nur bemerkt, dafs die Erklärung
des Ausdruckes CTE© b^b Ex. 12, 42 durch
Wachefeier keinesweges, wie der Verf. zu glauben -

fcheint, eine Erfindung Wellhaufen's, fondern fchon bei
Aben Ezra zu lefen ift, welcher bemerkt, dafs diefe Auf-
faffung dem talm. Spruche r"HrT» bin 2>tt« rmp JJBT yjn
zu Grunde liegt; ja das rtQocpvhtv.ri der LXX ift wohl
nicht anders gemeint.

Andover, Mass. G. J. Moore.

Harnack, Adf., Die Quellen der sogenannten apostolischen
Kirchenordnung, nebft einer Unterfuchung über den
Urfprung des Lectorats und der anderen niederen
Weihen. [Texte u. Unterfuchungen zur Gefchichte
der altchriftlichcn Literatur von Ose. v. Gebhardt
u. Adf. Harnack, II. Bd. 5. Heft] Leipzig, Hinrichs,
1886. (io6 S. gr. 8.) M. 4. —

Auf die zuerft von Bickell gründlich unterfuchte
fog. apoftolifche Kirchenordnung ift durch die Entdeckung
der Didache ein neues Licht gefallen. Man hat
fie daher in der letzten Zeit vielfach behandelt (f. meine
Ausgabe der Didache S. 193—241), fich jedoch wefent-
lich auf die erften Abfchnitte, welche ,die beiden Wege'
behandeln, befchränkt. In vorftehender Abhandlung
habe ich diefe bei Seite gelaffcn, dagegen die beiden
anderen Quellenfchriften, welche der ap. KO. zu Grunde
liegen, unterfucht, erklärt und den gefchichtlichen Werth
derfelben zu beftimmen gefucht. Ich hoffe, dafs mir der
Beweis für das hohe Alter diefer Quellenfchriften und
für den ausgezeichneten Werth, den fie für die Gefchichte
der Entftehung der katholifchen Kirchenverfaffung befitzen
, gelungen ift. So gewifs wir die Erkenntnifse nicht
verallgemeinern dürfen, welche diefe dem 2. Jahrhundert
angehörigen Schriftftücke bieten, fo gewifs füllen fie
doch fehr empfindliche Lücken in unferem Wiffen aus.
Vor allem verdienen die Angaben über das Verhältnifs
des Presbytercollegiums zum Bifchof die höchfte Auf-
merkfamkeit. Ein intereffantes Problem bieten die Quellenfchriften
im Vergleich zu den parallelen Abfchnitten
der Paftoralbriefe.

Da die gröfsere der beiden Schriften die merkwürdige
Reihenfolge: Bifchof, Presbyter, Lector, Diakonen,
Wittwen, enthält, fo fah ich mich genöthigt, die Zeug-
nifse für die ältefte Gefchichte des Lectorats in der
Kirche zu unterfuchen. Diefe Unterfuchung führte mit
Nothwendigkeit zu der weiteren Frage, wie und wann
find die niederen Weihen in der Kirche entftanden? Es
ift auffallend, dafs diefe Frage bisher von berufenen
Kritikern niemals behandelt worden ift. Die Haupter-
gebnifse meiner Studie find folgende: 1) die niederen
Weihen find zuerft im Abendland, und zwar in Rom, zur
Zeit des Bifchofs Fabian aufgekommen, 2) die Inftitution
der niederen Weihen ift ein complicirtes Gebilde, welches
nicht aus dem Diakonat hervorgegangen ift, es um-
fafst drei Kategorien, die von ihrem Urfprung her nichts
mit einander gemein haben: Exorciften und Lectoren
— Subdiakonen — Akoluthen und Oftiaricr, 3) die Idee
der niederen Weihen im Allgemeinen fowie die Ein-
fetzung von Akoluthen und Öftiariern flammt aus der
Nachahmung römifch-facraler Einrichtungen, 4) der Sub-
diakonat —- nur diefer — hat fich aus dem Diakonat
entwickelt und verdankt feinen Urfprung der Abficht,
die Siebenzahl der Diakonen feilzuhalten, während man
doch eine gröfsere Zahl bedurfte; Anlafs zur Einfetzung
von Subdiakonen in Rom hat wahrfcheinlich die Mafs-
nahme gegeben, jeder der 14 Regionen der Stadt einen
kirchlichen Beamten vorzufetzen, 5) Lectoren und Exorciften
gehörten fchon der Urzeit der Kirche an; ur-
fprünglich galten die Püinctionen als charismatifche (daher
Verwandtfchaft mit der Function der ,Lehrer'); die
Lectoren haben im Laufe des 2. Jahrhunderts und im
Anfang des 3. in den verfchiedenen Gemeinden eine
verfchiedene Gefchichte erlebt (auch befondere Beziehungen
zu den Presbytern), bis fie als niedere Beamte