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Ausgabe:

1885 Nr. 4

Spalte:

122-124

Autor/Hrsg.:

Warneck, Gust.

Titel/Untertitel:

Protestantische Beleuchtung der römischen Angriffe auf die evangelische Heidenmission. Ein Beitrag zur Charakteristik ultramontaner Geschichtsschreibung. 1. Hälfte 1885

Rezensent:

Strack, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 4.

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bedimmungen zu urtheilen. Weder die Erörterung über I
das Wefen der Kirche nach der Schrift, noch die ge-
fchichtliche Betrachtung fcheint mir zu genügen.

An der erfteren vermiffe ich die Objectivität wirklich
hiftorifcher Betrachtung. Zwar fehlt es nicht an dem
guten Willen, dicfelbe walten zu laffen, wohl aber an
der Durchführung. Der Verfaffer fieht die Objecte, um
die es fich im neuen Teftament handelt, von vorn herein
in der Beleuchtung der traditionellen Dogmatik. Ihm
fcheint es daher kein Mangel an gefchichtlicher Objectivität
zu fein, wenn er die biblifchen Urkunden dem ent-
fprechend auslegt. Denn diefe werden ja doch nach
ihrem Gegenftand zu beurtheilen fein, und der Gegen-
ftand ift eben das, was jene Begriffe darlegen. Ganz unbefangen
ergeht fich der Verfaffer daher zu wiederholten [
Malen in einer Argumentationsweife, wie fie durch fol- I
gendes Argument gegen die Annahme, dafs Jefus felbft
das baldige Eintreten des Endes erwartet habe, charak- 1
terifirt wird: ,Man fehe zu, welche Confequenzen für
die Chriftologie die Annahme einer folchen Unklar- j
heit des Herrn über fein Reich haben müfste'. Und
nicht minder erfindet er gezwungene Gründe dafür, dafs
fich im Evangelium allerlei nicht gcfagt findet, was doch
eigentlich darin flehen müfste. Endlich erinnere ich auch
an das oben fchon Angeführte, auf welch bequeme Weife
der Verf. die unbequemen Ausfprüche des Herrn über
den reinen Gegenfatz zwifchen Gottes Reich und weltlichem
Wefen bei Seite fchafft. Dies Verfahren des
Verf.'s ift aber typifch und zeigt, wie weit wir noch
entfernt davon find, alle zu thun, was wir doch alle
wollen, nämlich das Wort der Schrift wirklich gelten zu j
laffen, anftatt es von uns aus zu meiftern. Indeffen, ich
würde dies Allgemeinere nicht erwähnen, wenn es nicht
auch gerade für das vom Verf. verhandelte Thema von 1
entfcheidender Bedeutung geworden wäre. Für feinen |
Hauptfatz, dafs die Kirche vom Herrn als die Erfchei- j
nung des Himmelreichs in der Welt gemeint und geftiftet !
fei, iehlt es auch an dem Schatten eines Beweifes. Es j
wird vielmehr dabei bleiben, dafs das überweltliche j
Gottesreich dem Ev. zu Folge in der Welt als ein Reich |
der fittlichen Gerechtigkeit zur Erfcheinung kommen foll, ;
und dafs es fich nach der apoftolifchen Verkündigung
mit der Kirche als dem myftifchen Leib des Herrn
nicht anders verhält: fie ift in der Welt gegenwärtig
aber verborgen, bis Chriftus wiederkommt, erfcheinend j
nur in dem neuen Leben der Gläubigen. Soll die Schrift i
gelten, fo wird man fich zu einer dem entfprechenden !
Correctur des Kirchenbegriffs entfchliefsen müffen. Was |
wir in der Welt Kirche nennen, ift nicht Erfcheinung
einer überweltlichen Gröfse, fondern Mittel für einen
überweltlichen Zweck. Die andere Auffaffung ift eine
Nachwirkung der katholifchen und läfst fich auf evan-
gelifchem Boden nicht durchführen.

Aber auch die gefchichtliche Betrachtung, fo viel
Richtiges fie im Einzelnen enthält, fcheint mir als Ganzes
nicht zu genügen. Es handelt fich darum, die alte Anficht
aufzugeben, welche die Entwicklung des Chriften-
thums und der Kirche in der Welt als eine Linie auf |
gleicher Fläche, und wenn auch mit manchen Abbie-
gungen und Irrwegen doch als eine Linie von gerader
Richtung zu begreifen unternimmt. Vielmehr mufs diefe
Lntwicklung als eine in Stufen fich erhebende begriffen
werden. Dann ift man auch deffen überhoben, fich das j
Verftändnifs der kirchlichen Hauptformen des Chriftenthums
dadurch zu vermitteln, dafs man jede aus den
Ingredienzen von .Kirche', ,Sccte' und .Härefie' zufam-
menfetzt. Sie kommen dann als Niederfchlag je einer
bP°che der Gefchichte des Chriftenthums in der Welt
zu flehen. Namentlich mit der Thatfache, dafs die Reformation
eine principielle Bedeutung in diefer Gefchichte
zu beanfpruchen hat, verträgt fich nicht die alte, fondern
nur eine derartige Auffaffung der kirchlichen Entwicklung
. Sie geftattet überdies, mittelft einer Gefammt-

auffaffung den katholifchen Formen des Chriftenthums
in ihrer relativen Wahrheit gerecht zu werden und die
überlegene Wahrheit des evangelifchen Chriftenthums zu
erweifen. Sie dürfte aber auch in praktifcher Beziehung
fruchtbar fein. Zwei Punkte zu erwähnen bieten die Ausführungen
des Verf.'s Veranlaffung. Einmal das Hinüber-
fchielen evangelifcher Chriften nach der Herrlichkeit der
katholifchen Kirche. Wenn folche fich nicht darüber
belehren laffen wollen, dafs diefe Herrlichkeit ein Merkmal
der Unwahrheit am Katholicismus ift, fo ift ihnen
nicht zu helfen. Wir dürfen jedenfalls unfere Kirche und
Theologie nicht nach ihren Bedenken einrichten, fondern
müffen fie der Seelforge überlaffen. Sodann aber läfst
fich aus einer folchen Betrachtung die Geduld mit den
Härefien der Gegenwart fchöpfen, welche der Verf. nicht
zu haben bekennt. Denn fie lehrt, dafs das Chriftenthum
in feiner evangelifch-proteftantifchen Form noch keine
fertige Gröfse ift, fo gewifs auch der fefte Grund dazu
— nächftdem göttlichen gemeinfamen Grund alles Chriftenthums
— in der Reformation und dem Bekenntnifs unferer
Kirche gelegt ift.

Berlin. J. Kaftan.

Warneck, Dr. Guft., Protestantische Beleuchtung der römischen
Angriffe auf die evangelische Heidenmission. Ein

Beitrag zur Charakteriftik ultramontaner Gefchichts-
fchreibung. 1. Hälfte. Gütersloh, Bertelsmann, 1884.
(XII, 233 S. gr. 8.) M. 3. -

Es ift in der That ein trauriges Zeichen der Zeit,
dafs folche Schriften, wie die vorliegende, nothwendig
geworden find. Wo aber fo gehäffige und unwahre
Angriffe gegen die evang. Kirche, deren Entftehung und
Thätigkeit, wie fie während der letzten Jahre von katholifchen
Federn aller Wahrheit zum Trotz in verfchiede-
nen Schriften erhoben worden find, in die Oeffentlich-
keit treten, da wäre es mehr als Feigheit, wenn von
evangelifcher Seite keine geharnifchte Gegenerklärung
erfolgte. Der auf dem Miffionsgebiete fo wohl bewanderte
Verf., der hochverdiente Herausgeber der ,AUg.
Miff.-Zeitfchrift', war auch der rechte Mann, der den hingeworfenen
Fehdehandfchuh aufheben und den von kath.
Seite provocirten Kampf muthig aufnehmen konnte.
Er ift wie nicht leicht ein anderer Verfaffer mit der
betreffenden Literatur, nicht blofs der evangelifchen, fondern
auch der katholifchen, nicht blofs der deutfehen,
fondern auch der aufserdeutfehen, befonders der eng-
lifchcn, wohl bekannt. Man kann fich denken, wie ein
fo warmbegeifterter Freund der Miffionsfache in feinem
Innerften aufgeregt und erbittert werden mufste, wenn
er las, wie von kath. Seite die Miffionsthätigkeit unferer
Kirche in dem gehäffigften Lichte dargefte'llt, wie die-
felbe nicht blofs als faft erfolglos, fondern fogar als verderblich
und unheilbringend verdammt wurde. Es war
namentlich die Schrift eines fanatifchen Katholiken,
Marfhall, (wahrfcheinlich eines Convertiten), der ein
dreibändiges Werk über die kath. Miffion gefchrieben
hat, wodurch der Verf. am meiden fich aufgefordert
fühlte, eine Gegenfchrift zu veröffentlichen. Er konnte
fich aber nicht damit begnügen, diefem durch blinden
Fanatismus verblendeten Widerfacher feine Tendenz-
fchriftftellerei, welche nicht feiten geradezu der Wahrheit
ins Angefleht fchlägt, fad immer aber durch Verfchwei-
gen, durch einfeitiges Hervorheben gemachter Fehler
die Thatfachen in einem falfchen Lichte dargedellt, vor
Augen zu führen; er mufste weiter gehen und zeigen,
wie es dem in den Grundfätzen feiner Kirche befangenen
Katholiken unmöglich fei, eine objectiv wahre Gefchichts-
dardellung zu liefern. Er beleuchtet im erden Capitel
,üie römifche Provocation' die neueren Angriffe Roms
gegen die evang. Kirche, die neu autorifirten Dogmen,
den Mariencultus, das Treiben der Jefuiten, die Mifs-
bräuche, die mit dem Ablafs heute wie vor der Refor-