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Ausgabe:

1885 Nr. 5

Spalte:

117-118

Autor/Hrsg.:

Baur, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Geschichts- und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den Befreiungskriegen. II. Bd. 4., sehr veränd. Aufl 1885

Rezensent:

Schlosser, Georg

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Ii: Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 5. 118

anderes fein als Übcrdcutfchland, die Schweiz einbegriffen
, gegenüber von Niederdeutfchland. Die Spreng-
keffel finden fich auch in der Schweiz und im füdlichen
Württemberg. Sicher ift, dafs Luther Augsburg und Mailand
berührt hat, aber ungewifs, ob auf der Hin- oder
Herreife. Beide aber liegen auf einer verfchiedenen Reife

noch den neuen, die es fich ohne Zweifel auch im neuen
Gewände erwerben wird. Denn das ift kein gelehrtes
Werk, bei dem. man fich nicht verwundert, wenn die
fortfchreitende Forfchung in der neuen Auflage zu fehr
veränderten Refultaten führt, fondern ein Werk, das
frifch und begeiftert aus der Infpiration eines von feinem

mute. Von Augsburg gieng die gewöhnliche Route über i Gegenftand erfüllten Herzens gefchrieben, zugleich das
Reute ins Etfchthal und diefes entlang nach Verona und Gepräge der Individualität feines Verfaffers trägt. Wie
Bologna. Von diefer geraden Route liegt Mailand 150 I Freytag's: ,Bilder aus der deutfchcn Vergangenheit' ihren
Kilometer weltlich. Es läfst fich kaum denken, dafs für ! unvergänglichen Reiz und Werth bewahren werden, fo

Luther eine bcfondere Veranlaffung zu einen folchen nicht
unbedeutenden Umweg über Mailand vorlag. Dagegen
lag Mailand an der S. Gotthardroute. Es fcheint mir deswegen
wahrfcheinlich, dafs Luther einen verfchiedenen
Weg für die Hin- und Herreife, den einen über Augsburg
durchs Etfchthal, den andern über Mailand, S. Gotthard
und dann wahrfcheinlich Bafel, Heidelberg gewählt
hat. Dafür fprechen zwei noch Momente. Die Aeufserung
über die Schweiz (Köftlin I 2 102) klingt, als ob Luther diefes
Land kennen gelernt hätte. Die Heidelberger Chronik mag
zwar das Jahr der Disputation verwechfelt haben, aber
fie unterfcheidet doch klar einen doppelten Aufenthalt
Luthers in Heidelberg. Wenn die Frage auch nicht zu
den wichtigen gehört, fo ift doch immerhin intereffant,
welche Gegenden Deutfchlands Luther aus pcrfönlicher
Anfchauung kannte.

Sehr zu bedauern ift, dafs wir über feine Erlebnifse
zu Rom keine weiteren Nachrichten haben. Sollte das
Vatikanifchc Archiv nicht doch noch Urkunden über die
Verhandlung der Auguftiner mit der Curie haben? Auch
in dem Auguftinerconvent Maria del populo könnte fich
noch eine Aufzeichnung über den fpäter fo bekannt gewordenen
Gaft finden laffen.

Aufs Neue ift mir fraglich geworden, ob nicht Lenz
doch Recht hat, wenn er bei Friedrich dem Weifen eine
beftimmtere Stellung zur Reformationsfragc annimmt, als
Kolde dies thut.

Nicht ganz richtig ift, wenn S. 254 Luther als Pfarrer
bezeichnet wird (feine, des Chriften, des Pfarrers, des Dr.
der Theol. heilige Pflicht). Pfarrer war Luther nie, wohl
aber Seelforger und zeitweilig Stellvertreter des Pfarrers.

Der erfte Band von Kolde's Werk fchliefst mit dem
Wormfer Edict gegen Luther. Möge es dem Verf. gelingen
, feine Lutherbiographie bald glücklich zu vollenden!
Täufche ich mich nicht, fo liegt der fchwerere 1 "heil der
Arbeit für einen Lutherbiographen in den letzten 20 Jahren
von Luther's Leben. Der Abendmahlsftreit, das Ver-
hältnifs zu Melanchthon, Agricola, Schenk und Anderen
und zur Univcrfität Wittenberg, die Stellung Luther's in
dem Ehehandel Philipp's von Heften fordern volle Unbefangenheit
, um ein nach jeder Seite hin gerechtes Ur-
theil ausfprechen zu können. Ift das Werk mit derfelben
präcifen, durchfichtigen und knappen Darfteilung und der

viel fie auch im einzelnen von neueren Forfchungen
überholt fein werden, fo werden auch W. Baur's Lebensbilder
ihre jugendfrifche Anziehungskraft nicht verlieren.
Es find wirklich lebensvolle Bilder, welche der verehrte
Verf. vor unferer Seele entwirft; und dafs fich feine
Eigenart nicht blofs in der Auswahl der Perfönlichkeiten.
die er gewiffermafsen als Typen der unzertrennlichen
Zufammengehörigkeit von Deutfehthum und Chriftenthum
vor uns hinftellt, fondern auch in einem warmen Hauch
perfönlicher Antheilnahme geltend macht, gereicht ihnen
wahrlich nicht zum Schaden. Uebrigens foll ausdrücklich
hervorgehoben werden, dafs, wie das Werk überhaupt
aus gründlichen Studien und einer Fülle von Belefen-
heit erwachfen ift, fo auch die neue Auflage davon Zeug-
nifs ablegt, dafs der Verf. den neueren Arbeiten auf dem
von ihm behandelten Gebiete aufmerkfam gefolgt ift.
Eine werthvolle Bereicherung bildet das neu eingefügte
Lebensbild des edlen Syndikus Karl Sieveking in Hamburg
, nicht minder auch die eingehendere Berückfichti-
gung des neuerdings wieder mehr der Vergeffenheit ent-
riffenen Barons von Kottwitz in dem Schlufsabfchnitt.

Ref. wüfste für unfer chriftliches Haus, für unfere
Jugend zumal, keine beffere und anregendere Leetüre,
als diefe Lebensbilder, in denen die beften und edelften
unferes Volkes aus unvergefslicher Zeit zu uns reden
von der Herrlichkeit chriftlich-deutfeher Art und Wefens.

Giefsen. Gg. Schloffer.

Schmidt, Prof. Dr. Herrn., Die Kirche. Ihre biblifche
Idee und die Formen ihrer gefchichtlichen Erfcheinung
in ihrem Unterfchiede von Sekte und Härefe. Eine
dogmatifche und dogmengefchichtliche Studie. Leipzig
, Dörffling & Franke, 1884. (VIII, 267 S. gr. 8.)
M. 4. —

Die Abficht des Verf.'s ift, das Wefen der Kirche
durch den Vergleich mit Secte und Härefie zu beleuch -
ten, indem er von einer fcharfen und präcifen Feftftellung
diefer correlatcn Begriffe fowohl für die Erkenntnifs der
Kirche als für die Beftimmung der Ziele des kirchlichen
Handelns Gewinn erwartet. Darum alfo und nicht um
das Verhältnifs der Kirche zum Staat, auch nicht in erfter
nneren Wärme vollendet wie der erfte Band, dann werden I Linie um das Verhältnifs der verfchiedenen chriftlichen

wir eine Lutherbiographie befitzen, deren eigenthümlicher j Kirchengemeinfchaften zu einander ift es in diefer dog
Vorzug fich vielleicht dahin präcifiren läfst: Es ift das j matifchen und dogmengefchichtlichen Studie zu thun.
Buch, welches man einem Künftler empfehlen mufs, In vier Abfchnitten verläuft die Unterfuchung. Zuerft
welcher Studien für ein plaftifches Denkmal Luther's zu wird das Wefen der Kirche nach der Schrift dargeftellt;
machen hat. ! die beiden folgenden Abfchnitte gehen den gefchicht-

Bächlingen (Württemberg). G. Boffert. liehen Erfchcinungen der Kirche wie der Secte und Härefie
nach; der vierte und letzte Abfchnitt ftellt die Be-

Baur, Gen.-Superint. Dr. Wilh., Geschichts- und Lebens- j grjffe definitiv feft, bewährt die Definitionen an der Ge
bilder aus der Erneuerung des religiöfen Lebens in 1 fchichte und zieht eine praktifche Schlufsfolgerung. Im

den Befreiungskriegen. II. Bd. 4., fehr veränd. Aufl.
Hamburg, Agentur des Rauhen Haufes, 1884. (480 S.
gr. 8.) M. 4. _; geb. M. 5. —

erften und vierten Abfchnitt herrfcht die deduetive, im
zweiten und dritten die induetive Methode vor — wie
die Einleitung (S. 11) erläutert.

Die biblifch-theologifche Erörterung behandelt die

Mit diefem EL Bande liegt nun die neue Ausgabe biblifchen Sätze über das Gottesreich, über die Kirche

des Buches, das mit Recht als eine Perle unferer

und das Verhältnifs beider zu einander, insbefondere

edelften Sinne populären chriftlichen Literatur gilt, voll- auch den biblifchen Begriff von der Welt. Das Refultat

endet vor. Das ,fehr verändert' auf dem Titelblatt darf lautet dahin, dafs der Herr die Gemeinde oder Kirche

glücklicherweife nicht fo ftreng genommen werden. Da- als die Erfcheinung des Himmelreichs in der Welt ge-

mit wäre weder den alten Freunden des Buches gedient, wollt und geftiftet hat, dafs die Apoftel dem entfprechend