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Ausgabe:

1886

Spalte:

316-319

Autor/Hrsg.:

Hilgenfeld, Adolf

Titel/Untertitel:

Der Brief des Polykarpusan die Philipper 1886

Rezensent:

Harnack, Adolf

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fuchen auf, und für die Kraft zu gefchichtlicher Auf-
faffung und Geftaltung bleibt nichts übrig.

An den kritifchen Unterfuchungen dürfen wir jedoch
auch hier nicht vorbeigehen. ,Diefer zweite Theil der
Gefchichte fucht den Beweis zu liefern, dafs die bisherige
Conftruction der nachexilifchen Gefchichte Ifraels in
Hauptpunkten falfch ift und dafs Ezechiel, an deffen
Verftändnifs für jene Zeit alles hängt, in das zweite vor-
chriftliche Jahrhundert gehört' (S. III Vorwort). Unter
den Gründen, die für diefen Anfatz S. i — 20 ausgeführt
werden, hebe ich folgende hervor. Die 390 + 40 = 430
Jahre (Ez, 4, 4—6) find zu rechnen vom 5. jähr der
Wegführung des Königs Jojachin nach Babel (c. 1, 2),
d. i. S94 3, und führen demnach auf das Jahr 164 3 a. Chr.
Alfo ,hat Ezechiel fein Buch in dem genannten Jahre
164—163 vor Chriftus gefchrieben, zu einer Zeit, wo die
meffianifchen Gedanken von felbft lebendig wurden'.
Nach Ez. 35 f. erfcheint Edom im Befitz des Landes
Juda; die Gefchichte weifs aber nichts davon, dafs Edom
bereits fogleich nach der Zerftörung Jerufalems den Süden
Juda's eingenommen hat, wohl aber war Hebron, die alte
Hauptftadt Juda's, zur Zeit des Antiochus Epiphanes
eine edomitifche Stadt. (S. 12). Gog, der König des
Nordens, ift Antiochus Epiphanes; Ez. 38,10 ff. erhält
feinen beften Commentar durch Makk. 1,1; [An]tioch[us]
.erinnert an Gog', wie Kittim Makk. I. 1,1 Sing. Ket an
[Ma] ked [on]; Ez. 38,17 erklärt fich nur durch Abhängigkeit
des Ez. von Daniel, die anderweit durch Ez. 14,14.
28,3 gefichert i(t. Die Zadokiten Ez. 44,15 ff. find die
Makkabäer, die Kinder des Geiftes (!) Zadoks. Die Sprache
ift fehr fpät. — Die von S. vorgetragene Deutung der
430 Jahre trifft vielleicht die Meinung der Zahlen des
MT; aber da diefe nicht die urfprünglichen find (vgl.
Smend zu Ez. 4,5 f.), fo dürfen fie nicht für die Dati-
rung des Buches verwerthet werden. Was das Vordringen
Edoms anlangt, fo vertritt Seinecke S. 78 f. und 85 gegen
Seinecke S. 12 die bisherige Anfchauung von dem Vordringen
Edoms: ,Edom hatte fich bei der Ohnmacht
Juda's [NB! nach der Zerftörung Jerufalems 586] den
gröfsten Theil des Eidlichen Reiches zugeeignet'. Wenn
nun S. felbft von feinen kritifchen Unterfuchungen über
Ezechiel keinen Gebrauch macht, fo wird er gewifs auch
andere davon dispenfiren. Die Abhängigkeit Ezechiel's
von dem Buche Daniel folgt aus Ez. 14,14. 28,3 doch
keineswegs, und was ich fonft oben eng mit diefem
Punkt verbunden habe, kann nicht das Gewicht von
Gründen beanfpruchen. Die Eigenthümlichkeit der
Sprache Ez.'s gerade neben der Abhängigkeit von älteren
Vorbildern ift freilich eine auffallende und bis heute
durchaus nicht hinreichend erklärte Thatfache. Aber
wollte man defshalb Ezechiel in das zweite Jahrhundert
vor Chr. fetzen, fo würde man fich mit den hervorragend-
ften Merkmalen des Buches in Widerfpruch fetzen. Wie
laffen fich z. B. die von Ez. dem Munde des Volkes entnommenen
Redeweifen aus dem zweiten Jahrhundert v.
Chr. verliehen? Was foll der Entwurf eines neuen Tempels
zu einer Zeit, in der keine Veranlaffung zu einem
Neubau vorlag?

Die Ausfcheidung des ,Leviticus' — fo nennt S. ,den
Verfaffer von Gen. c. 1, der hauptfächlich im dritten
Buche des Pentateuchs redet' — erfolgt S. 40 ff. mit einigen
jedoch nicht bedeutenden Abweichungen von Wellhau
fen's ,Compofition des Hexateuch'. Das Deutr. ift
die zweite Schicht des Gefetzes (300—250 a.Chr.), darauf
folgt der von Ezechiel abhängige ,Leviticus' (im wefent-
lichen = PC). Die Samariter werden den Pentateuch
erft durch Johannes Hyrcanus bekommen haben (S. 48).—
Das Beiwort des Herodes 6 fityag wird S. 179 als ,der
ältere' gedeutet. S. 298 ff. wird eine Beschreibung des
herodianifchen Tempels unter Bcrückfichtigung fowohl
der Berichte des Jofephus als auch des Berichtes der
Mifchna gegeben, in welcher der Name Huldathor mit
dem Thier Choled oder Chulda zufammengeftellt und

] unter Vergleichung des lateinifchen cuniculus als ,Tunnel'
erklärt wird. In den geographifchen und topographifchen

1 Beftimmungen begegnen mehrere Unrichtigkeiten, z. B.
der Kebar Ez. 1,1 = Chaboras, Anthedon füdlich von
Gaza S. 97, Hippikus = Davidsthurm 3Ii. 334, Zion als
SW.-Hügel gefafst S.198. 218.297 u. ö., Tarichäa füdlich
von Tiberias 276. •— Von neuerer Literatur find aufser
exegetifchen Werken von Merx, Grätz, Bertheau, Ols-
haufen nur ,Siegfried, Philo von Alexandrien' und .Thilo,
Gefchichte der Philof.' der Ehre eines Chats gewürdigt
worden. Wer daraus fchliefscn wollte, dafs der Verf.
die neuere Literatur nicht kenne, würde fehr irren.
Vielmehr richtet S. gar nicht feiten feine Bemerkungen
gegen neuere Gelehrte, jedoch nennt er die Namen feiner
Mitarbeiter auf diefem Gebiete nie. Diefe für den der
Sache Kundigen nur fchlecht verhüllten Angriffe find
völlig zwecklos. Entweder enthalte man fich eines jeden
Angriffs oder man fage, wen man meint. Das entgegengefetzte
Verfahren erfcheint namentlich um der weniger
unterrichteten Lefer willen als unzuläffig — oder wollte
S. aus Befcheidenheit feinen Gegnern die Antwort erfparen?
Leipzig. H. Guthe.

Lightfoot, D. D., D. C. L., LL. D., J. B., Bishof of
Durham, The Apostolic Fathers. Part II. S. Ignatius. S.

Polycarp. Revised Texts with Introductions, Notes,
Dissertations and Translations. Vol. I and II, 1. 2.
London, Macmillan and Co., 1885. (XVIII, 740, 1117 p.
gr. 8.)

Harnack, Adolf, Bishop Lightfoot's .Ignatius and Polycarp'

in: ,The Expositor' 1885 Dec. p. 401—414, 1886 Jan.
p. 9—22, 1886 March p. 175 — 192.

Hilgenfeld, Adolf, Der Brief des Polykarpus an die Philipper

in: Ztfchr. f. wiffenfeh. Theol. 1886, S. 180—206.
Völter, Daniel, Die Lösung der ignatianischen Frage in :

Theol. Tijdschr. 1886, S. 114—136.

Das lang erwartete Werk von Lightfoot ift wohl
die gelehrteftc und forgfältigfte patriftifche Monographie,
welche im 19. Jahrhundert erfchienen ift. An ihr hat fich
nicht nur das nonum prematur in annum erfüllt, fondern
der Druck felbft hat fall 9 Jahre gedauert. Ein grofscr
Theil des 2. Bandes ift fchon am Ende des Jahres 1878
gedruckt gewefen. Ref. hat auf Erfuchen englifcher
Freunde das Werk ausführlich in einer englifchen Zeit-
fchrift gefchildert und befprochen (f. oben); er möchte
fich nicht wiederholen und verweift daher auf jene Bc-
fprechung. Nur Einiges fei im Eolgenden hervorgehoben,
im Allgemeinen aber bemerkt, dafs es kaum ein Thema
der älteften Kirchengefchichte geben wird, welches in
dem grofsen Werke von 1800 Seiten nicht berührt und
— wenigftens in vielen Fällen — nicht fehr ausführlich
erörtert wäre. So find z. B. alle Stellen, welche fich auf
das Verhältnifs von Chriftenthum und Staat bis zur Zeit
Marc Aurel's beziehen, gefammelt und befprochen. Einige
Ausführungen find kleine Monographien geworden, wie
z. B. die über Abercius, aus welchen wir in Deutfch-
land zudem noch lernen können, wie leicht wir wichtige
Arbeiten der Franzofen und Engländer überfehen. Chro-
nologifchc und antiquarifche Fragen lind in grofser Zahl
befprochen und zwar mit jener umfaffenden Kenntnifs
tUnusque litteraiurac, die wir bei den Gelehrten des
17. Jahrhunderts bewundern. Dogmenhiftorifchc Excurfe
find reichlich eingeftreut, und die Noten zu dem Texte
der Briefe find wahre Fundgruben für den Forfcher. Die
testimonia vetcrum für die Briefe nehmen einen grofsen
Raum ein, und es ift Lightfoot hier geglückt, Einiges
nachzutragen, was in der fo umfangreichen Sammlung
Zahn's noch vermifst wird. Doch ift des Guten
in mehreren und zwar wichtigen Fällen zu viel gefchehen.