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Ausgabe:

1885

Spalte:

96-97

Autor/Hrsg.:

Usteri, Joh. Mart.

Titel/Untertitel:

Zwingli und Erasmus. Eine reformationsgeschichtliche Studie. Ergänzende Beigabe zu der Festschrift des Verfassers über Zwingli 1885

Rezensent:

Baur, August

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Ae aus Ueberhebung (vßQig) hervorgegangen, mit Selbstgefühl
zurück. Bift du, meine Herrin, nicht ebenfalls von
Gott gefchaffen? auch du bift Creatur wie ich, nicht Aus-
Aufs des göttlichen Wefens. Erft beide Theile machen
den Menfchen aus, auch ich als Leib gehöre zur Darfteilung
des göttlichen Ebenbildes, daher meine erhabene
nach Oben gerichtete Geftalt, daher die Ausrüstung,
welche mich in den Stand fetzt, alle Thiere zu beherr-
fchen. Nicht zum Sklaven bin ich berufen, fondern um
Theil zu nehmen an den geistigen Thätigkeiten, folglich
auch an der Menfchenwürde felber, wie Ae Ach auch im jen-
feitigen Leben offenbaren foll. Meinem Wefen nach bin
ich allerdings auf die Nahrung angewiefen, diefe aber ift
nach dem Naturgefetz stets mit einer Annehmlichkeit
verbunden, von welcher aus auch der Geist gestärkt wird.
In der That aber werden beide Hälften des Menfchen I
von eigenen Gefetzen regiert. Andere Lebensmittel
fordert der Geift, andere der Unterhalt; ohne Begehrung i
kann ich nicht beftehen, auch wachfen meine Bedürfnifse !
mit den Jahren. Darum aber wird doch Niemand fein j
eigenes Fleifch haften. Sollte der Hunger fchon einem I
sündhaften Verlangen gleichgestellt werden: wie viel mehr
würde dies von jener anderen Sinnlichkeit gelten, die '
zur Zeugung gehört! Auch liegt in der irdifchen Befchäf-
tigung nichts Entwürdigendes für den Geift; Paulus ift
in den dritten Himmel erhoben worden und hat Ach doch
nicht gefchämt, als Zeltmacher feinen Unterhalt zu erwerben
. — Von nun an geht die Vertheidigung immer
energifcher zu Werke, um ein Doppeltes nachzuweifen,
theils dafs die Seele dem Leibe und deffen Gefchicklich-
keit und Kunst Grofses verdanke, theils dafs der Leib an I
den ihm zur Last gelegten Ausfchweifungen felber keine ;
Schuld trage. Schon für den Sündenfall, heifst es, bift
du mit deinem Ungehorfam, nicht ich mit meinem Annlichen
Wohlgefallen verantwortlich. Du bift die Oberin,
und alle Vertheilung ift dir in die Hand gegeben, ich
felbft gehorche, fobald mir nur richtig geboten wird; j
aber statt das Fleifch in Schranken zu halten, reizest du
es, und statt die Luft zu zähmen, dienst du ihr. Darum
feid Ihr fchlechte Haushalter und Heuchler, indem ihr
uns befchuldigt, statt euerer eigenen Fehler zu gedenken.
Euch trifft die Fabel von der Schlange, deren Schwanz
Ach über den Kopf beklagt, von welchem die Bewegung
ausgeht, während Ae felber Ach am anderen Ende
windet und dreht. Dazu kommt noch ein anderer Umstand.
Es ift der Leib, welcher als das Medium der Erfcheinung
auch die Herablaffüng Gottes zu den Menfchen vermittelt
hat, und derfelbe Leib, in welchem allein Leid und Schmerz
empfunden werden, ermöglicht auch dem Sünder den Weg
zur Reue, Bufse und Rückkehr, alfo zu einem Wiedergewinn
des Heils, welches den gefallenen unbeleibten
Engeln für immer verfchloffen bleibt: ti ydg xv ä'Cvyijg
euov v.ui duwxiaxog (») iiwyj'j), ort)' av xrv <xQxr)v ei%e fiexa-
vneiv diiaQxävovoa, wg ovÖe Ol y.axauinxovxeg uyyeXai.
vvv de xcrt xovxl xayafrnv %eyaQioxai oi dicc xxyv i/uijv
av'Cev^iv (p. 35). Der letzte Gedanke ift wohl zu beachten,
da er auch anderweitig von jüngeren Griechen ausge-
fprochen wird.

Fürwahr der Leib hat Ach tapfer zur Wehre gefetzt.
Auch läfst Ach fchon vermuthcn, dafs auch das Schlufs-
urtheil der Richter zu deffen Gunsten ausfallen wird, es
gefchieht jedoch mit einiger Härte. Der Spruch lautet :
Wenn du Seele zwifchen der vernünftigen und der ver-
nunftlofen Pfyche einen Gegenfatz aufrichten willst: fo
verfällst du in den Dualismus der Manichäer. Meinst du
aber nur über die MafsloAgkeit und den Widerstand des
dir untergebenen Fleifches Befchwerde führen zu follen:
fo klagft du an was unfchuldig ift. Denn mufs nicht jeder
Feldherr, Lehrer oder Auffeher die Verantwortung
dafür tragen, was durch Nachläffigkeit der Führer ver-
fchuldet wird? Und das wufsten fchon die Philofophen,
denn Ae haben, wenn ein Jüngling ausfehweifend war,
immer nur deffen Erzieher gefcholten. Berufst du dich

aber auf den Apostel Paulus: fo wiffe, warum er das
Fleifch angeklagt hat, weil vor der Erfcheinung des Herrn
der Tod furchtbar war, und furchtbar der die Macht des
Todes hat. Und deshalb wird bei Jefaias gefagt: Laffet
uns effen und trinken, denn morgen sterben wir.

Ref. fügt noch hinzu, dafs wer nur das patriftifche
Griechifch kennt, in diefem periodifchen, langathmigen,
mit feltenen Wortfügungen angefüllten Stil langfam fortkommen
wird, doch nur für den Anfang. Gewifs aber
wird der Freund der Dogmengefchichte mit Vergnügen
anerkennen, dafs felbft in diefem fpäten Zeitalter des
Griechenthums Geift und Lebhaftigkeit des Denkens und
der Rede noch nicht abhanden gekommen waren.

Heidelberg. Dr. Gafs.

Usteri, Pfr. Job. Mart, Zwingli und Erasmus. Eine refor-
mationsgefchichtliche Studie. Ergänzende Beigabe zu
der Feftfchrift des Verfaffers über Zwingli. Zürich,
Höhr, 1885. (39 S. gr. 8.) M. —. 80.
Der Verfaffer, den wir als Aeifsigen Forfcher auf dem
Gebiete feiner heimatlichen Reformationsgefchichte fchon
kennen, läfst hier feiner von uns in diefer Zeitung (1884
Nr. I) angezeigten und empfohlenen Feftfchrift über
Zwingli, als einen ,Martin Luther ebenbürtigen Zeugen
des evang. Glaubens' eine Ergänzung folgen, die ihre
Vcranlaffung hat in dem Tadel eines fonft ,wohlwollenden
Recenfenten', dafs in der PAftfchrift ,auf den EinAufs des
Erasmus nicht genug eingegangen fei'. Diefer Ergänzung
follen fpäter auch noch andere folgen, zuerst in einer
theologifchen Zeitfchrift, dann vielleicht zufammengefafst
mit diefem erften Heft in einem Separatabdruck. Vermutlich
werden diefe Ergänzungen den EinAufs Luthers
auf Zwingli in den Anfängen feiner Entwicklung, aucli
die viel (und wie mir fcheint mit Recht) beftrittene Abhängigkeit
von Pico della Mirandola, die Einwirkung einzelner
Kirchenväter aufZwingli's Theologie etc. behandeln.
Der Verfaffer wünfeht, dafs durch Jene Arbeit und auch
fchon durch vorliegende Probe auf die am wenigsten aufgehellte
Periode im Leben des Reformators neues Licht
fallen' möge. Die Beftrebungen des Verfaffers haben ihren
Ausgangspunkt und ihre wefentliche Unterstützung in den
,noch vorhandenen Ueberreften von Zwingli's Bibliothek
mit zahlreichen handfehriftlichen Einträgen', die nun ,für
die Gefchichte feiner Studien und feiner Geiftesentwick-
lung verwertet und ausgebeutet werden'. Mit der Hebung
diefer Schätze erwirbt Ach der Herr Verfaffer gewifs ein
grofses Verdienft und wir können nur von Herzen den
Wunfeh ausfprechen, dafs es dem Herrn Verfaffer vergönnt
fein möge, feine Arbeit als Ganzes möglichft fchnell
zu fördern und dem Publicum vorzulegen. Es ift dies
auch mein perfönlicher Wunfeh; denn für den im Laufe
diefes Frühjahrs bei Max Niemeyer in Halle erfcheinen-
den erften Band meiner Theologie Zwingli's
möchte ich doch gern noch die Forfchungen des
Herrn Verf.'s benützen. Diefes erfte Heft kam mir gerade
noch günstig in die Correctur der erften Bogen meiner
Arbeit hinein. Dennoch möchte ich folgendes bemerken:
So gar wenig aufgehellt fcheint mir diefe Vorbereitungsperiode
Zwingli's denn doch nicht, wie der Herr Verf.
meint. Die Kenntnifs von dem, was Zwingli in Glarus
ftudirte und arbeitete, wie er Ach entwickelte, vermögen
wir allerdings nicht chronologifch mit einzelnen Daten
zu verfolgen. Aber was wir aus feinem Briefwechfcl
haben und in feinen Schriften als Documcnten über feine
gelehrte Bildung befitzen, fodann alles das, was uns aus
1 der Entwicklung des Humanismus zur Jugendzeit Zwingli's
I bis zu feinem Eintritt in Zürich bekannt ift, giebt uns doch
' alles in allem ein fo Acheres und feftes Bild von feiner
j Geiftesentwicklung, dafs durch die Forfchungen, wie Ae
Ufteri unternimmt, die Gefammtanfchauung nicht verändert
, fondern nur durch Einzelbelege beftätigt werden
kann. So ift es mir wenigftens mit der vorliegenden