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Ausgabe:

1885 Nr. 4

Spalte:

93-96

Autor/Hrsg.:

Jahn, Alb.

Titel/Untertitel:

Gregorii Palamae, Prosopopoeia animae accusantis corpus et corporis se defendentis, cum indicio 1885

Rezensent:

Gass, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 4.

94

Gregorii Palamae, archipiscopi Thessalonicensis, Pro-
sopopoeia animae accusantis corpus et corporis se defen-
dentis, cum iudicio. Aureolum libellum, philologis,
philosophis et theologis aeque comrnendabilem, post
Adr, Turnebum graece denuo scparatim editum emen-
davit, annotavit et commentariolo instruxit Dr. Alb.
Jahn. Halle, Pfeffer, 1884. (XII, 61 S. mitfcfm. Titeibl,
der Ausg. v. 1553 gr. 8.) M. 2. 75.
Diefes merkwürdige Büchlein ift fchon 1553 zu Paris
von Turnebus griechifch veröffentlicht worden, und Ca-
faubonus gab ihm den Namen einer Profopopoeie; nachher
gerieth es in Vergeffenheit, und ift auch durch die
lateinifche Ueberfetzung in der Bibliothcca maxima patruni
Lugd. Tom. 26 fowic durch die Aufnahme der Opera
Palamae in Migne's Patrologie Tom. 150. 51 nicht bekannter
geworden. Aus der üogmengefchichte wufste
man nur, dafs Palamas vor der Mitte des 14. Jhdts. an
dem Hefychaftenftreit und zwar zu Gunften der Athos-
moncheTheil genommen hat. Die vorliegende Erneuerung
diefer Schrift ift daher entfehieden verdienftlich; indem
Ref. dem gelehrten und durch frühere Studien längft
namhaft gewordenen Herausgeber für diefe literarifche
Gabe dankt, möchte er zugleich den Lefer in den Inhalt
der Mittheilung kürzlich einführen.

Das Verhältnifs von Leib und Seele hat als Problem
der Schöpfung die chriftlichen Denker aller Zeiten be-
fchäftigt, aber es konnte ungleich verftanden werden.
Entweder man ging von der natürlichen Einheit des Men-
lchenwefens aus und warf die Frage auf, wie diefelbe zu erklären
fei, wie namentlich bei der fpeeififchen Verfchie-
denheit von Leib und Seele dennoch eine Einwirkung
der letzteren auf den erfteren vorftellig gemacht werden
könne; oder man legte den Dualismus zweier einander
durchaus fremdartigen und dennoch auf einander an-
gewiefenen Factoren zum Grunde, dann aber mufste er-
forfcht werden, in welcher höheren Zweckbeftimmung
diefe Zweithciligkeit ihre Rechtfertigung finde und welche
Frucht fie bringe, weil fonft die Menfchenbildung felber
zum Räthfel werde. Die erfte Auffaffung lag dem Abendlande
näher, und mit ihr hängen die neueren Hypothefen
vom Occafionalismus und der präftabilirten Harmonie zu-
fammen; die andere hat vorzugsweife den Griechen als
den Spiritualiften gefallen. Schon Gregor von Nazianz
verweilte ernft und nachdenklich bei der Betrachtung der
in fich felbft gefpaltcnen Menfchennatur, er findet fie nur
aus der Weisheit des göttlichen Rathfchluffes begreiflich;
Gott felbft habe die hochgeborene Seele darum in den
irdifchen Leib verfetzt, damit fie von Unten herauf erzogen
und von körperlichen Schwächen und Schranken
umgeben ihrer höheren Abkunft und Beftimmung defto
grundlicher inne werde. Aehnliches ift von Späteren
wiederholt worden. Palamas aber giebt dem Problem
eine originelle Einkleidung. Er denkt an die üblichen
Vergleichungen vom Reiterund Rofs oder vom Jäger und
Rofs und Hund, oder an den natürlichen Organismus,
welcher weit genug fei, um allen Thätigkeiten einen Sitz
zu gewähren; zuletzt beruft er fich mit Paulus auf den
Antagonismus des inneren und äufseren Menfchen. Kein
Zweifel alfo, dafs der Gegenfatz als folcher anerkannt
werden mufs, es fragt fich nur, wie diefer endlofe Wider-
ftreit zu fchlichten fei. Um dies zu veranfehaulichen,
denkt fich Palamas eine Art von Gerichtsverhandlung;
er läfst beide Theile wie Opponenten nach einander auftreten
und ihre Sache führen, zuletzt nehmen die Bei-
fitzer das Wort, und ihnen wird das entfeheidende Ur-
theil anvertraut.

Natürlich ift es die Vernunftfeele (tpir<) ^"/r/.il), welche
mit Klagen über die Befchwerden und Unehren, die der
Leib als der ihr angetraute Gemahl (r/rLV/rjc) über fie gebracht
hat, die Verhandlung eröffnet. Bin ich doch, ruft
fie, göttlichen Gefchlechts, Spröfsling eines höheren Adels,

] Hauch und erftes Abbild Gottes, Königin über alles Sicht-
bare. Die Urgüte hat die Idealwelt gefchaffen, ihr Aus-
I zug ift der Geiftesmenfch; in mir ift die intelligible Natur
mit der finnlichen, das Herrfchende mit dem Dienenden,
das Himmlifche mit dem Irdifchen gepaart, aus welchem
i Grunde, weifs ich nicht, vielleicht damit auch der körperliche
Theil zur Aphtharfie und Unfterblichkeit gelange,
ich felber aber Demuth lerne, um nicht wie Lucifer durch
den Abfall für immer von Gott getrennt zu werden. Dennoch
ift meine Klage und Anklage gerecht. Schon im
Mutterleibe bin ich dem Staube und dem Begräbnifs verfallen
und mufs ausharren in dem körperlichen Gefäng-
nifs. Nicht wie die Thiere darf ich mich der Geburt
freuen, fondern mufs alle Leiden der leiblichen Entwicklung
in blinder Gcdankenlofigkeit über mich ergehen laf-
fen, dem Hunger und Dürft täglichen Tribut zahlen, ja
es erdulden, wie meine eigenen Fähigkeiten frühzeitig von
Zorn und Begierde unterdrückt werden, — eine Knecht-
fchaft, über welche nur Wenige als die Enthaltfamen erhoben
find. Alle Lüfte wachfen unaufhaltfam empor, daher
das Trachten nach dem Koftbaren und Gefuchten;
mag der Vernunftantheil mit dem ,Landwein' fich begnügen
, der Sinnenmenfch verlangt nach dem bellen, für
ihn müffen Kleider und Nahrungsmittel aus der Ferne
herbeigeholt werden. Ja wenn der Leib nur gemäfsigte
Anforderungen Mellen wollte, ich würde zufrieden fein,
nun aber benutzt die fleifchliche Begierde jedes natürliche
Bedürfnifs, um es bis zu üppiger Schwelgerei auszubeuten
. Die Affecte reifsen meine Befinnung liftig
oder gewaltfam mit fich fort; von Zorn und Begierde
wird der ganze Haufe der Leidenfchaften entfeffelt. Wohl
mache ich den Verfuch, über die (Ochlokratie' der Sinne
meine Oberhoheit zu wahren: dennoch ergeht es mir wie
einer vornehmen Jungfrau, die ihrer Eltern beraubt allein
fleht; fie fieht fich von zahlreichen Mägden umgeben,
aber ungeübt im Regieren wird fie verachtet oder mufs
I mit ihnen gemeinfame Sache machen; nachher erkennt
fie zwar ihre gefährliche Lage, aber es ift zu fpät, denn
jetzt flehen jene Zuchtlofen wider fie felber auf. —• Im
Folgenden wird diefe Empörung der zur Dienftbarkeit
beftimmten Glieder gegen die Autonomie der Seele einem
Kriege verglichen und weiter ausgemalt. Wer diefe Ge-
I walt zu brechen unternimmt, von dem gilt das Sprüch-
j wort, als wollte er .einen Stein kochen, die Luft peitfehen,
1 einen Aethiopier weifs färben, die Flammen fchneiden,
j im Waffer fchreiben, aus dem Sande einen Strick drehen'.

— Hierauf wird das Thierifche nochmals in Vergleich ge-
I zogen; felbft Löwen find gelehrig und Elephanten nehmen
| einige Zucht an, in ihnen feheint das Unvernünftige alfo
1 gehorfamer als im Menfchen, wo es doch von der Natur
J felber der Vernunftherrfchaft unterworfen ift. Welch'
eine Verkehrung! Auch lag es nahe, das unziemliche Be-
1 tragen noch genauer als Ausgelaffenheit der Ohren, Augen
und der Zunge zu befchreiben. Die Natur, fügt das
redende Seelenich hinzu, droht mit fich felber zu zerfallen
, wenn fie beftändig ihre eigenen Bedürfnifse zum
Anknüpfungspunkt für eine fleifchliche Uebermacht werden
läfst. Welch ein Abftand zwifchen ryofprj und rpi'<r>T(',
und dennoch werde ich immer auf's Neue von dem Einen
| zum Andern, von dem Nothwendigen zu den Exceffen
j einer unerfättlichen Willkür hingetrieben, jeder Entfchlufs
I zur Mäfsigung wird zum Spott unter dem Andrang neuer
| Begierden. Von allen diefen Uebeln trägt der Leib mit
feinen Gliedern und Trieben die Schuld. Im höheren
| Lebensalter hört allerdings diefe Begehrlichkeit auf, aber
dafür verfagt der Körper in anderer Beziehung feine
Dienfte.

Dahin lautet die Anklage. Was hat nun der Leib
auf fo fchwere Befchuldigungen zu erwidern? Er läfst
| fich durchaus nicht fchrecken, ja er ift geneigt, das Verhältnifs
umzukehren und felbft zum Ankläger zu werden.
■ Nach einer feurigen Anrede an die Richter weift der Re-
I präfentant des fichtbaren Menfchen diefe Vorwürfe weil