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Ausgabe:

1885 Nr. 3

Spalte:

64-67

Autor/Hrsg.:

Kawerau, Gust.

Titel/Untertitel:

Der Briefwechsel des Justus Jonas. Gesammelt und bearb. 1. Hälfte 1885

Rezensent:

Enders, Ernst Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 3.

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aneigne, jedenfalls gelten muffe: si duo faciuul idem,
non est idem. Dafs nun L. nicht nur im Apoft. Symbo-
lum einen genuinen, aus der h. Schrift fein kurz zufam-
mengefafsten Ausdruck des Glaubens anerkennt, fondern
auch in den trinitarifchen und chriftologifchen
Beftimmungen der ökumenifchen Symbole eine zutreffende
Präcifirung deffen was die Schrift von Gott und
Chriftus lehre, erkennt er vollkommen an. Er erinnert
aber, Luther faffe das Apoftolicum nicht als eine Zu-
fammenfaffung particulärer Elemente der evangelifchen
Lehre, zu denen als Ausdruck der fpecififch evangelifchen
Heilserkenntnifs noch andere hinzukommen müfsten, fondern
gerade als umfaffende Gefammtdarftellung, in welcher
er fchon alle feine eignen Erkenntnifse finde, er pro-
teftire gerade von hier aus gegen die römilche Kirche,
welche ,viel Abgötterei neben dem fchönen Bekenntnifs
aufgerichtet' habe. Es feien immer religiofe Gefichts-
punkte, von denen er fein Urtheil über die alten Symbole
überhaupt beftimmen laffe (das heifst doch wohl:
nicht metaphyfifche, fpeculative). In der That zeigt er
nun in feinfinniger Weife nach verfchiedenen Seiten hin,
einmal, dafs Luther's Auslegungen des Apoftolicums
überwiegend von Gefichtspunkten des praktifch chrift-
lichen Rechtfertigungsglaubens aus beftimmt werden, und
fodann, dafs auch bei der nachdrücklichen Betonung der
Concilbeftimmungen über die Trinitätslehre und des in
ihnen ausgefprochenen unbegreiflichen Myfteriums er das
Intereffe von dem blofsen Myfterium ab und auf die
praktifche Tragweite der Thatfachen der erlöfenden
Offenbarung Gottes hinlenken wolle. Mit derfelben Ab-
zweckung wird auf den eigenthümlichen Nachdruck hin-
gewiefen, den Luther darauf lege, dafs gerade in der
Menfchheit Chrifti Gott gefeiten werden müffe, in der
gefchichtlichen Erfcheinung der Erkenntnifsgrund für
die Realität der erlöfenden Liebe und Macht Gottes, und
ebenfo darauf, dafs er (,die drei Symbole') die Ausfagen
des Apoftolicums nicht in ihrer Ifolirung, fondern nur
in ihrer Verbindung für religiöfe und heilsvermittelnde
Glaubenserkenntniffe erkläre, nämlich die Ausfagen, dafs
Chriftus Gott, dafs er Menfch fei, und dafs er das und
das für uns gethan habe; diefe Seiten feien alfo als
wechfelfeitig fich bedingende zu faffen. Das heifst alfo
doch z. B., dafs Chriftus Gott und die 2. Perfon der
Trinität fei, ift in diefer Ifolirung gar kein für fich werthvoller
Theil der Glaubenserkenntnifs, fondern hat feinen
religiöfen Werth lediglich darin, dafs es in Chriftus eben
Gott ift, der fich des Menfchen annimmt, und wäre ohne
diefe Beziehung gar kein Glaubensartikel. Das ift ge-
wifs richtig; nur mufs man eben daran erinnern, dafs in
Luther's Sinn eben dies wechfelfeitige Verhältnifs auch
nöthigt zu fagen, dafs Chrifti Werk kein Gegenltand des
Glaubens wäre, wenn er nicht Gott und Gottmenfch
wäre, und dafs er die fymbolifchen Ausfagen der alten
Kirche hierfür für richtig und der Schrift entfprechend
hält. Wenn nun K. weiter richtig betont, dafs Luther
überhaupt dem Gedanken einer fortfchreitenden gefchichtlichen
Lehrentwicklung fern ftehe, und die Concilbeftimmungen
ihm nur erfcheinen als das unmittelbar fich
ergebende Refultat der Behauptung der alten und iden-
tifchen chriftlichen Lehre, wie fie aus der Schrift zu erheben
ift, gegen häretifche Angriffe, fo ift freilich damit
fchon gefagt, dafs er jene vom Verfaffer bekämpfte
dogmengefchichtliche Anfchauung nicht theilt. Indeffen
fcheint mir K. (S. 40ff) etwas zu künfth'ch an der fchein-
bar entgegenftehenden Aufftellung der fchmalkaldifchen
Artikel fich abzumühen. Wo es fich um lehrhafte Aus-
einanderfetzung der ftreitenden Parteien handelt, die fich
in Artikeln verftändigen follen, da kann es eben nicht
in Betracht kommen, dafs Luther dem Papft und feinem
Reich den Vorwurf macht, er entleere den alten Kirchenglauben
feines Gehalts, oder auch, er habe es im Buche
aber nicht im Herzen (23, 250), dafs er alfo das Comple-
ment vermifst, welches jene Lehrausfagen erft zu Glaubensartikeln
macht und ebendarum im alten ,Glauben'
der Kirche für ihn bereits vorhanden ift. Er ift ge-
nöthigt, letzteres doch als befondern Artikel Stands et
cadentis ecelesiae ausdrücklich herauszuftellen, als den,
von welchem nicht gewichen werden könne. Und fo er-
fcheint denn doch dem gegenüber das von beiden Parteien
übereinftimmend Anerkannte wie eine gemeinfame
Lehrbafis, unangefehen in wie weit die Papftkirche fie
nach Luthers Anficht religiös entwerthet oder nicht.
Wichtiger aber fcheint mir endlich die Präge, in wie
weit für Luther die ökumenifchen Symbole unter dem
Gefichtspunkt der doctrina publica erfcheinen ja, ob er
überhaupt ftreng genommen eine doctiina publica neben
der Schrift kenne. K. macht zunächft geltend, dafs die
Symbole ihm nicht unter dem Merkmal der Begrifflich-
keit zuerft in Betracht kommen. Beim Apoftolicum ift
j diefer Gefichtspunkt freilich nicht anwendbar. Beim
! Nicänum und Athanafianum läfst fich einwenden, dafs
j Luther, wie K. nicht verhehlt, gelegentlich wenigftens
einen recht hohen Werth gerade auf die dialektifche
| Entwicklung jener Formeln legt, ja dem Vorgehen der
Väter gegen Arius, die durch die aufgeftellten Urmini
fchliefslich dem Gegner jeden Ausweg verrammelt und
den Artikel von der Gottheit Chrifti ,erftritten' haben
(30, 400), eine grofse Bedeutung zumifst. Gleich wohl
wird K. in der Hauptfache Recht haben, infofern für
Luther hinter der vom Glauben vorausgefetzten Identität
feines Inhalts von Anfang an der felbftändige
Werth der gefchichtlich präcifirten Lehrformel immer
wieder zurücktreten mufs. Endlich aber, glaube ich, wird
fich dagegen nichts einwenden laffen, dafs, wenn man
unter doctrina publica ,eine kirchlich fanetionirte, durch
befondere kirchliche Action erarbeitete und ein für allemal
geheiligte fpecififch für die Predigt gültige Gedankenform
' verliehe, Luther felbft den Gedanken einer
folchen evangelifchen Kirchenlehre neben der Schrift
noch gar nicht kenne.

Kiel. W. Möller.

Kawerau, Prof. geiftl. Infp. Dr. Gült., Der Briefwechsel
des Justus Jonas. Gefammelt u. bearb. 1. Hälfte.
[Gefchichtsquellen der Prov. Sachfen, 17. Bd. 1. Hälfte.]
Halle, Hendel, 1884. (XVI, 447 S. gr. 8.) M. 10. —

Von welcher Bedeutung für eine genauere Kennt-
nifs der Reformationsgefchichte die hinterlaffenen Briefe
aus jener Zeit find, braucht für den Kundigen nicht erft
nachgewiefen zu werden, auch hat fich Referent an einer
anderen Stelle (vgl. Theol. Ltztg. 1883 Sp. 251) bereits
darüber ausgefprochen. Es war daher ein längft gefühltes
Bedürfnifs, neben dem Briefwechfel der Haupt-
j helden der Reformation, wie uns folcher für Luther in
! der Sammlung von de Wette, Seidemann und in den
Nachträgen von Burkhardt und Kolde vorliegt und der
Unterzeichnete in feiner neuen Bearbeitung von Luthers
Briefwechfel ihn zu geben bemüht ift, wie er uns ferner
für Melanchthon und Calvin in den betr. Bänden des
Corp. Ref. dargeboten ift, auch die Correfpondenz der
Männer zu befitzen, welche, wenn auch nicht mit gleicher
; genialer Macht, fo doch immerhin als Gehülfen dergrofsen
Reformatoren an der Ausgeftaltung jener Zeit mitarbeiteten
und beftimmend auf fie einwirkten. Zwar waren
auch ihre Schriften und Briefe mit hineingezogen in den
weitumfaffenden Plan, welchen das Corp. Ref. urfprüng-
lich fich geftellt hatte, aber die Hoffnung auf feine Ausführung
ift längft fchon gefchwunden. Mit befonderer
Freude begrüfsen wir daher den uns vorliegenden erften
Band des Briefwcchfels von Juft. Jonas, welchen wir dem
durch feine Studien auf dem Gebiet der Reformationsgefchichte
vor Anderen dazu berufenen Prof. D. Kawerau
verdanken. Wer es weifs, welche Mühe das Aufftöbern
der in den verfchiedenften Bibliotheken und Archiven