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Ausgabe:

1886

Spalte:

1-6

Autor/Hrsg.:

Franke, A. H.

Titel/Untertitel:

Das alte Testament bei Johannes 1886

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 1. 9. Januar 1886. 11. Jahrgang.

Franke, Das Alte Teftament bei Johannes
(Schürer).

Müller, Aug., Der Islam im Morgen- und Abendland
. 1. Hand (von Gutfchmid).

c ... „ i>-ri n. jj Kugler, Albert von Aachen (Socin).

P, , BrlCf d6S Pet™S Und dCr Mejer, Zur Gefchichte der römifch-deutfchen

Judasbnef (Holtmann). ^£ ^ ^ ? ftfc (A. Ritfehl).

Gerhardi, Joa., Loci theologici (Kattenbufch).
Eucken, Prolegomena zu Forfchungen über die

Einheit des Geifteslebens (Siebeck).
Koch, Grundrifs der Philofophie (Härtung).
Wafferfchieben, von, Anti Nordau (Härtung).

Franke, Privatdoz. Lic. A. H., Das alte Testament bei

Johannes. Ein Beitrag zur Erklärung und Beurtheilung
der johanneifchen Schriften. Göttingen, Vandenhoeck
& Ruprecht's Verl., 1885. (V, 316 S. gr.8.) M. 6. —

Bei den kritifchen Verhandlungen über das Evangelium
Johannis ift ein Punkt im Durchfchnitt nicht mit
derjenigen Aufmerkfamkeit behandelt worden, die ihm
gebührte: die Beziehungen des Evangeliums zum Alten
Teftamente, namentlich die altteftamentlichen Grundlagen
feines Gedankenkreifes. Der Einzige, der dies letztere
Thema in eingehenderer Weife erörtert hat, ift Bernhard
Weifs in feiner Darfteilung des johanneifchen Lehrbegriffs
(S. IOI—191). In der Regel aber ift fowohl von
den Gegnern als von den Vertheidigern der Echtheit
diefe Seite der kritifchen Aufgabe hinter anderen zuruck-
geftellt worden. Namentlich Baur und feine unmittelbaren
Schüler haben zu einfeitig den helleniftifchen
Charakter des Evangeliums betont und darüber die
Parken Berührungen mit dem religiöfen Gedankenkreis
des Alten Teftamentes verkannt. Andere haben zwar
diefe Berührungen mit grofsem Eifer aufgefucht, find
aber dabei über das Ziel hinausgefchoffen, indem fie in
zuchtlofem Allegorifiren maffenhafte Berührungen fanden,
die nicht exiftiren. Das gilt in gleicher Weife von den
beiden Antipoden Hengftenberg und Thoma. Es
war demnach ein glücklicher Gedanke des Verfaffers
der vorliegenden Monographie, eben jenes Thema zum
Gegenstand einer fpeciellen Unterfuchung zu machen;
und er hat fich zur Behandlung desfelbcn in der gründ-
lichften Weife ausgerüstet: die knapp gehaltene Ueber-
ficht über die Literatur in der hänleitung (S. I—9) zeigt,
dafs er die johanneifche Literatur feit Anfang unferes
Jahrhunderts «forgfältig durchforfcht und fich nichts hat
entgehen laffen, was irgend zur Löfung feiner Aufgabe
verwerthet werden konnte. Die Behandlung des Thema's
ift daher auch — man darf fagen — eine erfchöpfende.

Bei aller Anerkennung der aufgewendeten Sorgfalt
mufs aber doch von vornherein gefagt werden, dafs
auch der Verfaffer über das Ziel hinausgefchoffen ift;
und zwar deshalb, weil er feiner Arbeit ein direct apologe-
tifches Ziel gefleckt hat. Er will einen Beitrag liefern
zur Vertheidigung des johanneifchen Urfprungs des Evangeliums
, und will zu diefem Zwecke zeigen, dafs der
Evangelist mit feiner ganzen religiöfen Bildung lediglich
und direct auf dem Boden des Alten Teftamentes fteht
und von allen helleniftifchen Iiinflüffen völlig frei ift.
Wer aber zu viel beweifen will, beweift bekanntlich
nichts; und fo ift es, fürchte ich, auch dem Verfaffer
ergangen. Der Beweis, auf welchen es ihm ankommt,
ift entfehieden mifslungen. Das fchliefst aber nicht aus

Mafse er vom Hellenismus beeinflufst ift. Um diefes
Umftandes willen wird alfo das Buch einen bleibenden
Werth behalten, auch wenn fein nächster Zweck nicht
erreicht ift.

Die Unterfuchung umfafst drei Haupttheile: I:
Die Stellung des Johannes zum alten Bunde (S. 10—88),
II: Die altteftamentlichen Grundlagen des johanneifchen
Lehrbegriffs (S. 89—254), III: Das alte Testament in der
Darfteilung des Johannes (S. 255—316).

Der erste Haupttheil zerfällt wieder in drei Ab-
fchnitte: I: Die Stellung des Johannes zum Volke des
alten Bundes, 2: Die Stellung des Johannes zur Offenbarung
des alten Bundes, 3: Die Stellung des Johannes
zur Schrift des alten Bundes. — In dem erften Ab-
fchnitte wird namentlich die Thatfache befprochen, dafs
im vierten Evangelium die Juden geradezu als Reprä-
fentanten des Unglaubens erfcheinen. Es wird ausgeführt
, dafs aus diefem Umstände nicht auf eine feind-
felige Stimmung des Verfaffers gegen das jüdifche Volk
überhaupt gefchloffen werden dürfe, dafs im Gegentheil
gerade in diefem Umstände fich das Intereffe des Apostels
für fein Volk kund gebe. Der Unglaube eines
grofsen Theiles der Juden gegenüber der Heilsbotfchaft
Christi ift dem Apoftel ein fchweres, fchmerzliches Problem
, und er nimmt auf diefe Thatfache deshalb fo
eingehend Rückficht, weil er zeigen will, wie es dazu
gekommen fei (S. 11—20). Die Richtigkeit diefer Erklärung
mag dahingeftellt bleiben. Von Belang ift ja
nur die Frage, ob der Verf. des Evangeliums ein geborener
Jude gewefen fein könne. Und diefe Frage darf
in der That, wie mir fcheint, trotz der antijudaiftifchen
Stellung des Verfaffers bejaht werden. Für die Ent-
fcheidung der Echtheitsfrage ift aber damit nicht viel
gewonnen. — Von gröfserer Bedeutung ift die Stellung des
Evangeliften zur Offenbarung des alten Bundes. Was
Franke in diefer Hinficht ausführt, wird fehr wefent-
licher Berichtigungen bedürfen. Man kann feine Auf-
faffung wohl kurz dahin zufammenfaffen, dafs er die
falfcheUeberfchätzung der altteftamentlichen Offenbarung,
die herkömmlicher Weife für orthodox gilt, auch dem
Evangeliften vindicirt. Diefe falfche Ueberfchatzung führt
dahin, dafs einerfeits zwifchen der Religion Ifraels und
den aufserifraelitifchen Religionen eine abfolute Scheidewand
gezogen wird, andererfeits aber der Unterfchied
zwifchen der altteftamentlichen und der christlichen Offenbarung
verkannt wird. Es gilt als orthodox, gerade den
fpeeififchen Werth der christlichen Offenbarung im Unterfchied
von der altteftamentlichen zu negiren. Und Franke
verwendet viel Mühe darauf, diefen Standpunkt wenig-
ftens annähernd auch als den des Evangeliften zu er-
weifen, während umgekehrt gerade unfer Evangelium

dafs feine Arbeit eine Fülle brauchbaren Materiales ent- feinen echt chriftlichen Charakter darin bewährt, dafs es
hält für eine unbefangene Erwägung der Frage, in den einzigartigen Werth der vollen Offenbarung Gottes
welchem Mafse der Gedankenkreis des vierten F)vangeliums ; in der Perfon Jefu Christi mit den fchärfften Accenten
auf altteftamentlicher Grundlage ruht, und in welchem I betont. Das Evangelium ift alfo viel chriftlicher als
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