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Ausgabe:

1886 Nr. 15

Spalte:

344-347

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf

Titel/Untertitel:

Zur „Lehre der zwölf Apostel“. II. Artikel 1886

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 15.

344

geduldig auszuharren im Leiden. Für die Bezeichnung
der Taufe als ipvyrjg äyad-rjg snegioxr^m eig treöv (4, 21)
weift der Verf. verfchiedene Erklärungen, u. A. auch
die neuerlich beliebte aus dem juridifchen Sprachgebrauch
, mit guten Gründen zurück; aber feine eigene
Erklärung, dafs die Taufe ,1) den Grund legt zu einem
guten Gewiffen und in demfelben fich zu bewahren verpflichtet
, und 2) auf Grund davon die Getauften in die
Lage von Gefuchftellern an Gott (um die Errettung) ver-
. fetzt' oder ,fie zu folcher Gefuchftellung berechtigt' (S. 37),
gibt ftatt einer Angabe des Wefens der Taufe diejenige
einer entfernteren Folge, die zudem in diefen Worten nicht
ausgefprochen fein könnte. Vielmehr ift wohl die Taufe
hier nicht nach Seite der facramentalen Gnadendarbietung
, fondern der facrificiellen Gnadenbewerbung bezeichnet
als das Gefuch an Gott um ein gutes Gewiffen (im
Sinne von Pf. 51, II. 12). Diefes Gefuch ift vermittelt
durch den erhöhten Chriftus, ftützt fich auf ihn.

4, 1 ff. wird nun der Weg der Gewinnung folch
guten Gewiffens gezeichnet, und damit zugleich die
Mahnung zur Bereitwilligkeit, als Gutesthuender zu leiden,
nach Seite der vorausgefetzten Gefinnung ausgeführt.
Es gefchieht dies in einer jener fubjectiven Faffung der
Taufe entfprechenden offenbaren Umwendung der
myftifch-objectiven Betrachtung von Rom. 6, 1 ff. ins
Ethifch-Subjective: wie Chriftus dem Fleifche nach gelitten
hat, fo wappnet auch ihr euch mit demfelben Sinn,
fterbet ethifch dem Fleifche nach, fo ift die Sünde für euch
abgethan. Eine Reflexion auf das correlate Leben des
Geiftes ift hier nicht direct ausgefprochen. Dagegen tritt
auch diefe Seite wieder ein in Bezug auf die Todten, die
hier wie 3,18 ff. in Bezug auf die Heilsdarbietung den
lebenden Gläubigen zur Seite geftellt worden. Chrifto
müffen Lebende und Todte Rechenfchaft geben.
Auch Todte haben die evangelifche Verkündung empfangen
, auf dafs fie im Gerichte Straftod für das Fleifch,
Leben hingegen für den Geift zugetheilt erhalten. Das
Erftere ift freilich factifch für fie längft eingetreten, aber
erft jetzt wird es zum definitiven Richterfpruch (vgl. wie
Gal. 5, 5 die ötxatoavvrj auch wieder eine erhoffte ift).
Wie weit aber diefe ins Todtenreich gebrachte Verkündung
fleh erftrecke? Weiter wohl allerdings als auf den
3, 19 f. genannten Kreis; aber warum follte das dort
Gefagte in ausfchliefsendem Sinn verftanden werden
müffen? Für eine exegetifche Feftftellung des Umfangs
der hier angedeuteten Heilswirkfamkeit Chrifti unter den
Todten haben wir in unferem Briefe keinen weiteren
Anhaltspunkt.

Die übrigen Stellen des N. T., die für eine folche
angeführt werden, erklärt der Verf. mit Recht für zweifelhafter
und ungewißer (S. 53). Doch dürfte Eph. 4, 8
jedenfalls auf eine Hadesfahrt Chrifti zu beziehen fein,
aber nicht zu Heilswirkfamkeit, fondern zu Ueberwin-
dung gegnerifcher Mächte. Apgefch. 2,24 ff. zeigt uns
den Ausgangspunkt, von dem aus weitergehende Gedanken
nach zwei verfchiedenen Seiten fich entwickeln
mochten. Es fei hier geftattet zu bemerken, dafs dem
Ref. manche Gründe dafür zu fprechen Rheinen, fowohl
Eph. als 1. Petr. für Werke des gleichen Verfaffers, der
auch das Lukasevangelium u. die Apoftelgefchichte ge-
fchrieben, zu halten.

In dogmatifcher Hinficht will unfer Verf. mit lobens-
werther Nüchternheit aus der vereinzelten Andeutung in
1. Petri keine Schlüffe ziehen. Es behält diefe Selbft-
befchränkung ihr Recht, auchwenn die Parallelftelle 4, 6
nicht wegfällt. Bei tiefer Pieät für das Schriftwort neigt
er fich doch mit Recht dazu in der Stelle 3, 18 ff. ,ein
Erzeugnifs theologifirender, wiewohl von der tiefften
Heilsanfchauung infpirirter Reflexion zu erkennen' (S.
56 ff.), und erklärt es für ,beffer, auf die Beantwortung
der Frage, wie jenem unzweifelhaft biblifchen Poftulat,
dafs das abfolute Heil Allen fich anzubieten habe,
gleicherweife zu verzichten, wie man diefes mit Bezug

auf die Aufhellung noch manches ins Jenfeits hinüberreichenden
Geheimnifses thun mufs' (S. 58).

Zürich. H. Keffelring.

Zur ,Lehre der zwölf Apostel'. II. Artikel.

In diefem Artikel gedenke ich das neue Material zu-
fammenzuftellen, welches feit Bryennios' und meiner
Ausgabe der Jiöayq, fei es zur Erklärung, fei es zur
Ueberlieferungsgefchichte der Schrift, beigebracht worden
ift. Ich befchränke mich dabei auf die wichtigften
Stücke.

Mit befonderer Aufmerkfamkeit find die Beziehungen
der Aiöuyz], fpeciell ,der beiden Wege', zu der jüdifch-
paläftinenfifchen und der helleniftifchen Literatur verfolgt
worden, und zwar von Maffebieau, Sabatier, Rendell
Harris, Ufener und namentlich von Taylor, der in
feiner Schrift , The teaclung of tlie twelve apostles with

I illustrations front ihe Talmud' (Cambridge 1886) eine
durchgehende Vergleichung der Jiöayq mit paläftinen-
fifch-jüdifchen Ueberlieferungen vorgelegt hat. Da dem

| Verhältnifse der Jiöayq zum Judenthum ein befonderer

1 Artikel gewidmet werden foll, fo gehe ich hier auf die
beigebrachten Parallelen nicht näher ein.

Zu I, 2 und IV, 1 (f. auch c. XIII) ift m. W. zuerft
von Sabatier auf Sirach 7, 30—32 (cf 35, 13; 39, 5) hin-
gewiefen worden: ev 6'Xrj övväfiei aydnqanv zbv noir-
aavzd ae, xai tovq Xeizovoyohg avzou fii) iyxuxuXinpg.
epoßov zbv xvqiov xai öo^aaov teoia, xai öög zr]v uegiÖa
avzui y.ad-ioc, evxtzaXxal 001, änagyqv xai 7tegi nXiqftfie-
Xeiug xzl. C. I, 6 anlangend, fo hatte ich fchon auf
Sirach 12, 1 ff. verwiefen.

Zu I, 2: 7ccivza de 00a iäv Aekiqar/g «?) yiveoiruL 001,
xai ab uXXqj fii) noiei, f. die reiche Sammlung von Parallelen
bei Bernays, Gel. Abhandl. I, S. 274fr. Ifo-
krates hat den Spruch in folgender Form: Ii näoyovxtg,
vf itEQWV ogyiCeaite, zavza zobg aXXovg fiij noieize,

j Philo: a zig Txairtiv eyßaigei, fir) noitiv avzöv, Hillel:

I ,Was dir zuwider ift, das thue auch deinem Neben-
menfehen nicht', Tobit: b fiiosig, firfieri 71011'jOrjg, eine
chriftliche Infchrift {Bullett. 1874/. 137): scriptum est, quod
tibi fieri non vis, alio (fo) ne feceris', Alexander Severus:
,quod tibi fieri non -vis, alteri ne feceris1. Nur die fynop-
tifche Ueberlieferung — und das ift bedeutfam — hat
den Spruch in pofitiver Form. Sehr wichtig ift, worauf
fchon Bernays hingewiefen hat (f. auch Taylor, a. a. O.
S. 47 f.), dafs im Codex Bezae, bei Irenäus (III, 12, 14),

| Cyprian {Testim. III, 119), in mehreren Minuskeln und
bei anderen Zeugen (f. Tifchendorf z. d. St. und

! Weftcott u. Hort T. II p. 96) Act. 15, 29 alfo lautet:
a7ieyeoAai eiöwXo&vziov xai aiuazog xai nvixziov xai
ttOQveiag, xai boa (Sv) (tri treXtze eavzoig yeveaitcu, i-zegqt
fir) noielv. Ob diefer alte Zufatz ein Licht auf c. VI der
Jiöayq und auf ihre Gefchichte in der Kirche wirft, foll
fpäter erörtert werden. Schon hier mag indefs ein anderer
Hinweis Platz finden. Bielenftein (Mitth. u. Nachrichten
f. die evang. Kirche in Rufsland, 1885, Febr. u.
März) hat zuerft das zavza nuvxa nqoeinövzeg c. VII, 1
in feiner vollen Bedeutung erkannt und demgemäfs in
c. I—VI eine ,liturgifche Taufrede' gefehen. Diefe Annahme
, die mit Recht Beifall gefunden hat1;, ftimmt

j zufammen mit den Zeugnifsen aus dem Alterthum, nach
welchen bei der Taufe in folenner Weife die Verpflichtung
zu einem heiligen Wandel übernommen wurde (f.
Juftin, Apol. I, 6l: xai ßiovv ovxiog ävvaoirai vmayvimai).
Sie wird beftätigt durch die intereffante Wahrnehmung,
dafs die alte lateinifche Ueberfetzung der Jiöayr), von
welcher von Gebhardt ein Bruchftück entdeckt hat,
fich in der Melker Handfchrift neben der Exhortatio

1) S. Zahn, Theol. Lit.-Blatt 1885 S. 123 t u. Ztfchr. f. KGefch.
Bd. VIII, S. 79. Unabhängig von Bielenftein ift Menegoz, Le Te-
moignage, 16. März 1885 zu derfelben Einficht gekommen.