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Ausgabe:

1885 Nr. 5

Spalte:

108-112

Autor/Hrsg.:

Lorenz, Otto

Titel/Untertitel:

Das Lehrsystem im Römerbrief 1885

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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107 Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 5. 108

auch wenn noch manches zur Ergänzung fich beibringen 1 entnommen. Die benützten Handfchriften find: 1) eine
liefse. Indem ich daher die Hoffnung ausfpreche, dafs | Florentiner Handfchrift aus d. J. 1176 n. Chr., enthaltend

es dem Verfaffer bald vergönnt fein möchte, die ver-
heifsene Fortfetzung zu liefern, erlaube ich mir hier,
nur eine kleine Ergänzung beizubringen, die für den
chriftlichen Theologen von Intereffe fein dürfte. In dem
Abfchnitt über Jo f e denGaliläer(S. 358—372)hätte auch
die merkwürdige Stelle aus dem Siphre erwähnt werden
können, die uns zeigt, dafs damals auch einzelne jüdifche
Gelehrte fich mit dem Gedanken eines leidenden Meffias
befreundeten. Ich gebe die Stelle nach Wünfche, Die
Leiden des Meffias (1870) S. 65 f.: ,R. Jofc der Galiläer
fagte: . . . Der König Meffias ift erniedrigt und klein
gemacht worden wegen der Abtrünnigen, wie es heifst
(Jef. 53, 5): Er ift durchbohrt wegen unlerer Frevel 11. f. w.
Um wie viel mehr wird er deshalb für alle Gefchlechter
Genugthuung fchaffen, wie gefchrieben fleht (Vers 6):
Und Jahve liefs ihn treffen die Schuld von uns allen'.
R. Jofe lebte zur Zeit Akiba's, um 120—140 n. Chr.
Um diefelbe Zeit hat auch Trypho, der jüdifche Gegner
Juftin's, die Deutung von Jefaja 53, 4 ff. auf den Meffias
zugegeben, denn er fagt (Justin. Dial. c. Tryph. c. 90):
rra-irslv psv <yag xai tog ngo ßcccor a~/ ft moeo&ai
oi'dapev, Diele beiden Zeugnifse find die älteften dafür,
dafs der Gedanke eines leidenden Meffias auch in jüdi-
fchen Kreifen Eingang fand; und ihr Zufammentreffen
ift um fo merkwürdiger, als der Trypho Juftin's vielleicht,

die Tractate Baba bathra, Sanhedrin und Schebuoth;
2) eine Hamburger Handfchrift der Tractate Baba kamma,
mezia und bathra, vom J. 1184; 3) ein Vaticanus aus
dem 13. oder 14. Jahrhundert, enthaltend Baba mezia
und bathra; 4) die berühmte Münchener Handfchrift des
ganzen Talmud v. J. 1343 n. Chr.; 5) eine Handfchrift
der Bodlejana in Oxford, enthaltend Baba bathra. Aus
diefen Handfchriften, fowie aus alten Drucken und
anderenTextzeugen ergiebt fich ein reichhaltiger Apparat,
mittelft deffen von Marx eine eigene Textrecenfion
verfucht worden ift. Soweit fich ohne nähere Controle
urtheilen läfst, ift die Arbeit mit Sorgfalt gemacht.
Um fo auffallender find zwei fchlimme Verfehen in der
Ueberfetzung S. 22 f., wo in der Barajtha über die Verfaffer
der einzelnen Schriften zwei Schriften ganz ausge-
laffen find, nämlich Koheleth nach Canticum Canticorum,
und Daniel nach Duodec. Proph.

Giefsen. E. Schürer.

Lorenz, Palt. prim. Otto, Das Lehrsystem im Römerbrief.

Breslau, Woywod, 1884. (187 S. gr. 8.) M. 3. 60.

Ich bin in der angenehmen Lage, conftatiren zu
mühen, dafs meine Erwartungen bezüglich diefer Schrift,
wie ich fie in der Anzeige einer vorbereitenden Publi-
ja wahrffheinhch mit dem palaftinenfifchen Rabbi 1 ar- cation desfeiben Verf.'s angedeutet hatte (diefe Zeitfchrift

phon identifch ift, der mit Jofe dem Galiläer in perfön- | gg Nr } ubertroffen worden find. Damals gab L.

lichem Verkehr geftanden hat. Wenn alfo Trypho fofort
bereit ift, dem Juftin die genannte Conceffion zu machen,
fo fcheint er damit nur auszufprechen, was im Kreife
feiner heimathlichen Collegen bereits anerkannt war.

Giefsen. E. Schürer.

Marx, Lic. Gust. Arm., Traditio Rabbinorum veterrima de

librorum Veteris Testamenti ordine atque origine
illustrata. Lipsiae, Drescher, 1884. (60 S. gr. 8.)
M. 1. 60.

Aus jeder eingehenderen Gefchichte des Alttefta-
mentlichen Kanons ift jene Stelle des babylonifchen
Talmud (Baba bathra 14b—15a) bekannt, in welcher die
Reihenfolge der kanonifchen Bücher aufgezählt und die
Verfaffer der einzelnen Schriften angegeben werden (f.
z. B. Strack in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. VII, 417 f.).
Die Stelle zerfällt, wie fchon hiermit angedeutet ift, in
zwei Abfchnitte; fie handelt 1) über die Reihenfolge,
und 2) über die Verfaffer. Die Grundlage der ganzen
Stelle ift eine fogenannte Barajtha, d. h. eine aus dem
Zeitalter der Mifchna flammende aber nicht in die
Mifchna aufgenommene Tradition. Der Text diefer Barajtha
ift (wie bei jeder Barajtha) hebräifch und verhält-
nilsmäfsig kurz. Ueber ihn wird dann in aramäifcher
Sprache ein ausführlicher Commentar gegeben. Die
Stelle ift nicht ohne Intereffe, infofern wir aus ihr namentlich
die im talmudifchen Zeitalter giltige Reihenfolge
der kanonifchen Bücher erfahren, die nicht mit
unferer jetzigen identifch ift (die Reihenfolge der Propheten
z.B. ift: Jeremia, Ezechiel, Jefaja, kleine Propheten
). Was über die Verfaffer (oder genauer die Schreiber)
der kanonifchen Schriften gefagt wird, ift freilich fo
albern, dafs man es kaum noch intereffant nennen kann.

Diefe ganze Stelle ift nun in der obigen Schrift
von Marx zum Gegenftand einer monographifchen Behandlung
gemacht. Der Verf. giebt nach einer kurzen
Einleitung zunächft den Text felbft mit einem reichhaltigen
Apparat von textkritifchen Varianten (S. 13 — 19),
hierauf eine lateinifche Ueberfetzung mit Anmerkungen
(S. 20—27), endlich noch eine ausführliche Erläuterung
(S. 28—60j. — Der textkritifche Apparat ift
aus dem "grofsen Werke von Rabbinovicz (Variae
kctiones in Mischnam et in Talmud Babylonicum 1867 ff.)

eine Ueberfetzung und theils erläuternde, theils zufam-
menfaffende Umfchreibung des Römerbriefs, hier im
engften Anfchlufs an jene Vorarbeit eine fyftematifche
Darfteilung feines Lehrgehaltes.

Druckfehler find feiten und betreffen nur Kleinigkeiten
, die maffenhaften Citatzahlen faft ohne Fehler;
aufser dem ,felbftredend' S. 160 ift mir im Stil nichts
Nennenswerthes unangenehm aufgefallen. S. 28 hat Verf.
fich verfchrieben, er wollte das Gegentheil von dem,
was da fleht, fagen, nämlich ,neben den die böfe That
verwerfenden und die gute That rechtfertigenden Gedanken
'. Sonft ift die Sprache allerwärts, wie fie in
folchem Buche fein foll, fchlicht und klar. Griechifche
Worte dringen nur verfchämt einige Male herein; um
ihretwillen verlöre die Schrift den Anfpruch auf Allge-
meinvcrftändlichkeit nicht. Dafs auf Lefer in Laienkreifen
gerechnet wird, merkt man nicht gerade; eine
durchaus wiffenfehaftliche Haltung zu beobachten, ift
jedenfalls des Verf.'s Hauptforge gewefen. Die Namen
anderer Porfcher kommen auch in diefem Buche nicht
vor; ihre Anflehten aber werden verhältnifsmäfsig oft
befprochen, wenn nämlich L. fie für weit verbreitet hält
ohne fie billigen zu können: und bei allem, was er erwähnt,
entwickelt er die Gründe, welche für feine Pofition ent-
fcheiden. Dafs das Beweismaterial, foweit es dem Römerbrief
angehört, vollftändig herbeigefchafft wird, darauf
kann man fich verlaffen. Den Plan, den Verf. fich gefetzt
hatte, hat er von feinen Vorausfetzungen aus vollkommen
gelöft. Beinahe jeder Vers des Briefes (cap. 1 —14)
wird hier verwerthet für den Aufbau der paulinifchen
Theologie; mancher Vers viele Male; die Exegefe des
Verf.'s, wo fie nicht die übliche ift, eingehend vertheidigt;
der Aufbau felber ift logifch tadellos und mein Intereffe
ift durch das Buch hin fortfehreitend gewachfen; Anderen
wird es gewifs auch fo gehen, denn L. ift ein felbftän-
diger und originaler Forfcher. Allein das Lob felber
enthält zwei Befchränkungen und die find leider nicht un-
wefentlicher Natur. Weder den Plan des Verf.'s noch
feine Vorausfetzungen können wir billigen. Jeder, der
fich mit der paulinifchen Theologie befchäftigt, trauert,
dafs uns die Quellen dazu fo dürftig fiiefsen, und L.
kommt fich fo reich vor, dafs er den gröfseren Theil
diefer Quellen gar nicht fehen will? Er felbft hält
Galater- und Corintherbriefc für echt; wenn er ihren