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Ausgabe:

1886 Nr. 13

Spalte:

307-309

Autor/Hrsg.:

Knitschky, W.E.

Titel/Untertitel:

Staat und Kirche 1886

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 13.

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ein gründliches ,aber' ,nur' jedoch' das Lob alsbald zu
neutralifiren. Als wirklich anerkennenswerth bleibt
fchliefslich doch nur beftehen das energifche Beftreben
RitfchPsj das Centraidogma des Proteftantismus als
mafsgebend für die Entwicklung der Uogmatik und
Ethik darzuftellen und die praktifch-ethifchen Ziele des
Chriftenthums zur Geltung zu bringen (p. 114). Wir geliehen
, dafs wir uns damit nicht begnügen, dafs man
wohlwollend das redliche (aber doch zu unerfreulichen
Refultaten führende) Benreben Ritfchl's anerkennt.
Denn fo wenig wir, wie fchon oben gefagt, die Schwierigkeiten
und Probleme überfehen, welche auch eine Theologie
wie die Ritfchl's uns übrig laffen mufs, fo wenig
wir diefelbe als einen der Arbeit überhebenden Befitz
anfehen wollen, fo finden wir in derfelben doch mehr als
blofs ein richtiges Beftreben; wir finden in derfelben
eine Grundlage, auf der wir weiterarbeiten können; wir
glauben es dem Werke Ritfchl's vor allem zu verdanken:
dafs wir als Theologen, welchen es auf die Wahrheit
des chriftlichen Glaubens ankommt, doch nicht bange
werden, wenn allerlei Vernunftbeweife diefes Glaubens
dahinfinken, im Bewufstfein, dafs es nur Einen
ficheren Beweis giebt, welcher dem Gebiete des blofs
theoretifchen Erkennens entzogen ift; dafs wir eine Richt-
fchnur unferer dogmatifchen Methode gewonnen haben
in dem Satz: alles, was wir im religiöfen Glauben als
wirklich fetzen, mufs in feinen dem Glauben erfahrbaren
heilbringenden Wirkungen für das active menfchliche
Geiftesleben nachgewiefen werden; dafs wir für die Dar-
ftellung der chriftlichen Wahrheit, als eines in fich ge-
fchloffenen und nach aufsen begrenzten Ganzen, nur Ein
Organifationsprincipkennen, die heilbringende Offenbarung
Gottes in Chrifto; endlich dafs wir als evangelifche
Dogmatiker wieder das Evangelium von der Sündenvergebung
muthig voranftellen und auch in der Dogmatik
das zur Geltung kommen laffen, was wir als Chriften alle
längfl wiffen, dafs man diefes Evangelium auch in der
Welt, für's Arbeiten und Leiden, brauchen kann.

Tübingen. Max Reifchle.

Knitschky, Dr. W. E., Staat und Kirche. Roftock, Werther,
1886. (94 S. gr. 8.; M. 1. 6b.

Die Frage, auf welche der Titel hinweift, wird nicht
aus einem Princip heraus theoretifch erörtert. Der Verf.
redet als praktifcher Politiker. ,Ein praktifch brauchbares
Ergebnifs unferer Unterfuchung — fagt er — ift nur dann
zu erzielen, wenn die in Deutfchland beftehenden that-
fächlichen Verhältnifse berückfichtigt werden'. Doch fehlt
nicht eine principielle Grundanfchauung vom Staate. Diefelbe
bezeichnet einen Fortfehritt über die abftracte
Rechtsftaatstheorie. Der Staat ift,diejenige äufsere Form,
innerhalb deren das Volksleben fich bewegt, und die
allein die Erreichung der Lebenszwecke der Menfchen
ermöglicht' (S. 16). Er ift die umfaffende Gefammtorga-
nifation, innerhalb deren die Kirche als ein Theilorga-
nismus ihre Stelle findet. Jede andere Vereinigung aufser
dem bürgerlichen Gemeinwefen — heifst es S. 21 — unter-
fcheidet fich dadurch von diefem, dafs es ausfchliefslich
einem Intereffe dient, und dies gilt in gewiffem Sinn auch
von den Kirchen, während der Staat alle mit einander
in Einklang zu bringen und jedem Lebenszweck den ihm
gebührenden Raum zu verfchaffen beftimmt ift'. M. a. W.
er foll Culturftaat fein und hat darum die Kirche nicht
blofs nach der Seite ihres äufseren Beftandes als Rechts-
inftitut ins Auge zu faffen, fondern inhaltlich zu ihr Stellung
zu nehmen. Andererfeits verbietet ihm der unum-
ftöfsliche Grundfatz der perfönlichen Gewiffensfreiheit jede
Einmifchung in das Gebiet des religiöfen Glaubens und
mithin in das innere Leben der Kirche. Das hieraus fich
ergebende Verhältnifs von Kirche und Staat bezeichnet
der Verf. als das der Trennung von beiden, nicht fehr
zutreffend, da er das, was man fonft unter Trennung von

| Kirche und Staat verfteht, d h. die völlige Indifferenz
beider, aufser fo weit privatrechtliche Beziehungen in
Betracht kommen, durchaus nicht will. Er weifs, dafs
eine lebensvolle Kirche, wenn fich auch der heutige Staat
jeder directen Beherrfchung durch die Kirche entzieht,
indirect, indem fie die Gerinnungen der Bürger bildet,
einen bedeutenden Einflufs auf das Staatsleben ausüben
kann. Umgekehrt fordert er, dafs der Staat, wenn er
auch die Aufgaben der Kirche nicht direct felbft in die
Hand nehmen darf, ihr doch in Erfüllung derfelben, fo
weit ihre eigenen Mittel nicht ausreichen, feine Förderung
angedeihen laffen foll, fowie er fich gegen Gefährdungen,
welche ihm durch das Princip einer beftimmten Kirche
und deffen Bethätigung im Volksleben drohen, zu fchützen
fuchen mufs. Es ergiebt fich daraus, dafs die Stellung
des Staates zu den Confeffionen keineswegs überall die
gleiche fein kann, fondern fich je nach dem verfchiedenen
Wefen derfelben verfchieden geftalten wird. Dafs diefe
Eihficht mehr und mehr durchdringt und demnach das
Idcm cuiquc, welches im Anfang des preufsifchen Cultur-
I kampfs die Lofung gegenüber der evangelifchen Kirche
bildete, feinen Credit verliert, ift als ein entfehiedener
Fortfehritt zu begrüfsen. Der Verf. weifs, dafs zwifchen
den Zielen des Katholicismus (er fagt: den päpftlichen
Anfprüchen S. 69) und dem modernen Staatsgedanken
ein unausgleichbarer Widerfpruch befiehl. Aber directe
j Kampfmafsregeln oder auch Verfuche, in das Innere der
j Kirche umgeftaltend hereinzuwirken, wie Eingriffe in die
| kirchliche Disciplin, Zwangsvorfchriften über die Ausbildung
der Geifllichen, Anzeigepflicht u. dergl. erweifen
fich, abgefehen von ihrer principiellen Unzuläffigkeit,
erfahrungsgemäfs als undurchführbar und unnütz. Der
Staat mufs fich darauf befchränken, Schutzwehren gegen
Uebergriffe der kathol. Kirche in fein Gebiet aufzurichten
und durch ,Kräftigung der dem Curialismus entgegen
wirkenden geiftlichen ^geiftigen?) Strömungen', insbefon-
; dere durch kräftige Entwickelung des Staatsbewufstfeins
i im Volke ,eine mittelbare Bekämpfung des unheilvollen
! Einfluffes der katholifchen Kirche auf das Volk' zu üben
(S. 75).

Alles das ift treffend und gut. .Aber der Verf. hat
unter den geiftigen Mächten, auf welche der Staat fich
; ftützen mufs, um nicht fchliefslich doch dem Papftthum
zu erliegen, die bedeutendfte zu nennen vergeffen. Das
ift das evangelifche Chriftenthum. Eine fehlerhafte reli-
| giöfe Richtung wie der Romanismus ift durch politifche
i und patriotifche Tendenzen allein niemals zu überwinden,
I fondern nur durch eine reinere und kräftigere Religiofität.
Der Verf. redet wiederholt davon und mit Recht, dafs
der Staat die Grundlage einer gleichartigen, das Volksleben
beftimmenden fittlichen Anfchauungsweife nicht
j entbehren könne: er fagt nicht oder fieht nicht, dafs die
Sittlichkeit, auf die der heutige deutfehe Staat gebaut ift,
1 keine andere ift als die aus der Reformation entfprungene,
mit den religiöfen Gedanken der Reformation unauflöslich
verbundene, alfo die proteftantifche, dafs der Staat
felbft in feinem Wefen proteftantifch ift. Er vindicirt
dem Staate fogar das Recht und die Pflicht, der Verbreitung
von Anfchauungen, ,welche mit demjenigen in
Widerfpruch flehen, was er als feine fittliche Grundlage
betrachtet', mit feinen Machtmitteln entgegenzutreten
(S. 33. 34). Aber diefe .fittliche Grundlage' ift eben nicht
ein die verfchiedenen Confeffions- oder Religionsformen
überragendes neutrales Drittes. Es mag für den Politiker
opportun fein, die Thatfache zu verhüllen, aber fie bleibt
doch beftehen, dafs es fich in dem Verhältnifs des Staates
I zur römifchen Curie um diefelbe Sache handelt wie in
! dem Kampf zwifchen evangelifcher und katholifcher
Kirche: es ift das weltgefchichtliche Ringen zwifchen der
proteftantifchen und katholifchen Weltanfchauung. Die
entente cordiale zwifchen Kanzler und Papft, welche jetzt
i der ftaunenden Welt angekündigt wird, ift nur ein vielleicht
kurzer und jedenfalls auf fehr fchwacher Grundlage