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Ausgabe:

1886

Spalte:

313-316

Autor/Hrsg.:

Seinecke, L.

Titel/Untertitel:

Geschichte des Volkes Israel. 2. Thl., vom Exil bis zur Zerstörung Jerusalems durch die Römer 1886

Rezensent:

Guthe, Hermann

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung

Herausgegeben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jahrlich 16 Mark.

N°- 14.



10. Juli 1886.

11. Jahrgang.

Seinecke, Gefchichte des Volkes Ifrael. 2. Thl.
(Guthe).

Lightfoot, The Apostolical Fathers: Part II.

Ignatius, Polycarp (A. Harnack).
Hilgenfeld, Der Brief des Polykarp (derf.).

Völter, Die Löfung der ignatianifchen Frage
(derf.).

Batiffol, L'epltre de Theonas ä Lucien (derf.).
Becker, Zinzendorf im Verhältnifs zu Philo-
fophie und Kirchenthum feiner Zeit (Ritfehl).

Wiermann, Gefchichte des Kulturkampfes
(Müller).

Burkhard, Zur Lehre von der kirchlichen

Baupflicht (Köhler).
Dallwig, Der Kampf zwifchen Glauben und

Wiffen (Härtung).

Seinecke, L., Geschichte des Volkes Israel. 2. Thl., vom
Exil bis zur Zerftörung Jerufalems durch die Römer.
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht's Verl., 1884.
(X. 356 S. gr. 8.) M. 7—

Die Leetüre diefes zweiten Theiles von Seinecke's
.Gefchichte des Volkes Ifrael' hat die Erwartungen des
Ref. mehr als einmal getäufcht und ift der Befchleuni-
gung diefer Anzeige leider nicht förderlich gewefen.
Wenn er jetzt dennoch eine folche liefert, fo fühlt er
fich zunächft verpflichtet, dem Verf. feine Anerkennung
auszufprechen, dafs er überall da, wo er fleh durch einen
genügenden Vorrath von Nachrichten dazu in den Stand
gefetzt fah und feine Vorliebe, den Lefer in kritifche
Erörterungen feftzubannen, ihn nicht verlockte, mit
gutem Erfolge bemüht gewefen ift, ein lebendiges Bild
der Begebenheiten zu entwerfen. Die Darltellung von
S. 146 an (V. Juda unter den Makkabäern; beweift des
Verf.'s Talent, anfehaulich und frifch zu erzählen. Be-
fonders ausführlich wird die Gefchichte des jüdifchen
Krieges gegen die Römer S. 238—349 gegeben und die
feltfame Rolle, die Jofephus in demfelben gefpielt hat,
mit Sorgfalt und Umficht befprochen. S. fetzt den Abfall
des Jofephus von der vaterländifchen Sache in den
Anfang des Jahres 67 und erklärt ihn aus der Furcht
vor der Macht Roms, aus der in Galiläa herrfchenden
Uneinigkeit und aus der unzulänglichen Kriegsbereitfchaft
der galiläifchen Heerfchaar (S. 260 f.). Dennoch hält S.
den Jofephus nicht für einen vollftändigen Apoftaten des
Judenthums, weil er an der Erfüllung der Weisfagungen
des A.T.'s von der Vernichtung der Herrfchaft der Heiden
durchaus nicht verzweifelt habe. Verdeckte Anfpielungen
auf die meflianifche Hoffnung des Volkes Ifrael, die fleh
hier und da in der Gefchichte des jüdifchen Krieges
finden, zeugen noch immer für den lebendigen Pulsfchlag
eines echt jüdifchen, alles heidnifche Wefen verachtenden
Herzens. Wie zweideutig, ja unverfländlich für die
Heiden Jofephus von diefen Dingen geredet habe, zeigt
der Verf. S. 248 f. an der Auffaffung, in welcher Tacitus
und Sueton die bekannte Angabe des Jofephus, es folle
nach allgemeiner Erwartung in jener Zeit ein Judäer die
Weltherrfchaft erlangen iß. j. VI. 5, 4). allerdings nach
feiner Anleitung wiedergegeben haben. Aber eine Verleugnung
des jüdifchen Glaubens wenigftens vor den
Heiden hat fich doch Jofephus damit ohne Zweifel zu
Schulden kommen laffen. Der frifche Strom der Erzählung
, von dem fich der Lefer in der zweiten Hälfte
des Buches getragen fühlt, bleibt jedoch von mancherlei
Störungen nicht frei und verliert namentlich an einer
Stelle feine Kraft und Klarheit völlig, indem S. unter VI

die Procuratoren vor Agrippa I. und dann die nach
Agrippal, befpricht. Hierdurch wird Zufammengehöriges
in unerträglicher Weife zerriffen; der Lefer erhält hier
Einzelbilder, aber nicht Gefchichte.

Die erfte Hälfte des Buches (S. 1—146) verdient
dagegen nicht den Namen einer Gefchichte. Abfchnitt I
enthält eine kritifche Unterfuchung über das Zeitalter
des Ezechiel, kritifche Beiträge zu Joel, Obadja, Micha
4, 1—4, Klagelieder und Koheleth, die Ausfcheidung des
,Leviticus' fowie eine allgemeine Charakteriftik der jüdifchen
, insbefondere altteftamentlichen Gefchichtsfchrei-
bung. Man hofft nun in Abfchnitt II Juda im Exil'
durch ein gefchichtliches Gemälde erfreut zu werden,
nachdem man den Verf. auf feiner kritifchen Wanderung
hierhin und dorthin mit Geduld begleitet hat. Aber
wir müffen noch geduldiger werden: ,der meffianifche
Gedanke' veranlafst den Verf., von allerhand anderen
hiftorifchen und dogmatifchen Dingen zu reden, nur
nicht von Juda im Exil', und erft nachdem wir über ,die
Dauer des Exils, die 70 Jahre' nicht durch gefchichtliche
Mittheilungen, z. B. über den Sturz des Chaldäerreichs
durch Cyrus etwa nach dem fog. Kyroscylinder, fondern
durch Kritik von Efr. 1,1 und Daniel 9 belehrt worden
find, d. h. über den wirklichen Umlchwung der Zu-
ftände in Babylon nichts erfahren haben, lernen wir ,die
Zuftändejuda's während des Exils' in einigen intereffanten
Zügen kennen. Auch in Abfchnitt III Juda unter den
Perfern' treibt der Verf. noch immer fo ausführliche
Quellenkritik, dafs die von ihm gefügten Baufteine unter
den literarifchen Trümmern, mit denen er den Schauplatz
der Gefchichte bedeckt, faft vollftändig verfchwin-
den. ,Die Plrzählung von der angeblichen Vorlefung
des Gefetzes durch Efra ift ohne Werth, weil der Pen-
tateuch noch nicht exiftirte. Die Vorlefung des Gefetzes
und ihre Wirkung ift nichts als die Copie der nicht ge-
fchehenen Vorlefung des Deuteronomiums unter Jofia'
(S. 90), durch diefen Satz erwächft dem Verfaffer die
Aufgabe, auf S. 90—93 die Gefchichte Juda's unter den
Perfern mit dem Nachweis abzufchliefsen, dafs das
Deutr. möglicher Weife unter den erften Ptolemäern
verfafst fein könnte. Aber welches Gebiet die nach
Paläftina zurückgekehrten Juden ungefähr wieder befetzt
haben, durch welche Inftitutionen, Gedanken und Inter-
effen die kleine Gemeinde geleitet wurde, bleibt völlig
dahingeftellt, ja unbefprochen. Der vierte Abfchnitt
Juda unter den Griechen' ift der einzige, in dem neben
den äufseren auch die inneren Verhältnifse zu einem ge-
wiffen Rechte kommen, da hier die Pharifäer und Saddu-
cäer, Philo und die Effäer befprochen werden, manches
zum Theil jedoch recht vorzeitig. Diefe Angaben werden
genügen, um es zu erklären, wie durch die erfte

Juda unter den Hcrodianern' fämmtliche Fürften dieles ; Hallte diefes Buches unfere Kenntnifs von der Gefchichte
Gefchlechts bis auf Agrippa II. abhandelt und darauf Juda's nach dem Exil nur wenig gefördert worden ift.
unter VII Juda unter den römifchen Procuratoren' zuerft Die Arbeit des Verf.'s geht wefentlich in kritifchen Ver-

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