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Ausgabe:

1886 Nr. 12

Spalte:

271-273

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf

Titel/Untertitel:

Zur „Lehre der zwölf Apostel“ 1886

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271

Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 12.

272

von Excurfen, die der Erklärung — diefelbe fleht zum
Glück davon ab, ein Repertorium aller Einfälle zu fein —
beigegeben find. Diefe Excurfe find kleine Monographien.
Da fie bei einfchlagenden Arbeiten leicht überfehen
werden können, fo follen die Titel der wichtigften hier
genannt fein: Die Vaterfchaft Gottes — Die Idee vom
Blute Chrifti im N. T. — Die Idee der Sünde bei Joh. —
Der Gebrauch des Wortes iXaaftog — Johannes' Lehre
von der Schöpfung — Antichrift — Gotteskinder — Die
Idee der Liebe — Die Namen des Herrn — Der Gebrauch
des Wortes fiovnyetnqs — Der Gebrauch von iltög und
n y-eög — Der Gebrauch des Ausdruckes ,der ChrifiV —
Die Idee des Lebens. Beigegeben find drei grofse Abhandlungen
: ,Die beiden Reiche: die Kirche und die Welt'
(p. 249—284), ,Das Evangelium von der Schöpfung'
(p. 285—330), ,Die Beziehung der Chriftenheit zur Kunft'
(331—374). Wir befitzen unter den deutfchen Commen-
taren zu NTlichen Schriften wenige, die fleh an Reichhaltigkeit
, eindringendem Scharffinn und felbftändigem
Urtheil mit diefem Commentar Weftcott's meffen könnten.
Die exegetifchen Arbeiten diefes Gelehrten und Light-
foot's können uns zum Mufter dienen.

Giefsen. Adolf Harnack.

Zur ,Lehre der zwölf Apostel'. I. Artikel.

Seit dem Berichte über den Fund und die Ausgabe
der ,Apoftellehre' durch Bryennios (f. Theol. Lit.-Ztg.
1884, Nr. 3) ift in diefer Zeitung über die uns wieder-
gefchenkte Schrift und die Literatur, welche fie hervorgerufen
hat, nicht gehandelt worden. Ref. wollte warten,
bis der Strom der Monographien und Abhandlungen fich
etwas verlaufen habe; allein bisher ift es ihm noch gegangen
wie dem rusticus, qui exspectat, dum defluat amnis.
Unter folchen Umftänden ift ein kritifches Referat über
diefen neuen Zweig der patriftifchen Literatur nahezu
eine Unmöglichkeit. Zum guten Glück darf fich Ref.
aber auch von der geringeren Verpflichtung befreien, die
einfchlagenden Arbeiten wenigftens vollftändig hier aufzuführen
und fo einen kleinen Theil der Schuld abzutragen
, die ihm die Freundlichkeit vieler Fachgenoffen
durch Zufendung ihrer Arbeiten über die Aiöayrq auferlegt
hat. Prof. Schaff nämlich hat in feinem Werke
, The oldest Ckurch Manual called the Teacliing of the XII
Apostles', New York 1885 — neben der Ausgabe des
Referenten die umfangreichfte Arbeit über die Jiöctyi]
— p. 140 bis 158 die gefammte Literatur mit einer be- J
wunderungswürdigen Sorgfalt zufammengeftellt und die
einzelnen Abhandlungen und Ausgaben kurz charak-
terifirt. Er hat ferner für die 2., demnächft erfcheinende,
verbefferte Auflage feines Buches diefe Sammlung (bis
zum März 1886) fortgeführt. Auch diefe Fortfetzung
liegt mir in einem vorläufigen Abzüge vor, und indem
ich diefe Bibliographie mit der von mir angelegten vergleiche
, finde ich in ihr — es handelt fich bereits um
ca. 200 Arbeiten — nur fehr geringe Lücken. Wer alfo
über die Jidayy nicht arbeiten will, ohne fich zuvor mit
der ganzen Literatur vertraut gemacht zu haben, der fei
auf Schaffs Bibliographie verwiefen. Hinzuzufügen
find, foviel ich fehe, nur folgende Arbeiten: Heinrici,
Ztfchr. f. KGefch. Bd. VI, S. 590 fr., Funk, Lit. Rund-
fchau 1884, 1. October, Col. 577 ff., Holtzmann, Protei
!. KZ. 13. Aug. 1884, Ufener in Bernays' Gef.
Abhandl. 1. Bd. (1885) p. Vf., Zeitung ,Ut omnes unum1
6. Jahrg.,1885, Nr. 66—6j (über dieEntftehungszeit), Zahn,
Theol. Lit. Blatt 1885, März, Smend, Randbemerkungen
u. f. w. im Ev. Gemeindebl. f. Rheinland u. Weftf. 1885,
Nr. 4. 5, Baltzer, Die wiedergefundene Zwölfapoftel-
lehre, Rudolftadt 1886, Aberle, Lit. Rundfchau 1885,
8 S. 225 f., 9 S. 257 f., Scherer, R. v., Ift die fog. L.
der 12 Apoftel echt? im Archiv f. kathol. KR. 1885, 4
S. 3 ff, Hilgen feld in f. Ztfchr, 1886, 1 S. 1 ff, Arnold,
Die neu entdeckte Lehre d. 12 Ap. in Ztfchr. f. KR.,

Bd. 20, H. 4 S. 407 ff, Arnold, D. Didache u. d. apoft.
VV. ebendort, S. 439 ff, Cotterill, Doctrine of Apostles,
in The Scottish Cliurch Review 1884, July p. 464 ff, Sept.,
p. 563 ff. [hier wird die Didache hinter die apoft. Con-
ftitut. gefetzt], M. C. in ,La Renaissance' 1884, Nr. 37—44:
de COrganisation de IEglise primitive a propos de la Didache
, Pafanifi in ,La Cultura' 1885, 4. Jahrg., Nr. 9,
p. 308 f., G o os z e n, Het oudste, ons behende, christelijk Leeren
kerkelijk Hand-Boehjc in: Geloof en Vrijlied, 19. Jahrg.
1885, S. 459—506, Chiapelli in d. ,Nuova Antologia' 1885,
18 p. 209 ff. Zahn, ZfKG. VIII S. 66 ff. Erfchienen
ift [auch irgendwo eine ungarifche Ueberfetzung von
Prof. Georges Boros de Kolozswar. Dies erfcheint
als eine refpectable Zahl von Arbeiten; aber fie find
nur Tropfen aus einer erftaunlichen Fluth.

Ref. hat fucceffive in den beiden verfloffenen Jahren
die grofse Mehrzahl der Ausgaben und Abhandlungen
gelefen. Von den wirklich wichtigeren find ihm wohl nur
wenige unbekannt geblieben. Der ftärkfte Eindruck, den
diefe Leetüre zurückgelaffen hat, ift ein höchft unerfreulicher
. Würde ein Unbetheiligter den Stand der For-
fchungen auf dem Gebiete des chriftlichen Alterthums
nach diefer jüngften Literatur beurtheilen und dabei nicht
abwägen, fondern nur referiren, fo müfste er ungefähr
zu folgendem Ergebnifse gelangen: diefe Hiftoriker wiffen
abfolut noch nichts; fie fahren mit der Stange im Nebel
umher; fie verliehen fich unter einander nicht; es giebt
keine feilen Punkte, über welche eine Einigung erzielt
wäre; jedes neu entdeckte Document, weit entfernt,
ihnen die Dunkelheit zu lichten, löfcht ihnen noch ein
paar der fpärlichen Flämmchen aus, die hier und dort
brennen; der Zuftand, in welchem fie fich befinden, könnte
nicht fchlimmer werden, wenn jedem von ihnen die Aufgabe
geftellt würde, die Gefchichte der alten Kirche aus
feinem eigenen Kopfe zu fpinnen. Der erfte fetzt die
neu entdeckte Schrift vor die paulinifchen Briefe, ja vor
das Apoftelconcil 'Sabatier), der zweite in die Zeit des
Paulus, der dritte bald nach die Zerftörung Jerufalems
(Beftmann), der vierte in die letzten Decennien des erften
Jahrhunderts (eine fehr beliebte Datirung), der fünfte unter
Trajan (ebenfalls beliebt), der fechfteunter Bar-Kochba, der
fiebente in die Zeit der Antonine, der achte etwa unter
Commodus (Krawutzky), der neunte in das 3. Jahrhundert
, der zehnte in das 4., und es giebt auch noch
folche, die das 5. und noch fpätere Jahrhunderte empfehlen
. Das wäre die Abfaffungszeit. Es fteht an keinem
anderen Punkte beffer. Hören wir die Ueberlieferungs-
gefchichte: unfer Buch ift das den Kirchenvätern feit
Clemens bekannte, fagen die Einen, die Anderen leugnen
das, die Dritten fchlagen Mittelwege ein — die Integrität
: das Buch ift einheitlich und original, es ift eine Com-
pilation, es wimmelt von Interpolationen, es zerfällt in
zwei oder mehrere nicht zufammengehörige Theile —
die Anlage: es ift trefflich disponirt; es ift ganz fchlecht
disponirt; es ift theilweife gut, theilweife fchlecht disponirt
; die Kunft des Verfaffers ift zu bewundern; der Vcr-
faffer hat von fchriftftellerifcher Kunft keine Ahnung —
die Quellen: nur das A. T. ift Quelle, alles Uebrige ift
original, weil älter als alle andern chriftlichen Schriften;
nichts an dem Buche ift original, alles ift zufammenge-
ftoppelt; das N. T. empfängt aus der Didache kein
Zeugnifs; nahezu alle NTlichen Bücher find benutzt,
diefes felbft empfängt hier die glänzendfte Beftätigung
feines apoftolifchen Alters; Barnabas und Hermas'find
benutzt; Barnabas und Hermas find vielmehr die Aus-
fchreiber; nein, Barnabas ift ausgefchrieben, Hermas aber
hat das Buch benutzt, umgekehrt: Hermas ift ausgefchrieben
, Barnabas aber ift der Spätere; Philo, die Sibyllen
und heidnifchc Moraliften find benutzt; in urapoftolifcher
Einfalt hat der Verf. nur das reine Evangelium wiedergegeben
— Standpunkt: urapoftolifch - judenchriftlich,
nachapoftolifch-judenchriftlich, antipaulinifch, von Paulus
ftark beeinflufst, fadducäifch, vulgär-heidenchriftlich,