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Ausgabe:

1886 Nr. 13

Spalte:

293-296

Autor/Hrsg.:

Naumann, O.

Titel/Untertitel:

Wellhausens Methode, kritisch beleuchtet 1886

Rezensent:

Baur, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 13.

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Werth des vom Verf. Geleifteten keineswegs beeinträchtigt
, fondern nur aufs Neue darauf hingewiefen werden,
dafs bei derlei Reconftructionen von verlorenen Originaltexten
werthvoller Literaturrefte nicht forgfältig und um-
nichtig genug verfahren werden kann, und dafs jeder
fpäter in die Arbeit Eingreifende es fich zur erften Pflicht
machen mufs, die früher geleiftete Arbeit weiter zu fördern
und der Vollendung näher zu bringen.

Eppelheim b. Heidelberg. J. J. Kneucker.

Naumann, Paft. O., Wellhausens Methode, kritisch beleuchtet
. Leipzig, Hinrichs, 1886. (166 S. gr. 8.) M. 2. —

Als vor jetzt gerade fünfzig Jahren D. Straufs durch
den im Herbft 1835 veröffentlichten 1. Band feines Lebens
Jefu und gleichzeitig auf ganz anderem Gebiete der
gleichnamige Wiener /Walzerkönig' auf feinen Umzügen
die Welt in Aufregung gebracht hatte, da beruhigte
Hoffmann von Fallersleben in feinem Gedicht ,Die beiden
Straufse' fich und andere mit den Verfen:
Trotzdem hab' ich in unfern Tagen
Vor keinem Straufse Furcht und Graun:
Die Zeit hat einen Straufsenmagen
Wird auch den Doctor Straufs verdaun.
Wie zu jener Zeit Straufs die Evangelienfrage, fo
hat in unfern Tagen Wellhaufen die Pentateuchfrage
auf die Tagesordnung gebracht. Allerdings ift der
Standpunkt der beiden Kritiker ein verfchiedener. Für
den Jünger Hegel's war fchon damals das Chriffenthum
nur ein ,verfchwindendes Moment' im geiftigen Ent-
wickelungsprocefs der Menfchheit, und in der Confe-
quenz diefer Auffaffung ift er fchhefslich zu jenem
,neuen Glauben' geführt worden, in welchem er auf die
Frage: ,Sind wir noch Chriften?' nur eine verneinende
Antwort geben konnte. Wellhaufen dagegen hält an
der Ueberzeugung feft: ,Das wahre Salz der Erde bleibt
doch für alle Zeit der religiöfe Individualismus des Evangeliums
' und an der aus dem Evangelium fich ergebenden
,Gewifsheit, dafs weder Tod noch Leben uns von der
Gemeinfchaft Gottes fcheiden kann'; und fo ift es eher
zu erwarten, dafs er von diefem feften Mittelpunkte aus
auch manche von ihm aufgegebene oder doch als un-
ficher betrachtete Pofition wieder gewinnen werde. Jedenfalls
aber hat die beruhigende Macht der Zeit, auf welche
der Dichter bei der durch Straufs hervorgerufenen Bewegung
fein Vertrauen gründete, auch in Bezug auf die
Pentateuchfrage fich bereits bewährt. Wellhaufen felbft
hat nicht blofs den lauten und fcharfen Ton des erften
Rufes zum Kampfe ermäfsigt, welcher allerdings geeignet
war, die allgemeine Aufmerkfamkeit auf das Streitobject
zu lenken, aber auch die Gegner ohne Noth reizte und
erbitterte, fondern er hat fich auch in fachlicher Beziehung
mannigfaltig zur Verftändigung bereit gezeigt;
und fo haben auch die Gegner an eine ruhigere, ja in
vielen Beziehungen entgegenkommende Betrachtung der
Frage fich gewöhnt. Mufste man fich ja doch fagen,
dafs die Bedenken gegen die Tradition von der mofai-
fchen Abkunft des Pentateuch nicht aus einer muth-
willigen Neuerungsfucht hervorgegangen waren, fondern
mit der einem aufrichtigen Suchen nach Wahrheit un-
widerftehlichen Macht der Thatfachen auch Solchen fich
aufgedrungen hatten, welche gerne an jener Tradition
feftgehalten hätten; dafs die feit mehr als hundert Jahren
vorbereitete und endlich mit einer bei folchen Fragen
feltenen Uebereinftimmung vorgenommene Vertheilung
der verfchiedenen Beftandtheile des Pentateuch an die
fogenannte elohiftifche Grundfchrift, an den Jehoviften
mit Einfchlufs der einem zweiten Elohiften angehörenden
Elemente und an den oder die Deuteronomiker auch von
Wellhaufen im Wefentlichen feftgehalten wurde; und dafs
nur jene elohiftifche Schrift von der chronologifch erften
auf die letzte Stelle gerückt war, ohne auch nur ihre

1 Bedeutung als die das Fachwerk des Ganzen hergebende
] Grundfchrift zu verlieren. Auch dagegen liefs fich nichts
einwenden, dafs diefe Schrift oder der durch fie vol-
| lendete ganze Pentateuch erft unter Efra als das ,allge-
! mein gültige Gefetzbuch Ifraels' anerkannt wurde.

Ganz befonders erfreulich aber ift es, dafs die vorliegende
Schrift zeigt, wie auch ein praktifcher Geift-
licher vor der Pentateuchfrage nicht mehr als vor einem
gefährlichen Noll me tangcrc fcheu zurückweicht; denn
was einmal in Bezug auf die Hegel'fche Philofophie ge-
fagt worden ift, das gilt auch von der Kritik: der evan-
: gelifche Theologe kommt nicht um fie herum, fondern
er mufs durch fie hindurch. ,Gedrungen allein von dem
ehrlichen Suchen nach Wahrheit' und getreu feinem
; Motto: ,Wir vermögen nichts wider die Wahrheit fondern
für die Wahrheit', erklärt fich der Verf. zur Anerkennung
', des Kritikers bereit, ,wo immer fein Verdienft um die
Förderung der Wahrheit zu Tage tritt' (S. 8), und dafs
' er Wort gehalten, beweifen feine Bemerkungen S. 61,
1 128 f. und befonders 152: ,W. und die Reufs'fche Schule
hat das unbeftrittene Verdienft, Bahn gebrochen zu haben'.
Allein feine eigentliche Aufgabe ift doch, das Unhaltbare
in Wellhaufen's Methode nachzuweifen. Was er zu
deren Charakterifiru ng im erften Abfchnitt (S. 1—12) in
allgemeiner Ueberficht fagt, befriedigt freilich nicht.
Man erhält hier auf die Frage, worin das Eigenthümliche
diefer Methode eigentlich beftehe, keine recht klare und
bündige Antwort. Es kommt dies daher, dafs nicht gehörig
auseinander gehalten wird, wie Wellhaufen einer-
feits dieverfchiedenenLagerfchichtender pentateuchifchen
Textgeftaltung analyfirt und andererfeits parallel mit der
fucceffiven Entftehung diefer Lagerungen die Gefchichte
des religiöfen Lebens in Israel conftruirt. Ja der Verf.
zeigt fich S. 151 geneigt, jener Analyfe im Wefentlichen
fich anzufchliefsen, indem er nur feinen Standpunkt bei
der Auffaffung der altteftamentlichen Religion gegenüber
dem von Wellhaufen wahrt. Diefer hat zwar nach S. 6
in der 2. Ausgabe feiner Gefchichte Israels die ,göttliche
Offenbarung', ,diefe uranfängliche und urfprüngliche göttliche
Initiative in der Heilsgefchichte Israels' anerkannt,
aber er ftellt doch die Gefchichte der altteftamentlichen
Religion wefentlich als eine natürliche Entwickelung von
unten nach oben dar. Das ift aber nicht das Ergebnifs
gefchichtlicher Unterfuchung, fondern einer religions-
philofophifchen Vorausfetzung, von welcher der Hegelianer
Vatke bei feiner Darfteilung der biblifchen Theologie
des alten Teftamentes fich mochte leiten laffen,
vor welcher aber ein kritifcher Gefchichtsforfcher fich zu
hüten hat. Ein folcher Entwickelungsprocefs hat in dem
Naturleben feine Stelle, in dem Gebiete des geiftigen
Lebens aber bleibt es bei Goethe's Wort: ,Es gilt, man
ftelle fich wie man will, doch endlich die Perfon'. Eine
ausgezeichnete Perfönlichkeit kann eine Wahrheit längft
klar erkannt und verkündet haben, welche von der Maffe
des Volkes noch lange verkannt, verunreinigt, ja verleugnet
wird, bis fie endlich durch ihre trotzdem fortwirkende
Macht zu allgemeiner Geltung gelangt. Eine
folche ausgezeichnete Perfönlichkeit ift Mofe gewefen,
und in der That fehlt es bei Wellhaufen felbft an Stellen
j nicht, welche ihn als den eigentlichen Anfänger des höheren
religiöfen Lebens in Israel bezeichnen, und nur
die Beforgnifs,^ es möge ihm die ganze fpätere Ausbildung
der Cultus- und Prieftergefetze zugefchrieben
werden, fcheint ihn veranlafst zu haben, diejenigen
j Elemente, welche mit dem von Mofe verkündeten höheren
Princip im Widerfpruche flehen, in höherem Grade zu
j betonen, als es zu feiner fonft bezeugten eigenen Auf-
I faffung ftimmt. So operirt denn der Verfaffer am glück-
| lichften, wo er Wellhaufen gegen Wellhaufen in das Feld
I führen kann, um zu beweifen, ,dafs die Continuität der
j Gefetzgebung nicht von Jofias bis auf Efra, fondern von
i Mofe bis auf Efra reicht'.

In den folgenden Abfchnitten fucht er nun feinen