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Ausgabe:

1885 Nr. 26

Spalte:

638-641

Autor/Hrsg.:

Haupt, C.

Titel/Untertitel:

Materialien für liturgische Gottesdienste 1885

Rezensent:

Schlosser, Georg

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 26.

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Verf. näht einen neuen Lappen auf ein altes Kleid,
daher kommt weder die Caritas noch die Forderung der
Lehreinheit zu ihrem Recht. Woher aber der neue Lappen
flamme, verräth der Verf. der Vorrede, wenn er zur Erklärung
des guten deutfehen Stiles des Verf.'s fagt, dafs
der Brieffchreiber deutfehen und auch evangelifchen
Urfprung noch nicht völlig abgeftreift habe.

Doch angenommen, der neue Flicken pafste auf das
alte Gewand, angenommen, das Frincip der Oekumenicität
fei eben fo, wie der Verf. es entwickelt, was würde
es nützen, wenn die evangelifchen Kirchen einträten in
den Verband der Oekumenicität? Das Princip ift ebenfo
wirkungsunkräftig als widerfpruchsvoll. Wie denkt fich der
Verf. eine Rückkehr zur ökumenifchen Kirche? Einft hob
Kaifer Jüdin das Schisma mit dem Occident auf. Soll
Autokratenwille oder Oligarchenbefchlufs die Kirchen
zurückführen? Was nützt es dann den Einzelnen, dafs
auch über ihnen in der erhabenen Höhe des Noli ine
tätigere das Symbol fchwebt, das ihre Herzen noch nicht
gewonnen? Oder follen die Einzelnen aus freiem Ent-
fchlufs zurückkehren? Dann enthalten die Ausführungen
der Briefe die zweifellofe Wahrheit, dafs alle eins fein
würden, wenn de fich geeinigt hätten.

Mit gefchichtlichen Illufionen und liebenswürdigen
Träumen von den Vollkommenheiten einer aus unvollkommenen
Theilen bedehenden Gefammtheit trödet fich
der Verf. der fechs Briefe über die Knechtsgedalt der
Kirche. Uns verbietet genauere Kenntnifs der Gefchichte
folchen Optimismus. Und doch find wir nicht zum Pef-
fimismus verurtheilt, denn fchwerlich lehrt die Gefchichte,
dafs die Summe des Einfluffes wirklich chridheher Ideen
im öffentlichen Leben und im Leben der Individuen mit
der Zeit kleiner geworden id. Wir dürfen und müffen
im Urtheilen und Handeln mit Individuen rechnen. Auch
der Soldat in der Schlacht fieht nur feine Nebenmänner,
für das ganze Heer läfst er den Feldherrn forgen. So
bleiben wir bei dem Glauben an die ,Una sanetat und
dellen es dem Herrn anheim, wann und wie er fie in
die Erfcheinung bringen wird.*)

Leipzig. F. Loofs.

Stämmler, Judizr. R., Ueber den Bau neuer evangelischer
Kirchen und Pfarrhäuser in der Mark und besonders in
Berlin. Berlin, Wiegandt & Grieben, 1884. (48 S. gr. 8.)

M. —. 60.

In Berlin id die Frage: ,wer baut uns neue Kirchen
und Pfarrhäufer' brennend. Für über 84OOOO Evangelifche
enthalten fämmtliche Berliner Kirchen nur 42000 Sitzplätze
, alfo durchfehnittlich für 20 Eingepfarrte nur einen
Sitzplatz. Das id ein gradezu fchreiender Nothdand und
eine wirkliche Gefahr. Nun haben die vereinigten Berliner
Kreisfynoden fich willig gezeigt, diefer Noth durch
Begründung neuer Kirchen- und Pfarrfydeme abzuhelfen,
fofern von einer Aufrechtcrhaltung des Patronatsrechts
in der Gemeinde abgefehen und den Gemeinden das
Pfarrwahlrecht zugedanden würde. Dazu fcheint freilich
vorerd wenig Ausficht zu fein, und der Bau neuer Kirchen
daher noch in weitem Felde zu liegen. Verfaffcr
führt nun aus, dafs der von den vereinigten Kreisfynoden
vorgefchlagene Weg dem bedehenden Rechte zuwiderlaufe
. Er weid nach, dafs nach dem vornehmlich
auf die Vifitations- und Confidorialordnung von 1573 zu- I
rückgehenden Märkifchen Provinzialrecht, deffen unveränderte
Rechtsbcdändigkeit durch neuere Erkcnntnifse [

*) Die bündigAe Widerlegung des Verf. unferer Briefe wird, fo laffen
die neueAen Nachrichten aus den OAfeeprovinzen furchten, wie es fcheint,
feine eigne Kirche übernehmen, ja der oben genannte Herr v. P. felbA.
All Oberprocureur des heiligen Synods hat diefer feit dem 26. Juli d. J.
die Nothwendigkeit jedes neuen Kirchenbaues bei den Lutheranern zu
begutachten, ehe der Hau geAattet wird — und in EAhland foll, wie heute j
die Zeitungen melden, bereits ein fchon begonnener Kirchenbau auf höhern i
Befehl eingeAellt fein. — Nachtrag vom n. Nov.

des Obertribunals anerkannt fei, ,die Baukoden für die
neuen Kirchen, welche in Berlin für eine evangelifche
Parochialgemeinde aufser der vorhandenen Kirche nöthg
find, von dem Patron der vorhandenen Kirche und der
Stadtgemeinde getragen werden müffen, foweit das Vermögen
der in der betreffenden Gemeinde vorhandenen
Kirche dazu nicht ausreicht'. Der gewiefene Weg, die
für Berlin nöthigen neuen Kirchen zu erhalten, fei demnach
der, dafs der Gemeindekirchenrath der betreffenden
Gemeinde erftens auf geordnetem Wege die Nothwendigkeit
des Neubaues feftftelle, wofür Verf. die Inflanzen
aufzeigt, zweitens Patron und Magiftrat um Leiftung des
ihnen zukommenden Beitrags angehe, und falls dies
verweigert werde, bei der zuftändigen Behörde — in Berlin
der Polizei-Präfident — den Erlafs eines interimifti-
fchen Refoluts darüber beantrage. Auf Grund deffen
könne der Bau einftweilen in Angriff genommen werden.
Wollen fich Patron und Magiftrat dabei nicht beruhigen,
fo können fie den Klageweg befchreiten. Es fei fogar
wünfehenswerth, dafs dies einmal gefchehe, damit dem
Reichsgericht Gelegenheit gegeben werde, eine präjudi-
cielle Entfcheidung über den Rechtsbeftand zu fällen.
Jedenfalls dürfe keine Abzweigung einer neuen Parochie
ftattfinden, ehe der Bau von Kirche und Pfarrhaus auf
diefem Wege gefichert fei, da ganz neuen Parochien
gegenüber keine Beitragspflicht der Stadt beftehe. Dies
habe man bei verfchiedenen Parochialtheilungen über-
fehen, und dadurch die betreffenden Gemeinden in grofse
Noth gebracht.

Wenn die Baupflicht von Staat und Stadt in Berlin fo
klar liegt, dann ift freilich nicht abzufeilen, warum man
nicht energifch dazu fchreitet, fie zur Erfüllung ihrer Pflicht
zu zwingen. Jedenfalls wäre es fchweres Unrecht, diefen
Weg nicht zu befchreiten, weil diefe Kirchen dann nicht
,patronatsfrei' wären. Scheut man fich aber, was nicht
unberechtigt wäre, bei den fo gänzlich veränderten Con-
feffionsverhältnifsen der Stadt eine fo fchwere Laft aufzuladen
, fo müfste doch mindeftens eine billige Ablöfung
ihrer Beitragspflicht verlangt werden.

Giefsen. Gg. Schloffer.

Haupt, Superint. C., Hofdiak. Dr. A. Rebattu u. Superint.
G. Rudioff, Materialien für liturgische Gottesdienste.

Gotha, F. A. Perthes, 1884. (39 u. 44 S. Lex.-8.)
M. 3.60.

Die Verfaffer gehen von der ganz richtigen Einficht
aus, dafs die fo hoch nöthige liturgifche Neugeftaltung
unferer Hauptgottesdienfte Sache der organifirten Kirche
fei, dafs der Einzelne fie nur vorzubereiten, zu diefer
oder jener Einzelreform den Weg zu bahnen vermöge.
In der That ift der gewiefene Platz für — wenn ich
mich fo ausdrücken darf — liturgifche Experimente,
durch welche das Verftändnifs unferes Kirchenvolks für
eine reichere Liturgie zu wecken und die Angemeffen-
heit diefer oder jener liturgifchen Formen für unfer heutiges
Bedürfnifs zu erproben find, in den Nebengottes-
dienften und befonderen liturgifchen Gottesdienften. Für
folche bieten die Verf. ausgeführte Formulare nebft dem
dazu gehörigen mufikalifchen Apparat in grofser Reichhaltigkeit
dar. Es find im ganzen neun Formulare: für
Advent, Weihnachten, Neujahr, Invocavit, Charfreitag,
üftern, Pfingften, Todtenfeft und einen Abendmahls-
gottesdienft. Diefe Tage find aber nicht etwa nur bei-
fpielsweife herausgegriffen, fondern nach der Abficht der
Verf. follen liturg. Gottesdienfte eben nur an diefen
Tagen gehalten werden, einmal weil durch allzuhäufige
Wiederholungen bei unferer ohnedies kirchlich fo leicht
zu überfättigenden Generation dann rafch Abftumpfung
und Ueberdrufs an der ganzen Sache fich einftellen
würde', und zum andern, weil .keineswegs jeder Sonntag
und jede Zeit des Kirchenjahres für derartige Gottes-