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Ausgabe:

1886 Nr. 9

Spalte:

211

Autor/Hrsg.:

Kolatschek, Jul

Titel/Untertitel:

Eine Missionsreise nach Sarajevo 1886

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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211

Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 9.

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tungen letzthin als Exempel für die geringe Bücherkaufluft
des theologifchen Publicums mittheilten, dafs von den
bisherigen Bänden noch nicht fünfzig Exemplare abgefetzt
feien, fo wird darauf zunächft wenig zu hoffen fein.
Man follte diefe Thatfache niedriger hängen. Freilich
dient in diefem Falle zur Entfchuldigung, dafs diefe
Predigten in der vorliegenden Form nur für den Forfcher
Intereffe haben dürften, und dafs die Intereffenten ihre
Exemplare erhalten, dafür forgt die finnlofe Gewohnheit
der Verleger, an eine Unzahl Blätter und Zeitungen
Recenfionsexemplare zu fenden, anftatt fich auf die Fach-
zeitfchriften zu befchränken und fonfc durch Inferate für
Verbreitung zu forgen. Es liegt ficher im Intereffe der
Autoren und Verleger, dafs hier Wandel gefchafft wird.

Erlangen. Th. Kol de.

Kolatschek, Pfr. Dr. Jul., Eine Missionsreise nach Sarajevo

in Bosnien. Agram, Suppan, 1886. (32 S. gr. 8.) M. —.50.

Im October 1884 unternahm Dr. Kolatfchek feine
erlte ,Miffionsreife' nach Bosnien, um die dort wohnenden
Evangelifchen aufzufuchen. Im September v. J. begab er
fich, vom Centralvorftande der Guftav-Adolf-Stiftung in
Leipzig unterftützt, zum zweiten Male dahin und kam
jetzt bis in die Hauptftadt des Landes, nach Sarajevo.
Seine Erlebnifse auf diefer Fahrt erzählt der Verf. fehr
anziehend, der freundlichen Aufnahme, die ihm faft durch-
gehends zu Theil wurde, gedenkt er mit herzlichen Worten.
In Banjaluka gelang es, die erfte evangelifche Gemeinde
Bosniens förmlich zu begründen, in Sarajevo die Evangelifchen
: Lutheraner, Reformirte, Unirte und Anglikaner
in eine ,proviforifch conftituirte', evangelifche Gemeinde
zu fammeln. Einige dort angefiedelte ,Nazarener' verweigerten
natürlich den Beitritt. Die Seelenzahl aller,
über 13 Ortfchaften zerftreuten Evangelifchen Bosniens
beträgt nach der auf der letzten Seite des auch äufser-
lich hübfeh ausgeftatteten Schriftchens gegebenen, ftati-
fhfehen Ueberficht 181 Seelen.

Das Büchlein, deffen .Reinerträgnifs' für die ,Palto-
ration der evang. Diaspora in Bosnien' beftimmt ift, bietet
reichhaltigen Stoff zu Mittheilungen auf Jahresfeften des
Guftav-Adolf-Vereins und fei daher befonders zu diefem
Zwecke angelegentlich empfohlen!

Crefeld. F. R. Fay.

Class, Prof. Dr. G., Ideale und Güter. Unterfuchungen
zur Ethik. Erlangen, Deichert, 1886. (VI, 188 S. gr. 8.)
M. 3- -

Eine von der gewöhnlichen abweichende Auffaffung
der Aufgabe der Ethik und einen neuen Mafsftab
für die Beurtheilung der ethifchen Erfcheinungen
fucht der Verf. diefes gut und klar gefchriebenen kleinen
Buches zu gewinnen. Beides hängt für ihn eng zufammen,
und er fucht es feftzuftellen, indem er uns zuerft feine
Gefammtanficht des höheren Menfchenthums,
fodann die Grundbegriffe, endlich die Probleme der
Ethik vorlegt. — Die Ethik ifl ihm nicht praktifche
Philofophie. Wohl kann der Ethiker auch praktifch
wirken; aber das ift ein Nebenerfolg, nach dem er nicht
zu ftreben hat. Auch wird dabei mehr die Perfönlich-
keit des Philofophen als feine Philofophie wirken. Sie ift
Wiffenfchaft und hat zu ihrem Gegenltande den ge-
fammten fachlichen Gehalt des höheren Menfchenthums:
Religion und Sittlichkeit, Recht und Cultur. Sic
beginnt befchreibend, erhebt fich zum Begreifen, und
fteigt auf zum Beurtheilen. Dabei ift ihr das Individuelle
wie das Technifche gleichgültig; das Objective
intereffirt fie, fofern in ihm der Pulsfchlag des Lebens
noch fpürbar ift, — fofern es durch bewufste menfehliche
Arbeit entftanden ift und nur durch folche Arbeit erhalten
werden kann. Sie bedarf der Mafsftäbe für ihr
Urtheil, intereffirt fich alfo auf dem ganzen angegebenen

Gebiete für die Verknüpfung des Höheren und Niederen.
Diefe Mafsftäbe aber will der Verfaffer gewinnen, indem
er das Verhältnifs von Idealen und Gütern entfaltet.
Herr Clafs geht von der allgemeinen Annahme aus,
1 dafs in den oben genannten Gebieten fich das höhere Men-
; fchenthum darfteile, und fucht zunächft für die in denfelben
i auftretenden Imperative nach dem niedern Menfchen-
! thum, welchem geboten wird. Der blofse Gegenfatz
| kann hier nicht zum Ziele führen. Ausgedehntere Ge-
j biete ganz ohne Recht und Moral, ohne Religion und
Cultur kommen nicht vor. Und wenn auch in dem Einzelnen
die anomiftifche, die irreligiöfe und die cultur-
feindliche Gefinnung fchwächer oder ftärker aufgezeigt
werden kann, fo kann diefelbe wohl bekämpft, aber nicht
gelenkt werden. Alfo diefe aus dem Egoismus flammende
Richtung, welche den Menfchen frei aber arm macht,
kann nicht das für die Ethik gefuchte niedere Menfchen-
thum fein.

Wir muffen es in der pofitiven Gruppe der reich
machenden Gebundenheit fuchen. Auch hier fucht der
Menfch felbftverftändlich fein eigenes Intereffe wahrzunehmen
. Hier macht es nun einen wefentlichen Unter-
fchied, ob man die fittlichen Gebiete als indirecte Befriedigungsmittel
anficht, d. h. fie felbft für gleichgültig
haltend in ihnen nur Mittel für Anderes ficht, — oder als
directe Befriedigungsmittel, d. h. fie als Zweck und Mittel
zugleich betrachtet. Moral und Recht, Religion und Cultur
können in beiderlei Sinn behandelt werden. Aber die
höhere, allgemeiner gültige Richtung ift da, wo das letztere
gefchieht, wo man in der Culturbethätigung der eigenen
Kräfte felbft Befriedigung findet, wo man an den Rechts-
inftitutionen, an ihrer Aufrechterhaltung und Förderung,

; an der fittlichen Ausbildung der Perfönlichkeit, an der

1 religiöfen Erhebung der Seele felbft feine Freude fucht.
Auf diefem ganzen Gebiete giebt es Imperative;
denn es foll die Wohlfahrt des Einzelnen und der Ge-
fammtheit erreicht werden, — mag man nun blofs fich

| felbft, oder fich in dem Berten der Gefammtheit
wollen. Aber ein urfprüngliches Gebieten giebt es

1 hier nicht, — am wenigften, wo indirecte Befriedigung
gefucht wird. Dafs fich dennoch folche Imperative feit
und zäh halten, erklärt fich daraus, dafs die Menfchheit
eben nicht eine ihre Lebensgrundfätze mit Bewufstfein
bildende Perfönlichkeit ift, fondern von führenden Geiftern,
von den Grundfätzen der Vergangenheit und von der
hergebrachten öffentlichen Meinung beftimmt wird. Eine
Ethik, die nur mit diefem Gebiete rechnen würde, d. h.
mit dem Principe der Güter, dürfte alfo ein unbe-

| dingtes Gebieten überhaupt nicht annehmen.

Giebt es nun ein unbedingtes Gebieten? Der Verf.

I bejaht die Frage. Er findet fchon in dem allgemeinen
Abfcheu gegen gewiffe Frevel, findet in dem Wirken für

I das Gute gegen den eigenen und der Gemeinfchaft Nutzen,
in den Gewiffensconflicten, wenn der Menfch aus den

j Vorausfetzungen, die ihn umgeben, heraustritt, aber auch
in der reinen Hingabe an das Gute felbft, den Beweis,
dafs die fundamentalen Imperative ganz ohne utilitarifche
Gefichtspunkte in .eigenem Lichte' leuchten, dafs in ihnen
ein rein urfprüngliches Element vorliegt. Wohl empfindet,

l wer diefen Imperativen folgt, zugleich als Folge die reinfte
Befriedigung. Aber wer nach diefer Befriedigung
ftrebt, der kann fich gar nicht rein hingeben. In dem

! reinen Soll des Berufs, in der religiöfen Myftik, in dem

I reinen Rechtsgefühl fieht der Verf. Erfcheinungen, die

j für diefes unbedingte, allgemeingültige Gebieten zeugen.
Diefe als geiftige Anfchauungen lebenden, nur
durch den Glauben wirkfamen Auffaffungen der
menfch liehen Belli mmung nennt er Ideale. Sie
können nicht willkürlich producirt werden. Wo fie aufgehen
, da ift der einzige Augenblick des fittlichen Gebiets
, der nicht unter den Begriff der Arbeit fällt. Ihr
Dafein ift Gebieten. An fie glauben, heifst innere Bejahung
deffen, was fein foll.