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Ausgabe:

1885 Nr. 6

Spalte:

139-141

Autor/Hrsg.:

Stokar, Karl

Titel/Untertitel:

Johann Georg Müller. Lebensbild 1885

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 6.

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wird: 7/ is callit the sacrifice of the altar, because it is 1 fache der Decan Stokar verfafst. Beide find fchon feit
one quick and special retnembrance of the passioun of längerer Zeit '1869 und 1873) verdorben; der hiftorifche
Christ. . . Now the passioun of Christ wes the trezv sacri- Verein zu Schaff häufen hat jetzt das Ganze veröffentlicht.
fice quhilk zves ojferit for our redemptioun (S. 203). Und j Seitdem M. in diefer feiner Vaterftadt zuerft 1788 ein
die Lehre von dem Glauben und der Rechtfertigung mit j untergeordnetes geiftliches Amt, 1794 die Profeifur des
ihrer Unterfcheidung von fides generalis und specialis Griechifchen und Hebräifchen am Collegium humanitatis

darf geradezu als evangelifch bezeichnet werden. Denn
die letztere befteht darin, to commit our seif hailely to
God, to put our hail traist and confidence in Iiis help, de-
fence, gudnes and gracious provisioun in all our necessiteis,
perellis, dangeris, mistaris, infirmiteis, in all forsakind
our awin will, and zvith obediens commit all to the gracious
zvill of God (127). — Diefer rechtfertigende Glaube is
alwayis jonit zvith Jioip and cheritie and werkis throw
lufe etc. Hiernach kann alfo von einer fides formata keine

erhalten hatte, fehen wir ihn feiner Gemüthsart ent-
fprechend in regem Verkehr mit gebildeten Frauen und
in einemZufammenhang vonFreundfchaften, unter welchen
die mit feinem altern Bruder Johannes glänzend hervortritt
. Er führt ein forgfältiges Tagebuch und beginnt
ziemlich früh mit populärer Schriftftellerei, welche fich
zunächft um die reflectirte Selbftbeobachtung dreht, die
er an fich übt und bei Anderen, wie Petrarca und
Auguftin vorgebildet findet. Er überfchreitet diefen Ge-

Rede fein, was um fo befremdender fein mufs, als das j fichtskreis durch eine Biographie Zinzendorf's, in Folge
Tridentinum fich doch fchonlängft über die Rechtfertigungs- | deren er nachher den Verkehr mit der Brüdergemeinde
lehre geäufsert hatte. Und daneben die gröfste Werth- 1 gepflegt hat, freilich ohne fich zu der dort heimifchen
fchätzung der Marienverehrung, ja fogar die Lehre von j Devotion zu dem Blut und den Wunden Chrifti auf-
der unbefleckten Empfängnifs! Wie das möglich war, ift fchwingen zu können. Geflählt und gereift wurde diefer
fchwer einzufehen. Jedenfalls ift die von Mr. Gladftone 1 Charakter dadurch, dafs das Vertrauen feiner Mitbürger
in feiner herzlich unbedeutenden Vorrede ausgefprochene ihn in die politifche Laufbahn rief, als 1798 durch die
Meinung, dafs dergleichen proteftantifche Anklänge, be- ! Einwirkung der FYanzofen die Helvetifche Republik zu
fonders das Schweigen vom Papftthum, fich aus einer j Stande kam und die bisher geltenden Ariftokratien in
fchon bei Beginn der Reformationszeit in Schottland ' der Schweiz verdrängte. In mannigfachem Wechfel der
ebenfogut wie in England findenden Neigung zu einer | Aemter und unter den die Schweiz berührenden Kriegs-
Kirche ohne Papft erklären laffe, fchon allein dadurch J läufen entwickelt M. eine politifche Umficht und Aufwiderlegt
, dafs, wie der Herausgeber darthut, kaum i Opferung, welche feinen Gefichtskreis erweitert und feine
12 Jahre vorher, zum Theil, unter Affiftenz derfelben Männlichkeit bewährt. Als er 1809 diefe Wirkfamkeit
Männer, die den Katechismus approbirt haben, dergleichen 1 aufgab, behielt er neben feiner Profeffur das Amt als
Neigungen als häretifch verurtheilt wurden. Man wird alfo überfchulherr in feinem Can'ton. Obgleich er fchon feit
beftimmte Beeinfluffungen von aufsen annehmen müffen, I dem Beginn feiner politifchen Laufbahn aus dem geift-
und vielleicht war die Halbheit des Standpunkts der ! liehen Stande gefchieden war, war fein hauptfächliches
Grund, weshalb das mit vielem Fleifs und fittlichem Ernft ; Intereffe bis an feinen Tod 1819 der Theologie und den
gefchriebene Werk fo wenig Verbreitung fand. kirchlichen Dingen zugewendet. Pofitiv und dem Ratio-

Die Ausftattung des augenfeheinlich mit grofser Sorg- , nalismus abgewendet, wie er war, erfcheint er in feinen
falt wiedergegebenen Drucks ift eine vorzügliche und letzten Jahren feit 1812 im Verkehr mit den Gleichge-
mufs das beigegebeneGloffar als befonders dankenswerth 1 finnten, welche damals fich zu einander fanden, unpar-
bezeichnet werden. teiifeh, vermittelnd, mäfsigend. Bezeichnend für diefen

Erlangen. ' Th. Kolde. ! Kreis ift es, dafs M. einerfeits mit Herrnhutern, anderer-

.________,_ _____| feits mit J. M. Sailer in enger Verbindung ftand, und

Stokar, weil. Dek. Karl, Johann Georg Müller, Doktor dafs fein letztes Werk ,Vom Glauben der Chriften'

1 ti 1 tj „<wrr__ a ru r u 11 ci.ee (18113. 16) an gebildete Preunde der Religion aus ver-

der Iheologie, Protellor und überfchulherr zu Schaff- > .. ; Cl..6, , n c er- • u,.

, t f ...-, n , , tt 1 fchiedenen Standen, Altern und Lonleifionen gerichtet

häufen, Johannes von Mullers Bruder und Herders 1 ift Der Standpunkt diefer populären Betrachtungen über
Herzensfreund. Lebensbild. Hrsg. vom Hiftorifch- die hiftorifche Erfcheinung und den Wahrheitsgehalt des
antiquarifchen Verein in Schaff häufen. Mit Müllers Chriftenthums ift dadurch bezeichnet, dafs die Offenbarung
(Lichtdr.-)Porträt nach einer Zeichnung von Dr. E. | Gottes in dem Menfchen Jefus als die Grundlage der

, __tt r , c«:«.u» ,00, /wtt c o 1 umverteilen Humanität gedeutet wird. M. läfst dabei

Stuckelberg. ßaiel, Spittler, 1885. (Vll, 430 S. gr. 8.) 1 .. , , , rr , c b , , . IT , -n .

° r J v ' ^J fa ; die chalcedonenlilchc rormel als etwas Unbegreifliches

M. 4. 40; geb. M. 0. I dahingeffellt, indem er erklärt (L S. 31): .Durch allzu-

Der Theolog, welchem diefe Biographie gilt, verdient fcharfe Trennung der göttlichen und der menfehlichen

es wohl, dem gegenwärtigen Gefchlecht in Erinnerung Natur (ein fchädlicher Nachlafs jener metaphyfifchen

gebracht zu werden, und in einer Kirchengefchichte des Zänkereien des vierten Jahrhunderts und der nächften

19. Jahrhunderts wird er feine Stelle finden. Er ift mehr Zeiten nach der Reformation hierüber) ift der menfeh-

von empfänglichem als von entfeheidendem Geifte ge- ' liehe, d. h. für Menfchen fafsliche und anwendbare Be-

wefen, und die von ihm 1786 entworfene Gefchichte griff von feiner Natur, feinem Zweck und feiner Wirkung

feines Bildungsganges (er ift geboren 1759), welche in auf die Menfchen, feiner Stellung in der Weltgefchichtc,

dem Buche die erften 80 Seiten ausfüllt, macht einen alfo von dem, was er auch für uns ift, fehr verdunkelt

peinlichen Eindruck, da er bis in fein 27. Lebensjahr mit ' worden'. Der Verf. des Berichtes über diefes Buch in

den verfchiedenartigen Methoden der Theologie, deren j der Biographie, alfo Stokar, hat verflicht, demfelben ge-

Einflufs er erfahren hat, nicht in Ordnung gekommen ! recht zu werden, urtheilt aber (S. 309) über diefe Seite

ift, und doch fich bewogen fühlt, feiner Verlobten Be- j der begeifterten Darftellung des Chriftenthums durch M.

rieht über fich zu erftatten. Man braucht fich auch nicht 1 folgendes: ,Es kann natürlich nicht verkannt werden, dafs

zu wundern, dafs M. zwifchen Lavater'fchen, damaligen mit diefer Darftellung dem wiflenfchaftlichen Bedürfnifs

Göttingifchen, Herder'fchen Anregungen und deiftifchen ! der heutigen Zeit nicht genügt wird, indem gerade die

Anfechtungen eingeengt, mit feinem weichen, auf fefte i wichtigfte und fchwierigfte Frage über das Verhältnifs

Leitung rechnenden Gemüthe fich übel genug befunden der göttlichen und der menfehlichen Natur in Chriftus

hat. Solche Naturen find aber nicht geeignet, durch ihre 1 eher verhüllt als gelöft wird. Wer will fich aber darüber

Selbftbiographie zu intereffiren. Deshalb gewinnt das ! verwundern, wenn er fich erinnert, welche ungemeine

Lebensbild M.'s an Wichtigkeit erft durch die Fortfetzung Geiftcsarbeit an diefe Frage in den fünfzig Jahren feit

von anderer Hand. Einen Theil von dem, was vorliegt, dem Erfcheinen unferes Buches (alfo bis 1865) gewendet

hat der Schaffhaufer Antiftes Kirchhofer, die Haupt- worden ift'. Das mag ja fein. Aber die berühmte Theorie