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Ausgabe:

1886

Spalte:

224-225

Autor/Hrsg.:

Kayser, Aug.

Titel/Untertitel:

Die Theologie des Alten Testaments 1886

Rezensent:

Stade, Bernhard

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Theologifche Literaturzeitung. i88ö. Nr. 10.

224

In nicht wenigen Punkten haben uns freilich die I
Aufhellungen H.'s zu Zweifeln oder auch zu entfchiede-
nem Widerfpruch herausgefordert. So wenn S. VIII der !
Hymnus aus der Liturgie für den Verföhnungstag (Nr. XII
unter den Texten) als vermuthlich ,fehr alt' bezeichnet
wird. Da H. fortfährt: ,dann giebt es Texte, in denen
das nachexilifche Hebräifch nicht zu verkennen ift', fo
fcheint er bei ,fehr alt' fogar an vorexilifches Hebräifch
zu denken. Aber felbft wenn wir mannigfache Verderb-
nifs des urfprünglichen Textes annehmen, vermögen wir
in der Sprachgeftalt des fraglichen Hymnus (S. 22) nur
ein künftlich nachgebildetes Neuhebräifch zu erkennen.
Man vergl. z.B. die erste Zeile: ISimblp »ttiö tP313lnfi pn!
Das Althebräifche kennt nicht den Plural QiiUn und
hlblp findet fich nur in der Bedeutung ,Donnerfchläge'.
Auch Q^am "CS = ,ein barmherziges Antlitz', HX ach
(V. 7), b2p annehmen, IS^Cmti unfere inliegen, 1 für
"1©X fehen nicht gerade ,fehr alt' aus. — Für einen ganz
unglücklichen Einfall müffen wir die Behauptung auf
S. XIII erklären, dafs fich die Samaritaner in der erften
Periode (d. h. ca. von Esra 4, 2 an) nur dem Namen
nach von den Sadducäern unterfchieden hätten. Dem
entfprechend follen die Pharifäer ,wohl im Chaldäerland
entftanden fein' und eigentlich die parischim oder ,Aus- j
leger' vorftellen. Als folche beabfichtigten fie nach S. XIV
das Volk vom einfeitigen Opfercultus abzulenken und j
die Ausübung des Gefetzes als Erfatz darzubieten, während
Ezechiel durch feine grofsartige Befchreibung des
zukünftigen Tempels und der heiligen Stadt das erharrte '
Verlangen des Volkes nach Jerufalem zu beleben ftrebte.
Mit diefen Hypothefen hängen dann anderweitige Mifs-
griffe zufammen: fo follen nach § 7 die Pharifäer für |
die aramäifche, die Sadducäer für die hebräifche Sprache
geeifert haben; nach § 8 ftimmte auch die Eschatologie
der Sadducäer und Samaritaner überein, da ja auch die |
erfteren nur den Pentateuch als heilige Schrift hätten |
gelten laffen. Die Gründe, die H. für letztere Behaup- j
tung vorbringt, haben uns ebenfowenig zu überzeugen j
vermocht, wie der Nachweis S. XXII sq., dafs der hebr.-
famarit. Text in einer Reihe von Fällen durch den Text
des Onkelos gewährleiftet werde, oder der Nachweis I
S. XXIX, dafs die Rede des Stephanus auf die Sadducäer
und fo indirect auf die Samaritaner berechnet ge-
wefen fei und auch wirklich Einflufs auf die letzteren j
ausgeübt habe. Aber die von H. angenommene Beziehung
der famaritan. Liturgie auf die von Stephanus
citirte Stelle Jef. 66, 1. 2 ift ganz unhaltbar. Auch die
Berührungen zwifchen Samaritanismus und Effäismus
(§ 12) mögen auf fich beruhen; wohl aber hat H. (g 15)
gnoftifche Einflüffe auf die famarit. Liturgie ziemlich
überzeugend nachgewiefen. Minder nothwendig fcheint
uns wiederum die Annahme (S. XLIX), dafs die übertriebenen
monptheiftifchen Ideen in der famarit. Liturgie
der dritten Periode muhammedanifchen Schriften entnommen
feien. Vielleicht läfst fich der Herausgeber
durch die im Vorftehenden geäufserten Bedenken be-
ftimmen, die angekündigten Noten zu dem Text der Liturgie
einer nochmaligen Revifion zu unterwerfen.

Zum Schlufs möchten wir noch einer Thatfache gedenken
, die unferes Wiffens bisher unbeachtet geblieben
ift und auch von H. mit Stillfchweigen übergangen wird.
Bekanntlich berichtet Theodoret (quaest. XV in Exod.),
die Samaritaner hätten das Tetragramm laßi ausge-
fprochen. Diefe Angabe findet ihre Betätigung durch
den Umftand, dafs in der von H. unter Nr. XIV mitge-
theilten Schirä eines gewiffen Abraham ben Jakob gleich
in den beiden erften Zeilen mm auf S"1X'"I reimt. Allerdings
flehen über in1' Punkte, aber dieselben fcheinen
nicht die Lesart felbft zu verdächtigen, fondern follen
wohl nur vor unbedachtem Ausfprechen des Tetragramms
warnen. Oder fordern die Punkte die Ausfprache adoni,
indem alle weiteren Reime mit einer Ausnahme auf i
ausgehen? Wir würden unter diefen Umftänden auf die

ganze Stelle kein Gewicht legen, wenn nicht S. 54 in
der Schira Nr. XVII mm wiederum (und zwar ohne
Punkte) als Reimwort in einem Abfchnitt ftände, in welchem
alle mit Sicherheit zu lefenden Reime auf Segol
ausgehen. Hier dürfte alfo ein ficherer Beleg für die Ausfprache
Jalnve zu erblicken fein.

Tübingen. E. Kautzfeh.

Kayser, Prof. Aug., Die Theologie des Alten Testaments,

in ihrer geschichtlichen Entwicklung dargeftellt. Nach
des Verfaffers Tode hrsg. von Ed. Reufs. Strafsburg,
Schmidt, 1886. (XII, 264 S. gr. 8.) M. 3,60.

Auguft Kayfer's Name ift in ehrenvoller Weife mit
der Bewegung verflochten, durch welche in unferen
Tagen ein von der jüdifchen Tradition unabhängiges und
den Bedürfnifsen chriftlicher Wiffenfchaft genügendes Ver-
ftändnifs der Entftehung und Bedeutung des vorchrift-
lichen Judenthums angebahnt worden ift. Und die Sympathie
für den vor Erreichung eines höheren Alters
Heimgegangenen mufs noch wachfen, wenn man aus der
Vorrede diefes Büchleins erfährt, durch welche fchwere
äufsere Hemmungen fich derfelbe hat hindurcharbeiten
müffen. Wir Jüngere, welchen Gott es früh gefchenkt
hat, ungeftört durch folche Hinderniffe für diefe Studien
mit voller Kraft wirken zu dürfen, lernen daraus von
neuem, wie grofsen Dank wir dafür fchulden, und fehen
wieder, wie viele andere Hemmungen es noch gibt, als
theologifchen, an Trieben romantifcher Herkunft fich nährenden
, Unverftand und kirchenpolitifche, auf dieZuftände,
wie fie uns in der modernen katholifchen Kirche zur
Warnung vor Augen flehen, zufteuernde Hetze. Um fo
mehr aber mufs man es bei diefer Sachlage bedauern, dafs
Kayfer's nachgelaffenes Heft über altteftamentifche Theologie
herausgegeben worden ift. Dafs die biblifche Theologie
des A. T.'s eine Wiffenfchaft der pofthumen Werke
d. h. aber zugleich eine noch fehr unvollkommene ift,
entfchuldigt dies nicht. Denn es ift der erfte, auf ein
fehr tiefes Niveau herabfteigende und noch völlig an der
Oberfläche haftende Entwurf zu einer Vorlefung und zeigt
nicht nur alle diejenigen Schwächen, welche einem folchen
erften Entwürfe zu einem Hefte gewöhnlich eignen, fondern
führt auch den Beweis, dafs K. eine klare Vor-
ftellung der bei feiner Arbeit zu löfenden Probleme nicht
befeffen und die zur Löfung derfelben nöthigen Vorarbeiten
nicht unternommen hat. Die Kritik der Refte
der prophetifchen und hiftorifchen Literatur der alten
Israeliten fteckt noch in den Kinderfchuhen, die hier zu
hebenden Schätze ahnt der Verf. auch nicht von weitem
, Pentateuchkritik, aber noch im Groben betrieben,
ift das einzige von Kritik, worüber er, wenigstens nach
diefem Büchlein zu urtheilen, verfügt. Die Eünficht in das
Wefen der Religion und die Kenntnifs der Religions-
gefchichte, welche wir in demfelben antreffen, vermag
ich leider nicht höher zu werthen.

Als Beleg für diefes Urtheil, welches ich zu meinem
Bedauern abgeben mufs, mögen einige Proben genügen.
Der mofaifchen Religionsftiftung eignet nach K. von Anfang
an die Bundesvorftellung — welche fich feit dem
7. Jahrhundert nachweifen läfst. Der mofaifche Gottesbegriff
ift nachK. derjenige der allmächtigen Perfönlich-
keit — wie fich damit die Vorftellung vom Landesgotte
und der alte Cult verträgt, wird nicht gefragt. S. 44
findet fich mit Bezug auf den Dekalog wirklich der Satz:
,die Religions- und Sittengebote find fo einfach und
allgemein, dafs wir fie auf ihn (Mofe) zurückführen müffen'
— was würde man zu dem Satze fagen: ,diefes politifche
Strategem ift fo einfach und allgemein, dafs wir es auf
denFürftenReichskanzler zurückführen müffen'? Man fieht
hier den guten Willen, die religiöfe Bedeutung der Perfon
Mofe's festzuhalten, vermifst aber die Einficht in die da-