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Ausgabe: | 1886 |
Spalte: | 197-200 |
Autor/Hrsg.: | Wendt, H.H. |
Titel/Untertitel: | Die Lehre Jesu. 1. Thl 1886 |
Rezensent: | Holtzmann, Heinrich Julius |
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Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 9.
Wenn aber der Verf. den einzigen Anftofs gegen die
Gefchichtlichkeit des apokryphen Abfchnittes Dan. 14
durch den Nachweis einer infchriftlichen Nachricht meint
befeitigt zu haben, wonach Cyrus täglich zu Bei und Ncbo
zu beten behauptet, fo unterfchätzt er doch die Einficht
auch des fchlichten Bibellefers. Und wenn er die Bücher
Judith und Tobias ohne weiteres als gefchichtlich glaubwürdig
in den Zufammenhang einreiht (S. 1), fo fragt man
billig, wie er denn ihren Inhalt mit dem der Infchriften
vereinigen will. Warum nimmt er den grofsen Heereszug
des Holofernes im 13. Jahre Ncbukadnezar's, des Königs
von Affyrien, der zu Ninive regierte, nicht in feinen ausführlichen
Bericht über die Beziehungen der Euphrat-
und Tigris-Länder zu Paläflina auf? Verf. läfst fich S. 245
zu dem Zugeftändnifs herbei, ,dafs die Zeitangaben in den
Königsbüchern der Heiligen Schrift eine Anzahl offenbarer
Schreibfehler enthalten'; angenehm berührt auch
die Bemerkung S. 218, dafs die Vulgata Nah. 3, 8 ftatt
Theben ,unglücklicherweife Alexandria überfetzt'. Aber
damit ift es doch nicht gethan, man darf nicht Mücken
feigen und Kameele verfchlucken. Gewifs erfährt die
Bibel durch die affyrifch-babylonifchen Infchriften manche
willkommene Beftätigung, aber doch nur als Gefchichts-
quelle wie andere auch, die hier verhältnifsmäfsig rein,
dort trüber fliefst, nicht aber als die unfehlbare Quelle
der kirchlichen Orthodoxie, etwa gar nebft all dem Zubehör
, den die katholifche Kirche noch daran hängt.
Wenn der Verf. in fo feierlicher Weife, wie es S. 246 ge-
fchieht, bezüglich der Bibel die Auctorität der Kirche
geltend macht, fo follte er lieber auf die Zeugnifse der
Denkmäler, deren er daneben nicht bedarf, verzichten.
Denn für diefen Standpunkt bleibt ein ,timco Danaos et
dona ferentes1, ftets das Gerathenfte.
Dem letzten Abfchnitt IX Literatur ift grofser Fleifs
zugewandt; ich finde aufser zahlreichen Verbefferungen
allein 22 Nachträge zur älteren Literatur. Der Abfchnitt
dürfte eigentlich die Schranken eines Buches für alle Gebildeten
überfchreiten, fo dankenswerth er ift; nun er
vorhanden, wäre der Wunfeh Graf Baudiflin's, dafs die
Quellen für die gegebenen Literaturproben u. a. m. jedesmal
angegeben würden, durch blofse Numerirung leicht
zu verwirklichen.
Anerkennung verdient die bedeutende Vermehrung
der gut gewählten, wenn auch nicht überfein gefchnittenen
Abbildungen (84 ft. 49); zu wünfehen bleibt eine Ueber-
fichtskarte der behandelten Länder.
Bonn. K. Budde.
Wendt, Prof. Dr. H. H„ Die Lehre Jesu. 1. ThL Die
evangelifchen Quellenberichte über die Lehre Jefu.
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht's Verl., 1886.
(IX, 354 S. gr. 8*.) M. 7.-
,Wenn man jetzt die Gefchichte der Evangelienkritik,
wie fie fich feit dem Ende des vorigen Jahrhunderts vollzogen
hat, überfchaut, mufs man dem Eindrucke Raum
geben, dafs hier nicht etwa blofs eine bunte Summe
verfehlter Experimente vorliegt, fondern ein allmählich
fortfehrcitender Entwicklungsprocefs, bei welchem die
verfchiedenen Momente, die zur vollftändigen Lofung
der verwickelten Probleme in Betracht gezogen werden
mufsten, nach einander zur Geltung gekommen find,
und zwar fo, dafs in der Regel die Reaction gegen die
einfeitig übertriebene Geltendmachung des einen Momentes
auf die richtige Beachtung anderer Momente
hingeleitet hat' (S. VII). Wer folche Beobachtungen
machen kann, beweift, dafs er eine fittlich correcte Stellung
zur Löfung von rein wiffenfehaftlichen Aufgaben
einzunehmen verlieht, und von ihm ift darum auch im
Voraus zu erwarten, dafs feine eigene Leiftung fich in
normaler Continuität mit dem wiffenfehaftlichen Procefs
halten wird. Bei vorliegender Arbeit trifft eine folche
Vorausfetzung durchweg zu. Wie fie in jedem ihrer
VOtl redlicher Hefchaftigunp; mit den Acten des
Streites Zeugnifs ablegt, fo wird die getroffene Ent-
feheidung, wie man fich auch zu ihr Hellen mag, immer
als ein bedeutfames Moment in dem weiteren Fortgange
des Handels Anerkennung finden. Worauf alfo läuft
diefe Entfchcidung hinaus?
Zunächft einmal hinfichtlich der fynoptifchen Frage
auf die Theorie von den zwei Quellen. Der erfte Abfchnitt
gilt daher dem Marcusevangelium und giebt zunächft
eine vollkommen tadellofe und, wenn man von
dem fprachlichen Factor und von der Frage nach der
Akoluthie, die hier nicht zu behandeln waren, abfieht,
auch erfchöpfende Darlegung der Gründe, welche für
die Priorität diefes Evangeliums geltend zu machen find
(S. 1 f.). Aber nur ,im Wefentlichen' ftimmt das aus
Marcus uns entgegentretende Bild mit dem chronologischen
Verlaufe der Wirkfamkcit Jefu (S. 22. 39). Denn
bei genauerer Befichtigung feiner Elemente erweift fich
unfer zweites Evangelium als beruhend auf einer Anzahl
von gegen einander felbftändig fich verhaltenden,
I d. h. nach fachlichen Gefichtspunkten angelegten, nicht
aber etwa von Haus aus auf wechfelfeitige Ergänzung
zu einer chronologifch zufammenhängenden Darftellung
berechneten Erzählungsreihen (S. 35 f.), als deren
directer Gewährsmann Petrus gelten mufs (S. 37 f.). Die
umfaffendfte und zugleich grundlegende diefer Reihen
ift repräfentirt durch 1, 14—45. 3> 7—12. 19—4, 34. 6,
1 - 6. 7, 24—37. 8> 10—13. 22—30. 10, 40—12, 12. 14.
1—16, 8 (bedeutfame Vorgänge, die verfchiedene Stellungnahme
der Menfchen zu Jefus charakterifirend), zwei
nebenhergehende einerfeits durch 2, 1—3, 6 (treffende
Antworten Jefu auf Einwendungen und Fragen) und 12,
x3—37 (vgl. die beide Theile verbindende Combination
der Pharifäer und Herodianer), andererfeits durch 8,
31—9, 1. 30-50. 10, 13—45. 12, 38—13, 6. 9—13. 21—23!
28. 29. 32 — 37 (der Leidensgedanke und feine Confe-
quenzen für die jünger). Als zwei kleinere, in ähnlicher
Weife überlieferte Gruppen geben fich die Erzählungen
von Auswahl und Ausfendung der Zwölfe (3, 13—icy
6, 6—13) und von der doppelten Zurückweisung der
Pharifäer (7, 1—23. 10, 1 —12) Unter diefen Reihen
feheint dem Referenten die Gruppirung der 2, 1—3, 6
berichteten Ereignifse unter einem gemeinfehaftlichen
fachlichen Gefichtspunkt (S. 23) auch aus anderen Gründen
am wahrfcheinlichften, während ihm mit dem 11 1
erreichten Momente ein gefchloffener, weitern Zer-
fetzungsverfuchen widerftehender und auch nicht blofs
auf petrinifche Kunde zurückgehender (Marc. 14, 51. 52)
Zufammenhang von letzten Gefchicken Jefu anzuheben
feheint, die efchatologifche Rede natürlich ausgenommen,
in welcher wirkliche Weisfagungen Jefu, nämlich die
oben fchon ausgefchiedenen Stücke, mit einer juden-
chriftlichen Apokalypfe (13, 7—9. 14—20. 24—27. 30.
31) zufammengearbeitet find (S. 10 f. 20). Vorher würde
alfo blofs 1, 1—13. 4, 35—s, 43. 6, 14—56. 8, 1—9. 14
—21. 9, 2—19 auf die eigenfte Redaction des Evan-
geliften zurückzuführen fein; was zwifchen und nac.i
diefen Stücken fleht, war ihm in formeller Ausprägung
überliefert, auch wenn er die fchriftliche Fixirung erft-
malig vollzogen hat. Mit Recht wird darauf hingewiefen,
dafs es fich hiebei nicht etwa um eine neue Urmarcus-
j hypothefe handelt: ,denn unfer Marcus felbft und nicht
j die in ihm bearbeiteten apoftolifchen Erzählungsreihen
in ihrer urfprünglichen Geftalt find die Quelle für unferen
erften und dritten Evangeliften gewefen' (S. 44). Auch
Lachmann's Corfinscula, an welche man fich erinnert
finden könnte, bieten nur fehr ungefähre Vergleichungspunkte
zu diefer ntueften Combination der beiden
Gröfsen Urevangelium und Marcus.
Von der andern Quelle, den ,Matthäuslogia', giebt der
I zweite Abfchnitt nicht blofs eine Befchreibung, fondern
! geradezu den aus Matthäus und Lucas reconftruirten