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Ausgabe:

1886 Nr. 1

Spalte:

12-13

Autor/Hrsg.:

Kugler, Berh.

Titel/Untertitel:

Albert von Aachen 1886

Rezensent:

Socin, Albert

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II

Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 1.

12

wuchs. Die Gefchichte des Koffai erklärt der Verf. S. 33
mit grofser Beftimmtheit für mythifch; fie fei ,nichts als
ein Verfuch, für Zuftände und Einrichtungen aus der Zeit
Mohammed's eine fefte hiftorifche Begründung zu finden,
welche für die volksmäfsige Ueberlieferung nur in der
Zurückführung auf eine beftimmte Perfönlichkeit beftehen
kann: fo wenig wie Aeolus, Hellen oder Dorus, wird
man den Koffai für ejne wirklich hiftorifche Geftalt halten
dürfen'. Dafs der Stammbaum feiner Nachkommen zum
guten Theil künftlich, manches darin auch wohl abficht-
liche Fälfchung fein mag, gebe ich gern zu, obgleich
ich z. B. nicht einfehe, warum Abd Menäf ibn Koffai
ein ungefchichtlicher Name fein foll; viel wahrfchein-
licher ift mir, dafs man die nicht befonders vornehme,
von Häfchim abftammende F'amilie zur gröfseren Ehre
des Propheten an einen Ahnherrn der vornehmen Omai-
jaden angeknüpft hat. Aber auch wenn man dem Verf.
hier Alles zugiebt, will mir der auf Koffai gezogene
Schlufs nicht einleuchten. Die griechifche Analogie be-
beweift eher das Gegentheil: kein griechifcher Eponym
hat eine Sage. Dafs (ich die ätiologifche Erfindung von
Abu Gubfchän an Koffai's Gefchichte angefetzt hat, beweift
auch nichts; die Erzählung von Sebbä und Amr ibn
Adi lieft fich von Anfang bis Ende wie ein Abfchnitt
aus den griechifchen Parömiographen, und doch hat fie
unzweifelhaft die Gefchichte, nicht die Sage, zum Hintergrund
; mehr noch, die Erzählung, wie Koffai mit Hülfe
der Odhra, denen fein Stiefbruder angehörte, die Chofä'a
aus Mekka verdrängte, fchliefst die Erzählung von Abu
Gubfchän einfach aus, es ift der gefchichtliche Hergang
gegenüber dem fagenhaften. Auch andere Züge an
Koffai fehen fehr charakteriftifch und gar nicht wie Sage
aus, fo der, dafs die Koreifchiten fich gefürchtet hätten, auf
dem heiligen Gebiete einen Baum umzuhauen, bis fie
Koffai felbft mit feinem Gehülfen umhieb (Ibn Hifchäm
überf. v. Weil I, 61).

Mit einer in der Wichtigkeit der Sache vollauf begründeten
Ausführlichkeit wird nicht blofs die Gefchichte
des Propheten, fondern auch die Gefchichte Mohammed's
vor dem Antritt feiner Prophetenlaufbahn behandelt;
während bei dem Verfuche einer Löfung der vielen
namentlich pfychologifchen Räthfel, die fie bietet, bisher
bald ein einfeitig medicinifcher, bald ein theologifcher
Standpunkt mafsgebend gewefen ift, ift der Verf. bemüht,
auf dem Wege objectiv hiftorifcher Betrachtung zu einem
Endurtheile durchzudringen. Mit vollem Rechte ent-
fcheidet er fich dafür, dafs Mohammed mit heiligem Ernfte
an feine Berufung zum Propheten glaubte, dafs er weder
ein Schwindler, noch epileptifch war; feit'der Ueber-
fiedelung nach Medina fei eine Sinnesänderung in ihm
eingetreten, eine nothwendige Folge der Verweltlichung,
da die von ihm in's Leben gerufene religiöfe Gemeinde
von Anfang an zugleich ein Staatswefen war: in gleichem
Maafse fei die anfänglich glühende Begeifterung des
fchwärmerifchen Gottesbekenners dem alternden Propheten
abhanden gekommen. In der That erklärt diefe
Beobachtung — die Verweltlichung, welcher der Prophet
verfallen mufste, indem er Lenker einer nicht blos reli-
giöfen Gemeinde wurde — das Meifte, was auf den erften
Blick befremdlich fcheint. Ein von feiner göttlichen Sendung
überzeugter Fanatiker konnte in den Ungläubigen,
die ihm widerftrebten, nurBöfewichter fehen, die fich gegen
den Willen Gottes auflehnten, denen gegenüber daher jedes
Mittel erlaubt fei. Für friedliche Ueberwindung entgegen-
ftehender Tendenzen geht dem Araber jedes Verftänd-
nifs ab; fein Sittencodex ift, wie der Verf. richtig hervorhebt
, ein anderer als der unfere: die fchlimmften Eigen-
fchaften Mohammed's, die in feiner fpäteren Zeit zu Tage
treten, Lügenhaftigkeit und Treulofigkeit, find aber recht
eigentlich die arabifchen Nationalfehler. Gröfscr ift in
meinen Augen eine andere Schwierigkeit, für die den rechten
Schlüffel gefunden zu haben, wie mir fcheint, auch dem
Verf. nicht gelungen ift. Der Prophet ift einer der

gröfsten Staatsmänner aller Zeiten gewefen; die diplo-
matifche Kunft, mit welcher er die gefährliche Coalition
der Stämme, die ihn in Medina belagerten, zu Schanden
zu machen wufste, der Vertrag mit den Mekkanern nach
der Pilgerfahrt von Hodeibija find in ihrer Art einzige
politifche Meiiterftücke. Der Verf. hat in feiner Erzählung
mit grofser Kunft diefe Seite Mohammed's immer
mehr hervortreten laffen; er macht darauf aufmerkfam,
j dafs die Umftände fein Lehrmeifter wurden, fo bei der
I in ihren Folgen wichtigften aller Neuerungen: indem die
j religiöfe Gemeinde an die Stelle des Stammes gefetzt
I ward, durchbrach Mohammed den Bann der Stammes-
I Zugehörigkeit, der bis dahin die arabifche Nation zu unfruchtbarer
Zerfplitterung verurtheilt hatte; er erinnert
ferner an den Einflufs, den die pünktliche Beobachtung
der Gebete mit ihrer mechanifchen Nachahmung jeder
Geberde des vorbetenden Propheten auf die militärifche
Disciplinirung der Muslim übte. Auch ift bei der Würdigung
der ftaunenswerthen Erfolge Mohammed's über
feine Gegner mit dem Verf. in Anfchlag zu bringen, dafs
von etwas wie einer Politik, welche auch auf morgen
oder gar übermorgen bedacht ift, aufser Mohammed Niemand
in ganz Arabien eine Ahnung hatte. Beide Er;
wägungen erklären Manches, aber lange nicht Alles-
immer fteht man vor der Frage: wie ift aus dem fchüch-
ternen, fchwächlichen, nach ekftatifcher Aufregung zeitweife
wieder verzweifelnden, von allen Seiten herum -
geftofsenen Mekkanifchen Waifenkinde urplötzlich der
Realpolitiker erften Ranges geworden, der fich in Medina
von dem erften Augenblicke an, wo ihm die Mittel zu
herrfchen in die Hand geliefert werden, zum Herrn der
Situation macht und zielbewufst von Triumph zu Triumph
fchreitet? Hierauf weifs auch ich eine fichere Antwort
nicht zu geben: das Aufwachten Mohammed's in der
Umgebung der weltklugen kaufmännifchen Ariftokratie
Mekka's, vor der er doch wieder nachdenklichen Ernft
voraus hatte, wird nicht ohne Einflufs geblieben fein;
auch möchte ich auf die Reifen Mohammed's und ihre
Einwirkung auf feine Entwicklung gröfseres Gewicht
; legen, als dies der Verf. zu thun geneigt ift.

Die erfte Lieferung (jede derfelben ift 10 Bogen ftark)
führt die Gefchichte Mohammed's ziemlich zu Ende, bis
zum Beginn der gefährlichen Bewegungen der arabifchen
Stämme, die am Abende feines Lebens fein Werk in
Frage zu ftellen drohten und erft von Abubekr niedergeworfen
wurden. Von den folgenden Lieferungen enthält
die zweite die Lehre des Islam und die Gefchichte
bis zur Schlacht bei Sfiffin (652), die dritte geht herab
bis zum Sturze der Barmekiden (803). Wir wünfehen dem
trefflichen Werke beften Fortgang.

Es ift dasfelbe gut gefchrieben, nicht feiten mit einem
Anfluge von Humor, der aber durchweg Mafs hält, um
im rechten Momente wieder dem Tone ernfter Gefchichts-
erzählung den Platz zu räumen.

Tübingen. Alfred von Gutfchmid.

Kugler, Bernh., Albert von Aachen. Stuttgart, Kohlhammer,
1885. (VII, 426 S. gr. 8.) M. 8. —

Der Verfäffer der in der Oncken'fchen Sammlung
erfchienenen Gefchichte der Kreuzzüge (Berlin 1880) fucht
in der vorliegenden Abhandlung zu erweifen, dafs in dem
Werke des Albertus Aquenfis, welches die Heldenthaten
der Franken vom Jahre 1096—1120 fchildert, viel mehr
hiltorifch zuverläflige Nachrichten enthalten feien, als
bisher in der Regel angenommen wurde. Damit Hellt
er fich vor Allem in directen Gegenfatz zu den An-
fchauungen Sybel's, welcher alle Nachrichten jenes Schrift-
ftellers als fagenhaft verwirft und das Urtheil abgiebt,
dafs man von feinen Angaben im Allgemeinen völlig ab-
fehen müffe, da möglicherweife nur etwa hier und da
Einzelnes brauchbar fei (Gefchichte des erften Kreuzzugs2.
Lpzg. 1881, S. 62 ff.). Kugler erkennt nun zwar natur-