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Ausgabe:

1885

Spalte:

141-143

Autor/Hrsg.:

Schoel, Alb.

Titel/Untertitel:

Johann Friedrich Herbart‘s philosophische Lehre von der Religion, quellenmäßig dargestellt. Ein Beitrag zur Beantwortung der religösen Frage der Gegenwart 1885

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 6.

von der Kenofe des göttlichen Wortes, welche das Er-
gebnifs diefer ungemeinen Geiftesarbeit gewefen ift, löft
nicht das Problem der Frage Leo's des Grofsen, fondern
fchiebt es bei Seite, nur nicht in fo ehrlicher Weife, wie
es in M.'s Buche gefchehen ift. Ich erinnere an Luther's
Predigt am 5. Sonntag nach Oftern, Evangelienpoftille
Walch XI. S. 1251): An Chriftum glauben heifst nicht,
dafs Gott eine Perfon ift, die Gott und Menfch ift.
Denn das hülfe niemand nichts. Sondern dafs die-
felbige Perfon Chriftus fei, das ift, dafs er um unferet-
willen von Gott ausgegangen und in die Welt kommen
ift und wiederum die Welt verläfst und zum Vater geht;
von folchem Amt heifst er Jefus Chriftus, und folches
von ihm glauben, das heifst in feinem Namen fein und
bleiben.

Göttingen. A. Ritfchl.

Schoel, Prof. Dr. Alb, Johann Friedrich Herbart's philosophische
Lehre von der Religion,quellenmäfsig dargeftellt.
Ein Beitrag zur Beantwortung der religiöfen Frage
der Gegenwart. Dresden, Bleyl & Kaemmerer, 1884.
(V, 254 S. gr. 8.) M. 5- -
Ein jüngerer rheinifcher Theolog — zur Zeit Pro-
feffor an der Kantonsfchule zu St. Gallen — ftellt fich
mit diefer Arbeit feine kleinere Schrift ,zur Kritik der
Herbartifchen Religionsphilofophie' 1883 diente ihr zur
Vorläuferin) die Aufgabe, mit der begeifterten Verehrung
des Meifters, die allen Herbartianern eigen ift, das
Intereffe der Theologen für Herbart in höherem Mafse,
als es vorhanden ift, wachzurufen; ja ginge es nach ihm,
fo würde Herbart fortab für die Theologen der eigentliche
philofophifche Berather und Leiter. Das Buch ift
ein Mittelding zwifchen einer hiftorifchen und einer
räfonnirenden Arbeit. Es ift ftets darauf abgefehen,
Herbart's Gedanken zugleich zu empfehlen. Schoel identi-
ficirt fich geradezu mit Herbart. Schon äufserlich: auch
wenn H. redet, unterläfst Sch. es faft durchweg, den
Umfang des Citats durch Gänfefüfschen zu kennzeichnen.
Aber ich erinnere mich auch keiner Stelle, wo er Vorbehalte
gegenüber Herbart machte. Mindeftens in den
hiftorifchen Urtheilen wäre das aber doch wohl von
Nöthen. Denn H.'s Vorftellungen über andere Philo-
fophen, vor Allem Kant, find zum Theil faft unbegreifliche
Mifsverftändnifse. Sch/s Buch ift recht eingehend
— man mufs wohl fagen: etwas mehr als eingehend.
Ich erkläre mir die Umftändlichkeit der Darftellung aus
dem Streben, nun endlich die kühle Stimmung der
Theologen gegen H. zu bezwingen. Man foll und mufs
ja für H. Intereffe gewinnen, wenn man ihn nur recht
kennt. Das ift richtig. H. ift mit Unrecht fo
zurückgeftellt, wie er es ift. Er ift ein Philofoph, bei
welchem wir Theologen beffer als bei vielen anderen
unfere Rechnung finden. Freilich nur dann, wenn man
feine pofitiven Aufftellungen über die Religion doch
zum Theil, um einen Ausdruck Luthers zu gebrauchen,
einen ,guten Wahn' fein läfst. Gerade als Herbartianer
kann man auch, dünkt mich, fkeptifch fein gegen das
Detail der Behauptungen H.'s über die Religion. H.
iTabilirt bekanntlich das Recht einer ,pofitiven Religions-
wiffenfchaft', die unabhängig fei von der Philofophie,
ehe alfo von der Philofophie fich nicht darein reden zu
äffen brauche, aufser dafs diefelbe auch ihre Begriffe
logilch prüfe. Man wird diefen Satz doch wohl in
m!n,em Sinne auch danin zu wenden haben, dafs die
l lulofophie ihre eigenen Vorftellungen von der .Religion'
lieh nicht ohne Beihülfe der Theologie bilden foll.
üb es bei H. nicht ein Theil gefunden ficheren laktes
gewefen ift, dafs er keine .Religionsphilofophie' gefchne-
ben hat: Er hat bekanntlich nur eine Reihe mehr oder
minder ausführlicher Andeutungen in der Richtung auf
eine Religionsphilofophie gegeben. Diefe Andeutungen

wohl erfchöpfend gefammelt, in ihre einleuchtenden Zu-
fammenhänge gebracht und mit denjenigen Stützen ver-
1 fehen zu haben, die fich aus einer Gefammtkenntnifs
j der H.'fchen Philofophie ergeben — das ift das Verdienft
I der Sch.'fchen Arbeit. Aber Sch. hätte erkennen können,
I dafs auf Gelcgenheitsausführungen nicht ganz das Gewicht
zu legen ift, wie auf abfichtliche zufammenhängende
| Totalausführungen. H.'s Anfchauungen über die Religion
geniefsen bei ihm zu Unrecht dasfelbe Anfehen, wie
etwa die metaphyfifchen oder pfychologifchen Anfchauungen
, kurz alle diejenigen, die von H. ex professo und
| in ihrem Zufammenhange verhandelt find. Der wichtigfte
Gedanke H.'s über die Religion ift die allgemeine Er-
kenntnifs, die fich bei ihm ergiebt aus feiner Auffaffung
der Metaphyfik als einer gegen die .Religion' neutralen,
1 .weltlichen', unter dem Theismus nicht anders wie unter
dem Atheismus zu behandelnden Wiffenfchaft, dafs die
Religion kein Wiffen ift, fondern ein aus äftheti-
fchen (ethifchen) Anfchauungen hervorgehender
Glaube. Das weitere Detail braucht m. E. ein Herbartianer
gar nicht als das letzte Wort H.'s zur Sache
zu äftimiren. Einem Theologen thut H. hier doch den
Dienft, ihn vielmehr in die Theologie zu weifen!
Das fchliefst nicht aus, dafs man auch H.'s detaillirteren
j Ausführungen die gebührende Achtfamkeit widmet. H.'s
! Anfchauungen von der Religion find gefunde, relativ
gefprochen, nämlich gegenüber den Anfchauungen derjenigen
, die er hauptfächlich fich als Gegner vergegenwärtigt
, d. h. den romantifchen Theologen und Philo-
fophen. Zu denjenigen Ausführungen, die man immer
mit Nutzen lefen wird, gehören feine kritifchen Einwände
gegen den .Monismus'. Der Monismus ift freilich
philofophifch anders zu würdigen, als religiös. Philofö-
phifch, d. h. als Theorie über den Naturbeftand der
Welt mag er für uns Theologen auf fich beruhen. Bietet
er fich als religiöfe Theorie, fo ift er eine gefährliche
Verirrung. Auch diefes freilich doch nur, fofern man
das Chriftenthum als .Religion' meint. Es giebt Religionen
, denen er ganz conform ift, fo z. B. der Brah-
manismus oder auch die Religion der Griechen. H.
denkt unter .Religion' im Grunde immer an das Chriftenthum
. Von diefem aus, fo gut und fo fchlecht wie
| er es verftand, hat er fich über die anderen Religionen
gewiffe Gedanken zurechtgelegt, die an der hiftorifchen
Religionsforfchung gemeffen nicht einwandfrei find. Alfo
1 H.'s Kritik des ,Monismus' thut dem Chriftenthume den
Dienft, ihm einen Feind, der fich als fein Freund gerirt,
kenntlich zu machen. Sch.'s Freude an jedem wohlgeführten
Hiebe H.'s gegen den Monismus der romantifchen
religionsphilofophifchen Speculation mag uns
freuen. — Ks giebt nun fpeciell Einen Punkt, hinfichtlich
deffen es zu urgiren ift, dafs H.'s Religionsphilofophie
nach feinen eigenen Grundfätzen im Detail nicht ohne
Weiteres mit der Pietät gegen ihn folidarifch gemacht
zu werden braucht. Das ift H.'s Beweis für die Berechtigung
der .Religion'. Leider ift Sch. gerade hier
I entgegengefetzter Meinung. Er widmet demfelben fein
j ausführlichftes, befonders fiegesgewiffes Capitel, dasjenige
j über die .Berechtigung der teleologifchen Naturbetrach-
j tung als die objective Grundlage der Religion'. Aber
es wird ihm dabei gar nicht klar, dafs alle Eindrücke
j von der .Teleologie' der Weltconftruction, die H. con-
ftatiren kann und ebenfo als Beftätigungen für feine
,exact realiftifche' Metaphyfik verwendet, wie er umgekehrt
daraufhin feine Metaphyfik als die einzige, welche
j die .Religion' intact laffe, empfiehlt, ich fage, es entgeht
ihm, dafs die der Beobachtung fich aufdrängenden Spuren
I der Weltteleologie doch fo lange für feinen Zweck
I wenig werth find, als fie nicht diejenige Teleologie be-
1 weifen, welche die .Religion' in concreto ,glaubt'. Das
Chriftenthum behauptet doch wohl nicht nur fo ganz
I allgemein einen .Zweck', fondern einen beftimmt zu be-
! zeichnenden Zweck, der alle anderen Ideen von Welt-