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Ausgabe:

1886

Spalte:

361-367

Autor/Hrsg.:

Karpeles, Gust.

Titel/Untertitel:

Geschichte derjüdischen Literatur 1886

Rezensent:

Kautzsch, Emil

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Theologische Literaturzeitung.

Herauseeo-eben von D. Ad. HarnaCK und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinricris'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 16. 7. Auguft 1886. 11. Jahrgang.

Karpeles, Gefchichte der jüdifchen Literatur
(Kautzfeh).

Sc h latter, Der Glaube im Neuen Teftament
(Gräfe).

Kraus, Real-Encyclopädie der chriftlichen Al-

terthümer (l'ohl).
Eibach, Das Märchen von der Naffauifchen

Union (Köhler).

Kahler, Die Verföhnung durch Chriftum

(Herrmann).
Kawerau, Notiz.

verfteht. Das unbehagliche Gefühl eines Ballaftes, an
welchem doch wahrlich diefe Literatur keinen Mangel
hat, wird mit Gefchick ferngehalten; anderfeits ift es
dem Verfaffer wirklich gelungen, den Lefer zu einer
ftärkeren Anerkennung der Vielfeitigkeit und geiftigen
Bedeutung der jüdifchen Literatur (namentlich auch der
jüdifchen Poefie des Mittelalters) zu nöthigen, als fie
ihr gemeiniglich von chriftlicher Seite gezollt zu werden
pflegt. Zu den gelungenften Partien des Buchs rechnet
Referent die Darftellung der jüdifch-arabifch-fpanifchen
und zum Theil die der nachfolgenden rabbinifchen Literatur
. Hier wird der ziemlich tiefgreifende Einflufs, den
die Juden als Vermittler des griechifch-fyrifch-arabifchen
Literaturftromes auf die chriftliche Scholaftik ausgeübt
haben, fowie umgekehrt die Rückwirkung der Scholaftik
auf die jüdifche Literatur (z. B. durch die Ueberfetzung
von Werken des Thomas von Aquino, des Albertus
Magnus, des Wilhelm von Occam u. a. ins Hebräifche)
mit zahlreichen Belegen erhärtet. Und was die Vielfeitigkeit
anlangt, fo giebt es kaum ein Gebiet geiftigen
Schaffens, auf welchem fleh damals nicht auch Juden
hervorgethan hätten. Aus ihren Reihen gehen Äftro-
nomen, wie Zacuto, Aerzte wie Amatus Lufitanus und
Elia Montalto, Dichter, wie de Gomez (der ,jüdifche
Calderon'), aber auch Begleiter des Columbus und Vasco
de Gama auf ihren erften Entdeckungsfahrten hervor.
Ihr Ueberfetzungseifer erftreckte fleh im 13. Jahrhundert
nicht blos auf alle möglichen wiffenfehaftlichen Werke,
fondern (nach S. 756) fogar auf Anleitungen zur Behandlung
der Pferde, fowie zu der Kunft des Tranchirens und
Servirens an fürftlichen Tafeln.

Dafs man bei einer folchen Buntfeheckigkeit der
Stoffe abgefehen von dem wahrhaft ungeheuren Umfang
der geflammten jüdifchen Literatur von niemandem eine
gleichmäfsige Durcharbeitung und darauf gegründete Be-
urtheilung aller Theile fordern darf, liegt auf der Hand.
Unfer Verf. fcheint in diefer Beziehung noch geringere
Anfprüche zu erheben. Er erklärt felbft (S. 1138), dafs
die (London 1857 erfchienene) englifche Ueberfetzung von
Steinfchneider's bekanntem Artikel Jüdifche Literatur' in
Erfch-Gruber's Encyklopädie im Wefentlichcn fein Führer
gewefen fei. Aus den 23 Seiten kleinen Drucks umfaf-
fenden ,Literaturnachweifen' geht übrigens hervor, dafs
fleh der Verfaffer aufserdem faft durchweg der neueften
und relativ beften Hülfsmittel verflehert hat. Mifslich ift
dabei freilich, dafs man über die Herkunft der zahllofen,
oft in grofsem Umfang mitgetheilten, aber lediglich durch
Gänfefüfschen gekennzeichneten Citate und Dichtungsproben
faft ftets im Unklaren bleibt. Dafs hier und da
auch Arbeiten citirt werden, die der Verfaffer flehtlich
kaum vom Hörenfagen kennt, mag als eine weitverbreitete
Unart auf fleh beruhen; bedenklicher ift, dafs fleh
der Mangel an wirklicher Literaturkenntnifs gelegentlich
auch in folchen Proben, wie der Nichterwähnung von
Field's Hexapla (S. 1141), fowie der neueren Arbeiten
über die babylonifche Punctation (S. 364 und 1145) offen-
361 N 362

Karpeles, Guft., Geschichte der jüdischen Literatur. 2 Bde.
Berlin, Oppenheim, 1886. (VIII, 1172S. gr. 8.) M. 18. 50.

Die Gefchichte der jüdifchen Literatur umfafst nach
Karpeles (S. 1) ,das gefammte Schriftthum der Juden von
den älteften Zeiten ihrer Gefchichte bis auf die Gegenwart
, ohne Rückfleht auf Form und Sprache, fowie auch
auf den Inhalt diefes Schriftthums, letzteres wenigftens
im Mittelalter'. Sie hat fleh fomit nach S. 2 ,will fie fyfle-
matifch und nach wiffenfehaftlichen Principien verfahren,
mit all' denjenigen Geifteserzeugnifsen der Juden zu be-
fchäftigen, in denen jüdifche Welt-und Lebensanfchauung,
jüdifche Cultur und Art, jüdifches Denken und Fühlen
fleh ausprägt'. Vergl. auch die Bemerkung S. 14, nach
welcher der Verf. nur ,das Geiftesleben des jüdifchen
Volkes als einen Theil der grofsen Geiftesarbeit der
Menfchheit, feine Literatur als einen wefentlichen Be-
ftandtheil der Weltliteratur darftellen möchte'.

Gegen obige (in der Hauptfache bereits von Stein-
fchneider formulirte) Beftimmung der Aufgabe einer jüdifchen
Literaturgefchichte wird nichts Erhebliches einzuwenden
fein, zumal der Verfaffer (S. 1060) zu unter-
fcheiden weifs zvvifchen den wirklichen Trägern der
jüdifchen Literatur und den Juden, die neuerdings namentlich
in Deutfchland und Frankreich als Dichter und
Schriftfteller mit Erfolg aufgetreten find und fleh auf
allen wiffenfehaftlichen Gebieten hervorgethan haben,
deren Schöpfungen jedoch in keiner Beziehung mehr
zum Judenthum flehen.

Der gefammte Stoff wird von dem Verf. auf fechs
Perioden vertheilt: die biblifche Literatur, die jüdifch-
helleniftifche, die talmudifche, die jüdifch-arabifch-fpa-
nifche, die rabbinifche, endlich die jüdifche Literatur der
Neuzeit. Dafs eine fcharfe Sonderung der Perioden nicht
überall möglich war, ift in der Natur des Stoffes begründet
. Nicht feiten wirken Anftöfse, die in einem
Lande gegeben waren, noch beträchtlich Später in anderen
Ländern fort; grundverfchiedene Strömungen laufen in
einer und derfelben Periode nebeneinander her, fo dafs
es, abgefehen etwa von der erften Periode, unmöglich
erfcheint, gröfserc Zeiträume mit einem gemeinfamen
Stichwort zu charakterifiren. Im Grofsen und Ganzen wird
jeder Verfuch einer Periodifirung auf die oben gegebene
hinauskommen.

Wenn man die fehr erheblichen Schwierigkeiten erwägt
, denen eine jüdifche Literaturgefchichte in dem oben
erwähnten Umfang — zumal bei dem noch immer traurigen
Stand der Vorarbeiten — unterliegt, fo wird man den
Gefammteindruck der Leiftung des Verfaffers als einen
günftigen bezeichnen müffen. Er hat ein Lefebuch geschaffen
, in welchem es zwar keineswegs an Incorrect-
heiten aller Art gebricht, welches aber fchliefslich doch
durch fliefsende Darftellung, faft durchgängige Befchrän-
kung auf das Wichtige und allgemein Interefflrende, fowie
nicht feiten auch durch gutgewählte Literaturproben den
Lefer ebenfowohl zu orientiren, wie zu unterhalten