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Ausgabe:

1886 Nr. 16

Spalte:

374-376

Autor/Hrsg.:

Kraus, Franz Xaver (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Real-Enzyklopädie der christlichen Alterthümer. 2 Bde 1886

Rezensent:

Pohl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 16.

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klärt uns darum auch der Verf. in wünfchenswerther Weife
auf. Schi, nimmt einen durchaus confervativen Standpunkt
ein; nur das Verhältnifs der Paftoralbriefe zu Paulus
und die Frage nach der Identität des Apokalyp-
tikers mit dem 4. Evangeliften gehören ihm zu den offenen
Fragen (S. 5 Anm. 1). Uebrigens wird S. 480 die
Stelle 2 Tim. 4, 8 als paulinifch angefehen. Bei den
Synoptikern giebt der Verf. wenigftens eine Betheiligung
der Evangeliften an der Faffung der Ausfprüche Jefu
ohne Weiteres zu, vgl.Einl. 5 (S. 553 f.) auch S. 145 Anm. 1.
Von diefer kritifchen Erkenntnifs hätte aber Schi, ener-
gifcheren Gebrauch machen können. Soll nun ein Werth-
urtheil über die einzelnen Capitel ausgefprochen werden,
fo machen fich die fchwer verftändliche Ausdrucksweife
und der Mangel an durchfichtiger fyftematifcher Gliederung
am meiften fühlbar in den erften c. c, während die
umftändliche Breite befonders ermüdend bei der Dar-
ftellung der Lehre Jefu wirkt (vgl. S. 125 f. 130 f.), aber
auch fpäter S. 522 ff. Blicken wir mehr auf die fachliche
Behandlung, fo mufs als wenig befriedigend die
Vergleichung und Ausgleichung der beiden evangelifchen
Typen angefehen werden. Es möchte doch nur Wenige
geben, denen fich diefes Räthfels Löfung in der Sehl'
fchen Aufzeigung des verdeckten Chriftus der Synoptiker
und des enthüllten des Joh. kund thut. Dabei enthält
aber auch diefer Abfchnitt hinfichtlich der Ver-
fehiedenheit beider Darftellungen, die ja der Verf. unbefangen
als eine grofse anerkennt, fo viele treffende
Beobachtungen (vgl. S. 218 f.), dafs die Confequenzen
für die geringere Gefchichtlichkeit des 4. Ev. klar zu
Tage treten. Auf der anderen Seite wird dann freilich
der Dualismus des 4. Ev. nach Kräften abgefchwächt
und durch fern liegende Parallelen möglichft auf das
Niveau der Synoptiker herabgedrückt. Vgl. S. 179. 210
Anm. 2. Noch mehr Einwände laffen fich bei der Behandlung
des Jac.-Br. und deffen Verhältnifs zu Paulus
machen. Hier zeigt der Verf. feine Virtuofität, Gedankenverbindungen
zu vollziehen, die im Texte kaum mit
einem Worte angedeutet find, im glänzendften Lichte
(vgl. bef. S. 394 f.). So kann fich Schi, angefichts des
Jac.-Br. zu der fchon erwähnten Behauptung verfteigen:
,Der ganze Brief fei Glaubensmahnung' (S. 427). Gewifs;
mit demfelben Rechte, wie vorher (S. 322 z. B.) und
fonft wiederholt bei Paulus behauptet worden ift, dafs
von ihm dem Werk ausdrücklich die Hauptftelle im Leben
zugewiefen und nach ihm vom Werk das Gefchick des
Menfchen bedingt fei. Wie der Verf. zwifchen den Zeilen
zu lefen verfteht, zeigt insbefondere feine Ausführung
S. 513 ff., wo aus der Lebensführung des Jac. nachge-
wiefen werden foll, wie eigentlich der chriftologifche Be
griff, trotzdem dafs die Chriftologie in dem Briefe durch

Rom. 10, 16 ,Hören' heifsen foll. Im Uebrigen hätten
auch gerade bei Paulus die hiftorifchen Verhältnifse, die
auf die Ausbildung und Ausdrucksweife feiner Gedanken
ftets fo beftimmend einwirkten, noch mehr berückfichtigt
werden können. Beim Hebräerbrief, der wohl zweck-
mäfsiger gleich nach dem Paulinismus erörtert worden
wäre, mache ich noch auf S. 465 ff. befonders aufmerk-
fam. — Auch in den Erläuterungen findet fich zum
Theil fehr werthvolles Material. Glänzend tritt c. 1. 2.
3. 12 die philologifche Gründlichkeit und Gelehrfamkeit
des Verf. hervor. Ob zwar der Sprachgebrauch des Philo
und vor Allem des Polybius für den vorliegenden Zweck
eine fo eingehende Erörterung verdiente, mag dahin gefleht
bleiben. Jedenfalls ift es aber fehr verdienftlich,
dafs Schi, bei jeder Gelegenheit nachzuweifen fucht, wie
der befondere Inhalt des chriftlichen Gl. die Sprache
nach den verfchiedenen Richtungen beeinflufst hat, indem
er theils die Worte mit neuem reicheren Inhalt füllte,
theils ihre Anwendung auf einengeres Gebiet einfehränkte.
Vgl. hierfür aufser den angeführten Stellen S. 261 f. 277.
— Im Uebrigen mufs ich auf das Buch felbft verweifen.
Leicht hat der Verf. feinen Lefern das Studium desfelben
nicht gemacht. Doch darf behauptet werden, dafs fich
die aufgewendete Mühe in mancher Beziehung reichlich
lohnt. — Bemerkt fei zum Schlurfe nur noch, dafs die
fehr zahlreichen Citate faft durchweg zuverläffig find.
Die im Uebrigen flehen gebliebenen Druckfehler, deren
Zahl keine kleine ift, fcheinen zum geringflen Theil
dem Verf. zur Lafl gelegt werden zu können, vielmehr
dem fehr nachläffigen unfauberen Druck.

Halle a. S. Ed. Gräfe.

Real-Encyklopädie der christlichen Alterthümer. Unter Mitwirkung
mehrerer Fachgenoffen bearbeitet und herausgegeben
von Prof. Dr. F. X. Kraus. Mit zahlreichen,
zum gröfsten Theil Martigny's Dictionnaire des anti-
quites chretiennes entnommenen Holzfchn. 2 Bde.
Freiburg i./Br., Herder, 1880—86. (677 u. 1019 S.
gr. 8.) M. 32,40; geb. M. 38.—

Mit den eben erfchienenen Lieferungen, 16 bis 18,
hat das von dem Freiburger Gelehrten i. J. 1879 begonnene
Werk feinen Abfchluss gefunden. Es liegt nunmehr
in zwei ftattlichen Bänden vor. Davon ift der zweite
über den urfprünglich beabfichtigten Rahmen hinaus-
gewachfen: 1020 Seiten, während der erfte nur 677 zählt.

Im Allgemeinen ift das Unternehmen des gefchätzten
Alterthumsforfchers in feinem Anfang wie in der Folge
von der Kritik günftig aufgenommen worden. Auch in
diefem Blatt ift mehrfach darauf hingewiefen (vgl. Theol.
aus keine Rolle fpielt, im Vordergrunde feines Gl. ge- j Litztg. 1880, 301; 1881, 141). Und mit Recht darf man

ftanden habe. Wie für Paulus das Gefetz, fo habe für I einer Arbeit, zu der fo verfchiedene Kräfte in der Ver-
Jac. der chriftologifche Begriff das Kampfobject gebildet, j folgung eines Zieles fich zufammengefunden, an der
Jac. hatte, trotzdem er der Bruder Jefu war, den Herrn neben einer umfaffenden Kenntnifs des chriftlichen Alteranfangs
nicht erkannt und war erft fpäter zum Gl. an thums vor allem der Fleifs und die Ausdauer des Heraus-

ihn gelangt. Darum ,bejaht er ihn nun als den Ver
borgenen und fchweigt im Bewustfein, dafs er Jefu fo
nahe ftand und ihn fo wohl gekannt und doch nicht er

gebers einen fo hervorragenden Antheil haben, feine
Anerkennung nicht vertagen. Die vorliegende Real-
Encyklopädie ift heute ohne Zweifel eine der bedeutend-

kannt hatte, fondern die Nichtigkeit und Unzugänglichkeit j ften Arbeiten auf chriftlich-archäologifchem Gebiete in

feiner Begriffe Jefu gegenüber handgreiflich erlebt hatte
und es mit Augen fah, wie die Paradoxie des göttlichen
Handelns fie über den Haufen warf.' — Wird fo der Verf.
der Eigenthümlichkeit des Jac.-Br. durchaus nicht gerecht,
fo darf in gegenfätzlicher Richtung vor Allem auf c. 8
und 10 hingewiefen werden. Trotz mannigfacher auch
hier zu erhebende Beanftandungen möchte ich die Erörterungen
über den Paulinismus und befonders den Hebräerbrief
als die bellen Abfchnitte des ganzen Buches bezeichnen
. Speciell fei bei Paulus nur kurz verwiefen auf
S. 306 f. 315 f. 365 f. Dazwifchen finden fich dann wieder
Gewalttätigkeiten wie die zu S. 319. 337 gemachte Erläuterung
zu äxoi) yrtWfwg (S. 576 f.), wonach a/.oij felbft

Deutfchland und wird es vorausfichtlich für einige Zeit
bleiben.

Den erften glücklichen Verfuch, die durch umfangreiche
Detailforfchung namentlich feit dem neuen Auf-
fchwung der Katakombenforfchung gewonnenen Ergeb-
nifse der chriftlichen Archäologie zu einer Gefammtdar-
ftellung zu vereinigen, hatte in Frankreich der Canonikus
Martigny in feinem ,Dictionnaire des antiquites chretiennes'
(1 Bd., Paris, 2. Aufl. 1877) unternommen. Ihm folgten
darin die Engländer Smith und Cheetham mit ihrem
,Dictionary of Christian antiquitics' (1 Bd. London 1876).
Der Erfolg, den diefe Bücher gehabt, hat auch der
Herder'fchen Verlagsbuchhandlung die Anregung zu