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Ausgabe:

1886 Nr. 10

Spalte:

226-234

Autor/Hrsg.:

Lipsius, Rich. Adelb.

Titel/Untertitel:

Philosophie und Religion 1886

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 10.

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bei zu löfenden Schwierigkeiten. Eine Entwickelung des
Gottesbegriffes in der prophetifchen Zeit vermag K. ,trotz
der entgegengefetzten Anficht Baudiffin's' nicht zu erkennen
. Der abfolute Monotheismus beffeht nach ihm
fchon in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts, Beweis: Dt.
4,28 — die falfche Abgrenzung des Deuteronomiums Jo-
fia'sftelltdem Verf. auch anderwärts ein Bein —, dann Hab.
2,18 ff, welche Stelle fecundär ifl, und der Vers Jer. 2,27,
deffen Beziehung auf Afchere und Maffcbe K. nicht ver-
fteht. Die Zeit vom Ende des Exiles bis zur Zerftörung
des zweiten Tempels wird in den beiden Epochen der
Eixirung der gewonnenen Erkenntnifse (sie) und der
Zerfetzung des Mofaismus unter auswärtigen Einflüffen
abgehandelt. S. 5 wird H. Schultz vorgeworfen, er werde
der hiftorifchen Auffaffung nicht gerecht, weil er überhaupt
die Religionsideen der Israeliten nach ihrem bleibenden
Wcrthe für die chriftliche Dogmatik [sie) beur-
theile und unter diefem Gefichtspunkte darfteile. Ich
furchte, es ift nicht nur der Kirche, fondern auch der
Wiffenfchaft mit der Hiftoricität übel gedient, welche
fich in diefem Vorwurfe geltend macht.

Ich zweifle natürlich keinen Augenblick, dafs der
Verdorbene bei öfterer Wiederholung diefer Vorlefung
fleh in die Materien foweit eingearbeitet haben würde,
um diefe Disciplin fruchtbringend zu bebauen, finde
es aber fchwer erklärlich, dafs man ein dürftiges
Collegienheft dem gröfseren Publicum vorgelegt hat.
Dem Andenken defsclben wird es noch weniger förderlich
fein, als demjenigen eines der genialden Progonen modern-
chrifllicher Auffaffung des Alten Teflaments die kahlen
Excerpte zu Pentateuch und Jofua dienlich gewefen
find, welche Unberufene unlängd als das letzte Wort
desfclben veröffentlicht haben. Dafs es Gedalten der
Graf'fchen Hypothefe gibt, welche für eine erfpriefs-
liche Behandlung der imA. T. zu löfenden theologifchen
Fragen wenig verfprechen, ift ja doch nichts neues. Hoffen
wir daher, dafs andere Proben kommen, welche ein gün-
ftigeres Urtheil über den Belang und den Werth der
Graf'fchen Hypothefe für die chriftliche Theologie ermöglichen
.

Giefsen. Bernhard Stade.

Vickers, John, The history of Herod; or, another look at
a man emerging from twenty centuries of calumny.
London, Williams 8z Norgate, 1885. (XXVII, 361 p.
8.) Cloth.

Wie fchon der Titel andeutet, haben wir es hier mit
einer ,Rettung' zu thun. Der edle Merodes ift zwei Jahrtaufende
lang fchrecklich verleumdet worden, und der
Verfaffer fühlt fich verpflichtet, feine Ehre endlich her-
zuftellen. Es geht bei diefem Verfuche wie bei allen
ähnlichen. Nachdem man bisher alles fchwarz gemalt
hat, fleht der Verfaffer faft überall Licht und Sonnen-
fchein. Seine Charakteriftik des Herodes läfst fich in
die Worte zufammentaffen, mit welchen Tacitus den
Antiochus Epiphanes charakterifirt: er hat fich bemüht,
den Juden ihren Aberglauben zu nehmen und ihnen grie-
chifche Cultur beizubringen, ift aber durch die Umftände
verhindert worden, das widerliche Volk cultivirter zu
machen (Tac. Hist. V, 8: rex Antiochus deniere supersti-
twncni et mores Graecorum dare adnisus, quo minus taeter-
rintatn erentem in melius mutaret, Parthorum hello proki-
bitus est). Herodes hatte fowohl auf dem Gebiete des
bürgerlichen Lebens, als auf religiöfem Gebiete die beften
Abfichtcn: in erfterer Beziehung bemühte er fich ernft-
lich, auch dem jüdifchen Volke die Segnungen der Cultur
zu Theil werden zu laffen (S. 75—121), in letzterer Beziehung
vertrat er den Standpunkt der Toleranz, ähnlich
wieSalomo und wie manche moderne Juden (S. 122 — 160).
Wenn es darüber zu Conflicten kam, fo trägt die Schuld
nicht er, fondern die Befchränktheit und der Fanatismus

des jüdifchen Volkes. Dafs er unter Umftänden graufam
fein konnte, ift zwar nicht zu leugnen. Aber feine Grau-
famkeit, wenn man von einer folchen fprechen darf,
glich im fchlimmften Falle der eines gereizten Soldaten,
der in einem Handgemenge um fich fchlägt und dabei
zwei oder drei tödtet, die nicht gerade die fchuldigften
find (S. 162). Jedenfalls war er nicht fchlimmer als
David (S. 165 f.). Zu den zahlreichen Hinrichtungen in
feiner eigenen Familie aber ift er durch die Verhältnifse
mehr oder weniger gedrängt worden (S. 216—3°°)-

An diefen Ausführungen ift natürlich fehr viel wahres.
Ja man darf fagen: die gegebene Charakteriftik kommt
der Wahrheit viel näher als das in der chriftlichen Tradition
herrfchende Bild von Herodes als einem blutdürftigen
Tyrannen. Aber der Verfaffer fchlägt fich doch
felbft, indem er gelegentlich den Herodes mit Peter dem
Grofsen vergleicht (S. 298 f.). Eben weil diefer Vergleich
in mancher Hinficht treffend ift (abgefehen von
den kleineren Verhältnifsen, in welchen Herodes ftand),
darum ift das Urtheil des Verfaffers über Herodes zu
günftig. Herodes war in der That ein ebenfo roher
Charakter wie der grofse Reformater des ruffifchen
Reiches.

Giefsen. E. Schür er.

The English Historical Review edited by the Rev. Mandell
Creighton, M. A., LL. D., Dixic Professor of Ecclesia-
stical History in the University of Cambridge. London,
Longmans, Green, and Co, 1886. No I, January 1886.
(208 pp. in Imp.-8.) Price 5 Shillings.

England entbehrte bisher einer hiftorifchen Revue im
grofsen Stil. Diefe neue Zeitfchrift, der die beften eng-
lifchen Hiftorikcr ihre Mitarbeiterfchaft zugefagt, und die
vierteljährlich erfcheinen foll, wird diefe Lücke ausfüllen.
Dafs dabei die Kirchengefchichte nicht vernachläffigt
i werden wird, dafür bürgt der Name des Herausgebers
und der Inhalt des erften Heftes. Dasfelbe enthält — in
mufterhafter Ausstattung — 6 Rubriken: 1. Articles; 2. Notes
andDocuments; y. Reviews of Hooks; 4. JMiscellaneous Notes;
5. List of Historical Books recently puhlishcd; 6. Contents
of Periodical Publications. An der Spitze der ,Artikel' fteht
nach einer Einleitung des Herausgebers, in welcher die
Aufgabe und der Zweck der neuen Zeitfchrift dargelegt
wird, eine ebenfo gelehrte wie geiftvolle Abhandlung des
Lord Acton: ,Gcrman Sc/tools of History'. Der berühmte
Verfaffer, der in Deutfchland und Frankreich ebenfo zu
Haufe ift wie in England, fchildert hier die Gefchichte
der modernen Gefchichtsfchreibung in Deutfchland. Nicht
als Schmeichler, fondern als unparteiifcher Freund hält
er uns den Spiegel vor, und indem er zeigt, was die
Gefchichtsfchreibung Deutfchland verdankt, zeigt er zugleich
, was der deutfehen Gefchichtsfchreibung fehlt. Es
wäre fehr zu wünfehen, dafs diefer Artikel — die Ueber-
fülle des Stoffs ift vielleicht fein einziger P"ehler — bei
uns bekannt und beherzigt werde. Es folgen Artikel von
Provost of Oriel {Homer and the early history of Greece),
Free man {The Tyrants of Britain, Gaul, and Späth —
zur Zeit der Völkerwanderung), Seeley {The house of
Bourbon) und von einem Anonymus {Notes on the Greville
Memoirs). Wenn die folgenden Hefte fich auf der Höhe
diefes erften halten, fo wird die Review eine hiftorifche
Zeitfchrift erften Ranges werden.

Giefsen. A. Harnack.

Lipsius, Rieh. Adelb., Philosophie und Religion. Neue Beiträge
zur wiffenfehaftlichen Grundlegung der Dogmatik.
[Aus: Jahrbb. f. proteltant. Theol.'] Leipzig, Barth,
1885. (IV> 319 S. gr. 8.) M. 5.—

Zur Wiederaufnahme der in den ,Dogm. Beiträgen'
von 1878 erörterten Fragen hat fich L. dadurch bewogen

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