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Ausgabe:

1886 Nr. 10

Spalte:

234-236

Autor/Hrsg.:

Merz, Joh.Thdr.

Titel/Untertitel:

Leibniz 1886

Rezensent:

Siebeck, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 10.

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tiven Thatbeftand ausdrücken, dafs für den Chriften die ; zwifchen beiden anfangs ein feharfer gewefen, fo tief-
überfinnliche und die empirifche Welt ein einheitliches flehend ifl die Tonart, die er gegen Ritfehl und Kaftan
Ganzes bilden, indem er die zweite als das Mittel der anfehlägt. Wenn Ritfehl den Terminus Werthurtheil ge-
erfteren kennt, dafs der Gott des chriftlichen Glaubens braucht, wenn Kaftan Schleiermacher's Satz wiederholt,
das Prädicat der die Welt oder Natur fchaffenden und dafs der Erfolg die Legitimation der Methode fei, fo wird
leitenden Caufalität befitzt, dafs die teleologifche und die fofort kirchenpolitifche Heuchelei infinuirt, um von andern
caufale Erklärung des Naturlaufs fich nicht ausfchliefsen, Verdächtigungen der fittlichen und religiöfen Perfönlich-
dafs wir für die ethifchen Aufgaben auf einen erkenn- keit feiner Gegner gar nicht zu reden. Seine Freunde
baren Caufalzufammenhang der Natur rechnen müffen, j wetteifern mit ihm in dem Beftreben, die R.'fche Schule
dafs auch das Seelenleben der caufalen Erforfchung nicht 1 moralifch zu discreditiren. Pfleiderer hat ihm fchon öffent-
entzogen ift. L. wendet fich aber gegen H.'s Formel einer lieh für feine Infinuationen gedankt, und vorausgefagt, wir
doppelten Wirklichkeit: wir hätten nur zweierlei Wege, würden ihm diefelben fchr übel nehmen. Wirklich nicht.
Gewifsheit vom Wirklichen zu erlangen, der einheitliche Die Art, wie L. fich fclbft in diefer Polemik wegwirft,
Weltgrund der Metaphyfik und der Gott des chriftlichen kann nur Spott oder Mitleid erwecken. Auch bei andern
Glaubens, die das eine Malcaufal, das andere Mal teleolo- Gelegenheiten pflegt L. feiner Verflimmung gegen die
gifch betrachtete Welt feien diefelben übjecte. Aber 1 Ritfchl'fche Schule Ausdruck zu geben. Er ift von
er weifs doch fonft, dafs Gott und Welt als übjecte des 1 Ritfchl's Inferiorität fo überzeugt, dafs er deffen Erfolg
Glaubens ganz andere Prädicate haben, als fofern fie Ob- j fich nur aus der kirchenpolitifchen ,Zweckmäfsigkeit' feiner
jecte des Wiffens find. Und ift es denn nicht für den | Theologie erklären kann, ja fich nicht fchämt, aus einem
Glauben eine ftetige Aufgabe, in der Ueberwindung der Schriftchen des ,gciftfprühenden' J. P. Lange mit Behagen
Eindrücke, welche aus der Welt der natürlichen Erfahrung auszufchreiben, der Kitt der R.'fchen Schule fei die gegen-
ftammen, fich die Gewifsheit der höheren Wirklichkeit zu feitige Beräucherung und das Porto, das R. fich's koften
erkämpfen? L. perhorrefeirt H.'s Behauptung, für das rein laffe. L. hat, wie wir fchon einmal fahen, ein kurzes
theoretifche Erkennen fei der Geltungswerth des Sittlichen Gedächtnifs: er hätte folche Dinge wohl nicht nachge-
und Religiöfen Einbildung. Natürlich weifs auch H., was fchrieben, wenn er daran gedacht hätte, wie gewiffenhaft
ihm L. einwendet, dafs dasfelbe ohne Ueberfchreitung j er felbft in den Dogm. Beiträgen die ihm gefpendeten
feiner Grenzen die Frage nicht entfeheiden kann. Wenn ' Lobfprüche regiftrirt hat. Es fcheint manchmal, als ob
L. felbft aber ausführt, dafs die Werthurtheile, welche auf j E. die Exiftenz der R.'fchen Schule als eine Art perfön-
Zweckmäfsigkeitsrückfichten des Individuums beruhen, Hchcr Beleidigung empfinde. Da möchte ich ihm doch
dem rein theoretifchen Erkennen als Fänbildungen gelten, das Räthfel löfen, dafs fo viele jüngere Theologen, die
dafs andererfeits aber auch die mit der Selbftbehauptung i von den vorhandenen Richtungen der Theologie unbe

der Perfönlichkcit in nothwendigem Zufammenhang
flehende Gewifsheit für das Erkennen nur ein caufal zu
erklärendes pfychifches Phänomen ift, fo mufs es doch
wohl ein aufserhalb des theoretifchen Ivrkennens gelegener

friedigt waren, Ritfehl zugefallen find und nicht ihm. Um
diefe nur des Schnitters wartende Ernte einzuheimfen,
dazu gehörte mehr als einzelne treffliche Gedanken oder
Gedankengruppen. Dazu war erforderlich, was Ritfehl

Mafsftab fein, der diefem feine Grenze fteckt, Indem er I bot, einmal ein in fich gefchloffenes Ganzes der theologi-

individuelle Wünfche und allgemeingültige Bedingungen , fchen Anfchauung, welches das feit SchlcicrmachcrGewon-

der Perfönlichkeit unterfcheiden läfst. Endlich fucht L. nene zufammenfafst, welches zugleich die Regel des chrift-

gegen die mit der vorigen gleichwerthigc Behauptung ; liehen Lebens und damit der unmittelbare Mafsftab aller

H.'s, die pfychol. Erklärung des Sittlichen und Religiöfen praktifchen kirchlichen Thätigkeit ift, für das es keinen

fei eine naturaliftifche Entwerthung beider Gröfsen, zu andern Beweis giebt, als den Aufweis der dem religiöfen

zeigen, dafs die Ableitung des fittlichen Bewufstfeins aus Glauben immanenten Gründe feiner Gewifsheit, und fodann

caufalen Beziehungen keineswegs ausfichtslos fei. Er hat die Pcrfpective auf eine Reihe fruchtbarer theologifcher

diefe Erklärung aber nicht weiter geführt (S. 148) als bis Aufgaben. Dafs L. beides nicht bieten konnte, daraus er-

auf den Punkt, den qualitativ auch der dreffirte Hund er- wächft ihm kein Vorwurf, aber wahrlich auch kein Recht,

reicht, dafs man die momentane Befriedigung eines Natur- die Motive einer fehr erklärlichen Erfcheinung im Schmutz

triebe's durch die Vorftellung zukünftiger Befriedigung zu Richen.

eines andern unterdrücken kann. Dafs L. in diefem com- Giefsen. J. Gottfchick
plicirten pfychologifchen Mechanismus, der an der rein

eudämoniftifchen ^SSSR^S^J^ISSSl MerZ' Dr" J°h- Thdr"' Leibniz- Aus dem Englifchen. Heidel-

findet bereits die intclhg b e l'reineit, den liomo noiimawn * ' &

wirkfam fin^ ! befg' We,fs Vcr1' l886- <IV> 222 S" ^ M- 3--

der Bewufstfeins form. Worauf es L. bei der Forderung Der Verfaffer diefer vortrefflichen Schrift, ein wie es

der einheitlichen Weltanfchauung eigentlich ankommt, fcheint in England heimifch gewordener deutfeher Ge-
das ift die Anerkennung, dafs Glaube und Wiffenfchaft lehrter, erwirbt fich um feinen grofsen Landsmann das
nicht in Conflict kommen können, dafs alle fcheinbaren , Verdienft, feine Perfönlichkeit und Philofophie einer ob-
Conflicte auf Uebergriffen beruhen, dafs der chriftliche ; jectiven Würdigung vor den Augen desjenigen Publicums
Glaube uns kein sacrificio deW intclletto zumuthet. Darin zu unterziehen, bei welchem der Anerkennung desfelben
hat er auch unzweifelhaft Recht; nur ift die Grenzbeftim- von dem perfönlichen Streite mit Newton und vielleicht
mung zwifchen Glauben und Wiffen keine fo einfache auch von der pofthumen fachlichen Gegnerfchaft zu
Sache; und fie wird fich nur vollziehen laffen, wenn man Locke her manche Hindernifse im Wege ftanden. In ge-
dem Glauben aus religiöfen Gründen zum Bewüfstfein : drängter Ausführung, aber mit gründlicher Sachkenntnifs
bringt, welches feine wahren Gegenftände find, nicht ; und feinem Blicke für hiftorifche wie philofophifche Oberwenn
man die bei dem fehwankenden Zuftande des : und Unterltrömungen giebt er im erften Theile die ein-
Welterkennens fehr dehnbare, und deshalb für den gellendere Darfteilung von Leibnizens Leben und von
Glauben unannehmbare Forderung erhebt, der Glaube

der Entftehung feiner Philofophie, im zweiten in gedrängter
Faffung, aber von vortheilhaften Ausfichtspunkten her,

folle von diefem fich feine Grenze beftimmen laffen.

Leider hat fich L. es nun nicht verfagen können, I einen Ücberblick über das Svftem
wefentlich mit Beziehung auf diefen Punkt gegen Ritfehl welche äufserlich ganz der üblichen ^M<^&||%
und die ihm fich anfchliefsenden Theologen unabläffig phicgefchichtlicher Handbücher miHlw^nSIJ l r
die fchmählichften moralifchen Verdächtigungen auszu- reinlichen Scheidung des Perfönlichen vom ^X^^^ÜtI
fprechen. So anerkennenswert« es ift, dafl er Herrmann j zu entfprechen fcheint, ^ tf^I^2^S£SS2
Achtung entgegenbringt, trotzdem der Ton der Discuffion Charakter des Ganzen keinen Eintrag lSb^ £