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Ausgabe:

1885 Nr. 4

Spalte:

97-98

Autor/Hrsg.:

Graebner, Otto

Titel/Untertitel:

Ueber Desertion und Qasidesertion als Scheidungsgrund nach dem evangelischen Kirchenrecht, verglichen mit den Vorschriften des allgemeinen Landrechts über die bösliche Verlassung 1885

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 4.

98

Schrift ergangen; ich fah mich in meiner mehr allgemeinen
Darfteilung, der jenes neuzuverwerthende Material noch
nicht zu Gebote ftand, durchaus nicht zu einer Aenderung
meiner Anfchauung veranlafst, zu welcher ich den Stoff
aus den bis jetzt geöffneten Quellen zufammentrug. Dem- 1
nach hat m. E. die Schrift Ufteri's ihren Wert nicht fo- j
wohl in der Aufftellung neuer Gefichtspunkte, als in dem
fpeciellen Nachweis für eine auch fonft mit voller hiftori-
fcher Sicherheit zu eruirende Anfchauung. Aber das >
ift wertvoll genug!

Eines mochten wir beifügen. Das Streben, die Entwicklung
grofser Männer nach den verfchiedenen Ein-
Wirkungen, die fie erfahren, zu erklären, führt leicht in
die Gefahr, die Entwicklung als ein mechanifches, aggre-
gatmäfsiges Werden und Anwachfen erfcheinen zu laffen i
und die Originalität des Geiftes, der nicht der Sklave der
Einwirkungen bleibt, fondern fie beherrfcht, indem er fie
nach dem eigenen Gefetz feines Lebens zum Theil fich
innerlich felbftändiganeignet, theils ausfcheidet, zurückzudrängen
oder gar aufzuheben. Zwingli gehört zu den
originalen Geiftern und, wie er fleh überhaupt feiner
Selbftändigkeit ftark bewufst war, fo auch feiner Unabhängigkeit
in theologifchen Dingen; und dazu war er ein
durchaus wahrer Charakter, der von Selbfländigkeit nicht
fprach, wenn er fich nicht deffen feft bewufst war, dafs
er fie befafs. Ich will nur erinnern an Stellen in feinen
Werken wie I, 38. 79. 252 ff. 268 f. III, 48. 50. 544 u. j
f. w. Möge daher der Herr Verf. in feinen künftigen
Arbeiten, denen wir mit Dank entgegenfehen, fich nur
nicht zu voreiligen Schlüffen verleiten laffen, insbefondere
auch nicht in Betreff einer Abhängigkeit Zwingli's von
Luther; es fcheint mir doch, als ob der Herr Verf. für
möglich, ja für nothwendig finden möchte, eine Einwirkung
Luther's auf Zwingli bei dem Uebergang des Letzteren
vom chriftlich gefärbten Humanismus zum vollen
reformatorifchen Princip und Wirken anzunehmen. Eine
Gefammtausgabe feiner Forfchungen wird darüber Auf-
fchlufs geben.

Weilimdorf bei Stuttgart. Dr. th. Auguft Baur.

Graebner, Archidiac. Kloflerpfr. Otto, Ueber Desertion
und Quasidesertion als Scheidungsgrund nach dem evan-
gelifchen Kirchenrecht, verglichen mit den Vor-
fchriften des allgemeinen Landrechts über die bösliche
Verlaffung. Colberg, [Port], 1882. (VII, 67 S.
Lex.-8.) M. 2. —

Die vorliegende Arbeit ift eine Gratulationsfchrift,
welche von dem Verf. dem Präfidenten des Confiftoriums
der Provinz Pommern Herrn Dr. Heindorf bei feinem
50jährigen Dienftjubiläum am 12. October 1882 überreicht
wurde, jedoch dem Ref. erft jetzt zur Kenntnifs
gekommen ift. Es mag indeffen noch nicht zu fpät fein,
hier auf diefelbe aufmerkfam zu machen. Sie giebt eine
höchft achtungswerthe Probe kirchenrechtlicher Gelehr-
famkeit, wie fie unter unferen praktifchen GeifUichen
feiten zu finden fein möchte. Die Schrift bietet im
Grunde mehr, als der Titel verhcifst. Indem fie, immer
flreng quellenmäfsig, die Entwickelung der Anfchau-
ungen über Defertion und Quafidefertion im altprote-
ftantifchen Eherecht darftellt, bringt fie zur Anfchauung,
wie fich durch allmähliche Erweiterung des urfprung-
lichen Begriffs aus demfelben eine Reihe von Analogien
herausgebildet und in der Theorie und Praxis Geltung
erlangt hat, welche fich dann fchliefslich als L lbftändige
Scheidungsgründe loslöften, als man nicht mehr das Be-
dürfnifs empfand, fich principiell an die zwei fogenannten
fchriftmäfsigen Scheidungsgründe zu halten. In der
grundlegenden Stelle 1 Cor. 7, 5 findet der Verf. zwar
die Anerkennung der Defertion" als Scheidungsgrund
nicht ausgefprochen, da er das nv deäovkorttu nicht von
der Trennung der Ehe vom Bande verfleht — worüber

fich ftreiten liefse, — erkennt diefelbe jedoch in fach-
gemäfs principieller, nicht gefetzlicher Auffaffung der
Worte Jefu über die Scheidung als einen chriftlich zu-
läffigen Scheidungsgrund an. Im Uebrigen ift die Dar-
ftellung durchaus objectiv referirend. Dass hinfichtlich
des Umfangs dem altproteftantifchen Kirchenrecht der
Löwenantheil zufällt, wahrend die Sätze des Allgemeinen
Landrechts (nebft den an einigen Stellen hinzugenommenen
des neueren Reichsrechts) auf verhältnifsmäfsig
fehr knappem Raum daneben erfcheinen, liegt in der
Natur der Sache. Im Einzelnen findet fich nur feiten
Anlafs zu Bemerkungen. Ein Mifsvcrftändnifs ift es,
wenn S. 42 die Reformationsordnung der Synode von
Homburg in Heffen (1526) unter den Kirchenordnungen
erwähnt wird, welche die Ehejurisdiction den Bifchöfen
übertragen: der Bifchof im Sinne jener Ordnung ift der
Pfarrer. Ebenfo find die reformirten Confiftorien, welche
die Genfer Ordnung von 1541 meint, mit den landesherrlichen
Confiftorien der lutherifchen Kirchenordnungen,
weil ganz anderer Art als diefe, nicht in eine Reihe zu
ftellen (S. 41). Die Jahrzahl 1552 S. 46 ilt offenbar
ein Druckfehler.

Darmitadt. K. Köhler.

Kurzgefasste Mittheilungen.
Berliner, Dr. A., Beiträge zur Geographie und Ethnographie
Babyloniens im Talmud und Midrafch. Berlin, Gorze-
lanczyk & Co., 1884. (71 S. gr. 8.) M. 3. —

Eine fehr forgfältige Zufammenftellung der auf die Geographie Babyloniens
bezüglichen Notizen im babylonifchen Talmud. Die Vollftän-
digkeit in der Sammlung des Materiales würde nur ein im Talmud ganz
gründlich Bewanderter zu beurtheilen im Stande fein. Der Name des
Verfaffers berechtigt uns aber, das befte Zutrauen zu feiner Arbeit zu
haben. E. S.

Menegoz, E., Le bapteme des entants d'apres les principes
de la theologie Paulinienne (Revue chretienne 1884
avril, p. 234—248).

Auf diefe kleine aber gehaltvolle Arbeit möchten wir wenigftens an
diefer Stelle in Kürze aufmerkfam machen. Der Verf. geht aus von
den bekannten Stellen, wo von der Taufe ganzer Familien die Rede ift
(Act. 16, 15. 33. 18, 8. I Cor. 1, 16), und fchliefst daraus, dafs bei
der Bekehrung einer Familie auch die Kinder getauft worden feien.
Andererfeits verweift er aber mit Recht auf I Cor. 7, 14, aus welcher
Stelle vielmehr hervorgehe, dafs die Kinder chriftlicher Eltern nicht
getauft worden feien. Denn der Apoftel wolle dort nachweifen, dafs
durch die Zugehörigkeit einer Frau oder eines Mannes zur chriftlichen
Gemeinde auch der andere ungläubige Ehegatte doch in gewiffem Sinne
.geheiligt', d. h. der chriftlichen Gemeinde angefchloffen fei, obwohl er
nicht formell in diefelbe aufgenommen fei. Zum Beweife dafür berufe
fich Paulus auf die Kinder, mit welchen es fich ja ebenfo verhalte.
Alfo — fo fchliefst Mönegoz mit Recht — feien die Kinder nicht getauft
w< rden. Die Frage, ob Paulus die Kinder getauft habe, fei
daher theils mit ja, theils mit nein zu beantworten. Getauft
wurden die Kinder bei Bekehrung ganzer Familien, nicht getauft wurden
dagegen die in einer chriftlichen Ehe geborenen Kinder (S. 242). — Die
von dem Verf. gegebene richtige Auslegung von I Cor. 7, 14 dürfte freilich
auch zur Verneinung der erften Hälfte feiner Thefe führen. E. S.

Delitzsch, Geh. Kirchenr. Prof. Dr. Franz, Die revidierte
Lutherbibel. Appell an die lutherifche Kirche. Leipzig,
Dörffiing & Franke, 1884. (28 S. gr. 8.) M. —. 80.

In diefem Vortrage fordert der Verf. die Lutheraner auf, die Bedenken
gegen die revidiite Lutherbibel fahren zu laffen. Alles, was er über die
Nothwendigkeit einer Revifion fagt, ift ebenfo wahr als warm empfunden.
Aber eine neue Revifion der Bibel, die im N. T. nicht von dem beften
Texte ausgeht, fcheint uns Stückwerk und noch weniger als das. Erft
die Bibel, und dann die Lutherbibel. Das ift auch die Meinung des
Verfaffers, wie er diefelbe bereits i. J. 1863 in einer Abhandlung vorgetragen
hat, die in dankenswerther Weife nun feinem Vortrage beigegeben
ift (S. 21—28). Aber die Grundfätze, die er dort vertritt, und die Grund-
fätze, welche die Reviforen wirklich angewendet haben, ftimmen nicht.

Backhouse, Edward, Early church history to the death of
Constantine. Edited and enlarged by Charles Tylor.
London, Hamilton, Adams & Co., 1884. (XXII, 553 S.
m. eingedr. Holzfchn., 8 Chromolith., 2 Radirgn., 14
Photogr. u. 1 Karte.) # 6. —

Der Werth diefes Werkes liegt in feinen vorzüglichen Abbildungen
(Holzfchnitten, Kupferfticlien, Photo- und Chromolithographien); eine fo